Die Unausweichlichkeit des Raumes im Valle Maira - Anstalt zur Resozialisierung von Strafgefangenen

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12020 Valle Maira - Gardetta Hochebene ,
Italien

Veröffentlicht am 17. August 2016
 
Teilnahme am Swiss Arc Award 2016

Luftbild Gardetta Hochebene Weg Hof Zelle Durchblick Valle Maira Gardetta Hochebene Anstalt Unterkunft Häftlinge Wärterturm

Projektdaten

Basisdaten

Lage des Objektes
12020 Valle Maira - Gardetta Hochebene , Italien
Projekttyp
Studierendenentwürfe
Fertigstellung
04.2016

Gebäudedaten nach SIA 416

Geschossfläche
16'650 m²

Beschreibung

Beginnend mit der Auseinandersetzung der wechselseitigen Beziehung zwischen Mensch und Raum als theoretische Grundlage, formt diese den Blickwinkel auf einen konkreten Ort, das Valle Maira, und ist Basis zur Konzeptfindung. Das Valle Maira ist eines der ursprünglichsten und zugleich verlassensten der italienischen Westalpentäler des Piemont. Es ist ein Ort, an dem das Leben seit jeher in intensiver Abhängigkeit und Prägung zur umgebenden Landschaft stattfand und der heute mit starker Abwanderung zu kämpfen hat. Ziel der Arbeit ist es nicht, diesen Ort zwanghaft verändern oder verbessern zu wollen, sondern vielmehr aus der Identität des Ortes und den Potentialen, welche diese bietet, zu schöpfen. Der Mensch ist dem Ort, der ihn umgibt, unausweichlich ausgesetzt. Er kann den Herausforderungen der Natur nicht entgehen, sondern hat sein Leben danach zu richten. Genau diese Unausweichlichkeit als Essenz der Identität führt zum Entwurfsthema. Eine Typologie bestimmt von Unausweichlichkeit: Eine Anstalt zur Resozialisierung von Strafgefangenen - ein Gefängnis.

Freiheitsentzug ist ein Zustand, welcher den Menschen völlig aus seiner ursprünglichen Umgebung entwurzelt und dabei umso intensiver an den neuen Ort, das Gefängnis bindet. Der Gefangene ist dem Raum bedingungslos ausgeliefert. Der Raum wirkt unausweichlich auf das Lebens des Insassen ein. Architektur ist zu mehr in der Lage, als nur die reine Funktion zu erfüllen, sondern ist fähig, gezielt auf den Menschen einzugehen. So prägt die Architektur das Leben auf dem Weg der Resozialisierung und bildet mit dem Programm den Rahmen für die Entwicklung des Menschen. Umso mehr soll der Entwurf durch eine differenzierte Anpassung an den Haftfortschritt Platz bieten, schrittweise ein soziales Verhalten zu erproben, welches zu Selbstständigkeit und Eigenverantwortung für das Leben danach befähigt.

Die Wahl des Ortes fällt auf ein erhöht gelegenes Plateau der Gardetta Hochebene, welches die Eigenschaften von alpiner Enge und Weite in sich vereint. Die unvermittelt aufeinanderprallenden Kontraste der sanften Wiesen und steil aufragenden, ummauernden Felsmassen könnten kaum extremer sein. Genau an dieser Stelle soll sich der Entwurf verorten und die sich gegenüberstehenden Kontraste unmittelbar zusammenbringen. Wie eine offene Galerie legt sich ein die einzelnen Vollzugstypen verbindender 1200 m langer Weg entlang der Grenze zwischen Fels und Wiese und begleitet die Form, welche die Topografie vorgibt. Über eine steile Treppe wird der Häftling durch ein Kontrollgebäude, welches sich orthogonal in den Weg einschiebt, in die Anlage hineingeführt. Die Unterkünfte der Strafgefangenen erstrecken sich orthogonal zu diesem Weg und werden zu Etappen im Sozialisierungsprozess.

Die Anstalt gliedert sich in sechs Unterkünfte für Gefangene nach einem gleichbleibenden Grundprinzip, welche sich gezielt dem Haftfortschritt anpassen. Die Differenzierung schlägt sich räumlich, materiell und programmatisch sowohl im zunehmenden Freiheitsbezug als auch in der Tätigkeit der Häftlinge nieder. Beginnend mit vorwiegend therapierenden Maßnahmen steigert sich die Tätigkeit über handwerkliche Arbeit bis hin zu gesteigertem Vertrauen und der Erlaubnis als Gärtner oder Hirte das Zellengebäude zu verlassen. Während sich die Therapierung anfänglich noch auf den Einzelnen richtet übernehmen die Häftlinge zunehmend soziale Verantwortung für die gesamte Gruppe. Die Zellen gruppieren sich entlang eines langen Hofes, sodass der Bezug zum Freiraum den Häftling unausweichlich begleitet. Während sich die Typen I - III noch in Richtung der bedrückenden rauen Felsmassen ausrichten und sich der Weite der Hochebene bewusst verschließen, öffnen sich die folgenden Typen nach der Wendestelle des Weges in Richtung der Hochebene und erlauben visuell und physisch einen zunehmenden Bezug zur Umgebung. Im Untergeschoss der Zellengebäude befinden sich Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialräume; im überhöhten Kopfteil der Gebäude sind die Wach- und Ruheräume des Personals untergebracht.

Die Unterkünfte der Häftlinge sind in Beton ausgeführt, dessen Oberfläche sich von Gebäude zu Gebäude im Inneren der Zellen von einer rauen Holzschalung bis hin zu einer weichen Textilschalung verändert. Die Zellen sind als intimster Ort auf das Mindeste reduziert und in massivem lokalem Fichtenholz möbliert. Der verschlossene Lichthof, der die Zellen belichtet, thematisiert den begrenzen Bezug zur Freiheit und erlaubt visuelle Bezüge in den Himmel oder zu umgebenden Gipfeln. Die Massivität der umschließenden Mauern ist eindringlich spürbar. Die bewusste vertikale jedoch auch horizontale Öffnung des zentralen Gefängnishofes jedes Gebäudes hin zur Landschaft setzt die einzelnen Gebäude in differenzierten Bezug zu dieser. Der anfängliche Ausblick hin zum schroffen Fels lässt die Öffnungen im Beton mit ihrer Umgebung verschwimmen. Der Einschluss wird durch die massiven umringenden Felsen nochmals gesteigert. Bei zunehmendem Bezug zur Weite der Landschaft konkurriert der Beton mit der sanften Vegetation der Umgebung und lässt diese Teil des Gebäudes werden, welches sich zunehmend öffnet.

Die Unterkunft der Wärter und dauerhaften sowie temporären Betreuer ist ebenso Teil dieser Gruppierung und positioniert sich am höchsten Punkt des Weges als wachender massiver Monolith. Das Personal wird saisonal zum integralen Bestandteil der Anstalt. Die Zimmer der Betreuer gruppieren sich um einen zentralen Gemeinschaftsbereich mit offenem Kamin.

Next Generation Projekt eingereicht von: Lisa Schneider

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