Länderpavillons im Fokus: Schweizer Pavillon – zwei Handschriften, ein Raum
Wie lässt sich die Geschichte eines Pavillons fortsetzen, ohne sie zu wiederholen? Der Schweizer Beitrag an der Architekturbiennale Venedig, die bis 23. November 2025 stattfindet, überlagert zwei Architekturen – die des Pavillons von Bruno Giacometti und die Kunsthalle von Lisbeth Sachs für die Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA )1958. Das Kuratorinnenkollektiv Annexe interpretiert Sachs Entwurf räumlich und inhaltlich neu. Ihr Beitrag ist keine Rekonstruktion, sondern eine Annäherung, die auf dem Bestehenden aufbaut und es weiterschreibt.

Kuratorinnen (von links): Myriam Uzor, Elena Chiavi, Axelle Stiefel, Kathrin Füglister und Amy Perkins | Foto: Gaëtan Bally © Keystone-SDA
Annexe – bestehend aus den Architektinnen Elena Chiavi, Kathrin Füglister, Amy Perkins, Myriam Uzor und der Künstlerin Axelle Stiefel – integriert Sachs radiale Geometrien, textile Elemente und den Landschaftsbezug in Giacomettis Pavillon. Die kreisförmig angeordneten Wände durchbrechen die orthogonale Ordnung, fügen dem Gebäude eine zweite räumliche Schicht hinzu. Der Pavillon wird zum Zwischenraum zweier architektonischer Handschriften – ohne Hierarchie, ohne Kontrast. Die Swiss Arc Redaktion war zur Eröffnung vor Ort. Die vielschichtige Atmosphäre – geprägt von räumlicher Überlagerung, sorgfältiger Materialwahl und kollektiver Handschrift – machte erfahrbar, was es heisst, wenn eine feministisch geprägte Perspektive nicht nur Thema, sondern Grundlage architektonischer Praxis ist.

1952 errichtet, gehört der Schweizer Pavillon zu den wenigen erhaltenen Nachkriegsbauten in den Giardini – entworfen von Bruno Giacometti. Die Holzwände staffeln sich wie aufeinanderfolgende Schichten, die den Raum gliedern.| Foto: Gaëtan Bally © Keystone-SDA
Architektinnen sichtbar gemacht
Ein zentrales Zitat bildet den programmatischen Rahmen des Beitrags: «Endgültige Form wird von der Architektin am Bau bestimmt.» Dieser handschriftliche Vermerk von Lisbeth Sachs auf einem Entwurfsplan ihrer Kunsthalle von 1958 bringt ihren offenen, kontextbezogenen Architekturansatz auf den Punkt – und wurde zum Ausstellungstitel gewählt. Er steht für eine Haltung, die den Bauprozess, den Ort und das Gegenüber ernst nimmt. Die Kuratorinnen greifen diese Haltung auf und transformieren sie in eine räumliche Praxis, die ebenso poetisch wie politisch ist.
Gleichzeitig thematisiert das Projekt eine Leerstelle der Architekturbiennale selbst: Keiner der permanenten Länderpavillons in den Giardini wurde von einer Architektin entworfen. Der Schweizer Beitrag reagiert darauf nicht mit Rückblick, sondern mit Weiterentwicklung. Sachs’ Werk wird nicht ausgestellt, sondern weitergebaut – als räumliches Angebot, als kollektiver Prozess.
Kollektives Bauen im Bestand
Die Arbeit greift damit direkt das Leitthema der Biennale auf: «Intelligens. Natürlich. Künstlich. Kollektiv.» Der Bauprozess folgt kollektiven Prinzipien, Entscheidungen entstehen vor Ort, gemeinsam mit lokalen Akteur*innen und der Re-Use-Initiative Rebiennale. Wiederverwendete Materialien verbinden Nachhaltigkeit mit Ortsbezug. Auch der Klang wird Teil der Architektur. Gespräche, Geräusche und Stimmen, gesammelt während der Bauphase, fügen sich zu einer mehrteiligen Klanginstallation. Sie bespielt den Raum, ohne ihn zu dominieren – und lädt dazu ein, zuzuhören. Die Verbindung von gebauter Erinnerung mit digitaler Verarbeitung spiegelt die Schnittstelle von natürlicher und künstlicher Intelligenz. Der Beitrag versteht sich als Vorschlag: Architektur entsteht im Dialog – mit Bestehendem, mit anderen, mit der Umgebung. Er würdigt Lisbeth Sachs, deren Werk lange kaum sichtbar war, und fragt, wie Architekturgeschichte neu gelesen werden kann. Der Pavillon wird so zur Baustelle im besten Sinn: offen, prozesshaft, konkret.

Leicht gespannt – räumlich konzentriert: Die textile Deckenkonstruktion im Schweizer Pavillon interpretiert Lisbeth Sachs’ Geometrien neu. An der Zeltstruktur befestigte Lautsprecher übertragen eine Klanginstallation von Axelle Stiefel.| Foto: Gaëtan Bally © Keystone-SDA

Im Grundriss treten die Wände als prägende Elemente hervor. Im gebauten Raum übernehmen Vorhänge und das Zeltdach die gestalterische Hauptrolle. | Foto © Annexe
La Biennale di Venezia
Länderpavillons im Fokus: Schweizer Pavillon – zwei Handschriften, ein Raum
Ausstellung: Bis 23. November 2025
Ort: Hauptplatz: Giardini della Biennale
Öffnungszeiten:
20. Mai bis 28. September: 11–19 Uhr
30. Oktober bis 23. November: 10–18 Uhr