Urbane Räume. Vier Perspektiven
Im Mittelpunkt der Ausstellung «Urbane Räume. Vier Perspektiven», die derzeit im Zentrum Architektur Zürich gezeigt wird, stehen vier gegenwartsbezogene Auseinandersetzungen, die sich mit der Stadt als Lebensraum beschäftigen. Die Präsentationen bedienen sich unterschiedlicher Medien. Sie möchte den Besucher*innen des ZAZ aktuelle Herausforderungen der Stadtentwicklung näherbringen. Und obwohl der Fokus klar auf Zürich liegt, haben sie den Anspruch auch über die Grenzen der Stadt hinaus relevant zu sein.
Erdgeschoss-Geschichten
Die Aufnahmen der Fotoserie «Suite» der Zürcher Fotografin und Künstlerin Meret Wandeler fängt Momente des Beobachtens im urbanen Raum in den Aussenquartieren Zürichs ein. Charakteristisch für diese Stadtquartiere sind grossflächige Glasfronten im Erdgeschoss. Blicke von aussen werden durch Jalousien, Rollos, Vorhänge abgeschirmt. Die verdeckten Glasfronten schaffen zusammen mit den Fassadenelementen aus Aluminium und Beton reflektierende, halbtransparente Flächen, in denen sich die umliegenden Stadträume spiegeln. Spannungsmomente der Bildserie werden durch Bildstörungen, Unschärfen und Überlagerungen geschaffen. Der Rhythmus der Stadt entfaltet sich in der Wahrnehmung des Betrachters durch Raster aus horizontalen und vertikalen Linien von Fassaden, Fensterreihungen und Gebrauchsarchitektur.
Erinnerung auf Textil
Unter dem Namen Studio Otherworlds entwickeln die Künstlerin und Pädagogin Sumedha Garg und der Architekt und Stadtplaner Nitin Bathla sozialkritische Kunstprojekte. «Mapping Delhi» entstand in Kapashera – einem Randgebiet von Delhi. Mitgewirkt haben Arbeitsmigrant*innen, die in der dort ansässigen Textilindustrie unter miserablen Bedingungen arbeiten und in illegal errichteten Mietkasernen leben müssen. Das Zentrum des Beitrags bildet ein von den Arbeiter*innen bestickter Wandteppich mit Karten, die den Lebensraum der Frauen darstellen soll und sich kritisch mit Ausbeutung in der Textilindustrie auseinandersetzt. Schätzungsweise eine halbe Millionen Arbeitsmigrant*innen bewohnen die Mietkasernenstädte Delhis.

Gestickte Kartografie von Wohnhäusern in Kepashera, einer Siedlung am Rande von Delhi ©Bhavyaa Parashar
Taten, Sachen und Fiktionen
Die Siedlung Wydäckerring bildete zusammen mit weiteren Bauten aus vorfabrizierten Elementen ein Ensemble der Nachkriegsmoderne entlang des Triemlifusswegs in Zürich-Albisrieden. Anfang dieses Jahres wurde sie abgebrochen. Der Beitrag des Kollektivs «8000.agency» stellt ihn in den Kontext eines systematischen Abbruchs von günstigem Wohnraum in Zürich und zeigt Alternativen auf, indem gute Beispiele von Sanierungen und Umnutzungen vorgeführt werden.

Siedlung Wydäckerring, Pinnwand mit Plänen und andere Materialien ©Nina Farhumand
Stadt-Politik
Der filmische Essay «Nemesis» des Filmemachers Thomas Imbach handelt von der Transformation des Zürcher Güterbahnhofs zum Gebäudekomplex des Polizei- und Justizzentrums Zürich. Dokumentiert wird das Auslöschen von Geschichte zugunsten einer Vision von totaler Sicherheit. Aus der Perspektive seines Atelierfensters hat Imbach über sieben Jahre hinweg die Veränderungen auf der Baustelle filmisch begleitet - von der Zerstörung durch Abbruch der alten Hallen bis zur Fertigstellung des langen, steinverkleideten Neubaus des PJZs. Die über die Jahreszeiten – mal mit Zeitraffer beschleunigt, mal in Zeitlupe verlangsamt oder im Rücklauf gezeigten Bildkompositionen – zeigen die Stadt als Ort der Veränderung und Transformation. Untermalt werden sie von Klängen des Sounddesigners Peter Bräker und Off-Stimmen mit persönlichen Geschichten von Gefängnisinsass*innen, Ausschaffungshäftlingen und einem kritischen Monolog Imbachs, gesprochen vom Schauspieler Milan Peschel. Die dokumentarischen Beobachtungen verbinden persönliche, gesellschaftliche und politische Fragen nach Stadtentwicklung miteinander.
Sammelsurium
Man mag beim Besuch der Ausstellung im ZAZ zuerst einen roten Faden vermissen. Doch ist dies offensichtlich kein Zufall, sondern war klares kuratorisches Konzept. Statt auf – wie sonst im Architekturdiskurs oft üblich – auf die Rolle von Neubauten und die aktiven Transformationen der Stadt zu fokussieren, werden in der Schau Geschichten vom unscheinbaren Bestand, vom Verborgenen und vom Verschwundenen erzählt. Die Schau fordert auf, sich den B-Seiten der Stadt zuzuwenden, genauer hinzuschauen und sie neu zu wertschätzen.

Der Film «Nemesis» handelt vom Verschwinden des Zürcher Güterbahnhofes für das neue PJZ ©Nina Farhumand
Text: Nina Farhumand
Zentrum Architektur Zürich
Urbane Räume. Vier Perspektiven
Ausstellung vom 15. November 2021 bis zum 13. März 2022
Mittwoch bis Sonntag von 14 Uhr bis 18 Uhr
Öffentliche Führungen
Sonntags 15 Uhr bis 16 Uhr, 23 Januar und 27 Februar 2022
Donnerstags 18 Uhr bis 19 Uhr, 10 Februar und 10 März 2022
Mehr Infos zur Ausstellung finden Sie unter zaz-bellerive.ch/.