Mensch-Maschinen-Kooperation

Veröffentlicht am 17. März 2022 von
Jørg Himmelreich

Auf den Ziegelfassaden eines neuen Weingutes in Kitrus schimmert ein poetisches Muster, das an Lichtreflexionen auf Gewässern erinnert. Dazu wurden die Steine gemäss einem digitalen Modell unterschiedlich stark aus der Wandebene gedreht. Der Neubau ruft frühere Projekte von Gramazio Kohler Research in Erinnerung, bei denen Ziegelwände von einem Roboter aufgebaut worden waren. Doch in Griechenland hat sie ein Maurer mithilfe einer Augmented-Reality-Visualisierung in situ positioniert. Das Projekt zeigt das Potenzial von Augmented Reality für die Architektur auf: Die Ideen reichen von der papierlosen Baustelle bis zur Möglichkeit von ad-hoc-Anpassungen von Planungen vor Ort.

Weithin bekannt wurde 2006 die Erweiterung des Weingutes Gantenbein in Fläsch (GR). Dort realisierte Gramazio Kohler Research die erste Fassade, welche vollständig von einem Roboter gemauert wurde. Ein Industrieroboterarm klebte in einer Halle Ziegel zu grösseren Elementen aufeinander, die dann genutzt wurden, um den Betonskelettbau mit leicht perforierten Wandflächen zu schliessen. Durch unterschiedliche Ausdrehungen der Steine aus der Ebene und offene Stossfugen entstand das abstrakte Reliefbild grosser Weinbeeren. Vorletztes Jahr wurde nun mit dem Weingut Kitrus in Griechenland ein Neubau fertig gestellt, der auf den ersten Blick dem der Gantenbeins stark ähnelt. Das hatte sich die Bauherrschaft auch explizit gewünscht. Auch dieser Bau ist ein mit Ziegeln ausgefachter Stahlbetonrahmenbau. Jedoch – anders als in Graubünden – wurden die Steine dort mit Mörtel und von Hand aufeinandergeschichtet. Warum wurde nicht versucht, einen mobilen Roboter vor Ort einzusetzen? Man erwog dies, verwarf die Idee jedoch aus mehreren Gründen: Der Transport aus der Schweiz nach Griechenland wäre teuer und energieaufwendig gewesen und vor Ort hätte man Plattformen errichten müssen, damit der Roboter hätte fahren können.

Der Computer zeigt auf, an welche Stelle jeder Ziegelstein platziert werden muss. ©Gramazio Kohler Research, ETH Zürich
Die Positionierung der Ziegelsteine erzeugt ein Spiel von Licht und Schatten auf der Fassade und lässt sie wirken, als ob diese in Bewegung wäre. ©Michael Lyrenmann

Digitales Handwerk

Man experimentierte bei Gramazio Kohler Research bereits eine Weile mit Augmented Reality. Aus dieser Beschäftigung heraus entwickelte das Team die Idee, einem Maurer vor Ort in Kitrus ein 3-D-Modell und ein Augmented-Reality-Werkzeug zur Verfügung zu stellen. Dies reduzierte das aus der Schweiz zu transportierende Material auf zwei Computer, einen Monitor und eine Kamera mit einer inertialen Messeinheit. Auf einem Bildschirm sehen die Handwerker*innen ein Abbild der Mauer auf dem die Position des nächsten zu setzenden Steins grafisch angezeigt wird. Nachdem sie oder er diesen ungefähr in die korrekte Lage versetzt hat, vergleicht ihn das System mit der berechneten Sollposition und gibt über einfache grafische Symbole Anweisungen. Durch sukzessives Klopfen an der richtigen Stelle wird der Ziegel so in die gewünschte Endposition gebracht. Um das 3-D-Modell mit der realen Situation überlagern zu können, erkennt das System über einen speziellen Bildanalyse-Algorithmus die Kanten der Referenzobjekte im Raum und richtet die Geometrie der Ziegelwand danach aus. 13 596 Ziegel wurden beim Weingut insgesamt verbaut. Pro Stein wurden je drei Minuten zur Positionierung benötigt, was zu einer Gesamtzeit von drei Monaten führte. Damit das Setting kompakt und mobil – das heisst ohne Kabel war – wurden die Computer in Rucksäcken getragen.

©Michael Lyrenmann
©Gramazio Kohler Research, ETH Zürich

Papierlose Baustelle

Auch wenn das Ergebnis dem sehr ähnlich ist, was ein Industrieroboter umsetzen könnte: Technisch und ethisch beschreitet Gramazio Kohler Research damit neue Wege, indem sie ihrer bisherigen Suche nach möglichst komplett automatisierten Bauproduktionen nun bewusst die Mensch-Maschinen-Kooperation gegenüberstellen. Um die Potenziale von Augmented Reality für Bauprozesse noch besser ausloten zu können, hat Gramazio Kohler Research im Rahmen der «Design++»-Initiative an der ETH Zürich ein neues Labor initiiert und umgesetzt: Im Immersive Design Lab geht es unter anderem darum, Technologien für eine papierlose Baustelle zu entwickeln. Augmented-Reality-Instrumente - so erklärt Daniela Mitterberger, Forscherin bei Gramazio Kohler Research - könnten zukünftig den Bauarbeitenden zeigen, wo und wie Bauteile zu platzieren seien. Ein Lesen von Plänen und Messen zum Platzieren und Kontrollieren würden damit weitestgehend überflüssig und komplexe Fügungen könnten den Handwerker*innen anschaulich visualisiert werden. Die Frage der Interaktion und Kommunikation, – ja das grundsätzliche Verhältnis zwischen Mensch und Maschine – ist von zentraler Bedeutung, um den Herausforderungen des postindustriellen Zeitalters, in dem wir leben, sozial nachhaltig begegnen zu können. Statt Antagonisten sollten wir in den Maschinen Partner sehen, mit denen wir kooperieren und jenseits klassischer Automatisierung und Rationalisierungs-Paradigmen ein neues Verhältnis eingehen. Die Eigenarten des Menschen, im Sinne von Kreativität aber auch handwerklicher Intelligenz, soll mit dem vollen Potenzial der Technologien, welche in Gestalt von Robotern und intelligenten Algorithmen die Baustelle betreten, zu etwas Neuem weitergedacht werden.

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