Bergkirche Julong
,
China, Volksrepublik
Veröffentlicht am 02. April 2024
INUCE . Dirk U. Moench
Teilnahme am Swiss Arc Award 2024
Projektdaten
Basisdaten
Gebäudedaten nach SIA 416
Beschreibung
Das Kirchenprojekt in Julong nahe der chinesischen Metropole Quanzhou orientiert sich an archetypischen biblischen Motiven und stärkt die interkonfessionelle Identität der Gemeinde. Inuce Architekten schaffen mit ihrem sakralen Raum für 1000 Menschen Qualitäten, die physisch und spirituell zum Nachdenken anregen und die Präsenz der christlichen Minderheit in der Volksrepublik klar und doch behutsam artikulieren.
Ausgangslage
Wenige Jahre nach ihrer Gründung ist Julong Heimat einer wachsenden christlichen Gemeinde. Die Gebetskreise fanden bisher in einem Ladenlokal statt. Es entstand der Wunsch, eine Kirche zu bauen. Am Fuss eines Berges gelegen und von Wald umgeben, ist das Grundstück weithin sichtbar. Die Gemeinde bestand aus Christen verschiedener Konfessionen und war über liturgische und symbolische Fragen zerstritten. Der Neubau sollte die überkonfessionelle Identität beschwören und die Gemeinde einen.
Entwurfsidee
Archetypische Kirche: Angesichts der vielfältigen Herausforderungen, die sich aus der multikonfessionellen Identität der Gemeinde ergaben, suchten Inuce Architekten nach archetypischen Bildern aus der Heiligen Schrift, an denen die architektonischen Entscheidungen ausrichtet werden konnten. Nach intensiven Diskussionen ergriff ein Kirchenältester die Initiative: «Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.» Seine Frau nahm den Faden auf und sagte: «In Julong kommen wir zum ersten Mal zusammen. Wir wollen eine Arche für neue Mitglieder sein, ein sicherer Hafen.»
Die Kirche als Arche also ist über den Wirren der Welt schwebend verankert im Fundament des Glaubens und ein uraltes Motiv. Im Kern der Entwurfsarbeit stand daher die Frage, wie sich der Wunsch nach einer tief im christlichen Glauben verankerten Symbolik mit den nüchternen Anforderungen einer intensiv genutzten, multifunktionalen Architektur in Einklang bringen lässt. Als Lösung etablieren Inuce zwei klar voneinander abgesetzte Baukörper. Das untere Element ist mit gespaltenen Granitplatten verkleidet und gleicht einem terrassierten Felsfundament. Die rechteckige Struktur ist flexibel unterteilbar und bleibt von der ebenerdigen Empfangshalle über Bibliothek und Studienräume bis hin zu Konferenzräumen den profanen Nutzungen vorbehalten. Darauf ruht mit eigens angefertigten Faserbetonplatten verkleidet das eigentliche Kirchenschiff als abstrahiertes Archenmotiv.
Projektierung
Die entstandene Architektur schafft äussere und innere Bedingungen, die die Gläubigen zu einer körperlich-geistigen Auseinandersetzung anregen. Wie bei einer Pilgerfahrt steigen die Gläubigen sonntags über die Terrassen zum Gottesdienst hinauf. Oben angekommen, umgibt sie ein Motiv aus dem frühmittelalterlichen Kirchenbau, das Paradies, das traditionell den Ruhebereich einer Kirche markiert. Als zum Himmel offenes Atrium fungiert es in Julong als Ort der Besinnung, der die Christen dank eines 37-teiligen Glockenspiels der Tiroler Giesserei Grassmayr auch musikalisch auf den Eintritt in die Arche vorbereitet. Anders als die Metapher suggeriert, ist kein dunkles, weltabgewandtes «Allerheiligstes» entstanden. Im Gegenteil: Wer eintritt, erlebt die völlige Öffnung des Raumes zur grünen Bergspitze hin. Die Schöpfung selbst wird Teil des Raumerlebnisses, sodass für die bunt zusammengewürfelte Gemeinde auch über liturgisch-konfessionelle Unterschiede hinweg eine archetypische Situation entsteht. Einfacher gesagt: In Julong wird jeder Gottesdienst zum Echo der Bergpredigt, jener Versammlung mit der das Christentum vor allen Spaltungen seinen Anfang nahm.
Besonderheiten
Kirchenbau ist in der Volksrepublik nach wie vor ein brisantes Thema, das von den Architekturschaffenden ein strategisches Navigieren nicht nur zwischen baukünstlerischen und bautechnischen, sondern vor allem auch zwischen religiösen, baurechtlichen und politischen Rahmenbedingungen verlangt. Vor dem Hintergrund dieses offiziell atheistischen und traditionell schon immer nichtchristlichen Umfelds kommt der Konzeption der Bergkirche eine tiefe kulturelle und soziale Bedeutung zu: Indem sie sich auf die biblische Inspiration beruft und damit vor dem Hintergrund der kolonial konnotierten Missionsgeschichte historisch belastete Stilimporte vermeidet, überbrückt das Gotteshaus auf wirkungsvolle Weise kulturelle Differenzen und verdeutlicht damit die Bedeutung von Architektur als einer Kulturtechnik, die auch unter schwierigen Bedingungen sozialen Ausgleich und öffentliche Repräsentation zu schaffen vermag.
Über ihre primäre Funktion hinaus erfüllt die Bergkirche das Prinzip der integrativen und nachhaltigen Planung und bietet einen Mehrwert sowohl für die Christen als auch für die Allgemeinheit: Sie dient der religiösen Minderheit als lebendiges Zentrum für verschiedene Aktivitäten, die von Gottesdiensten über generationsspezifische Bildungsprogramme bis hin zu kulturellen Festen reichen und stärkt damit die Gruppenidentität und den sozialen Zusammenhalt.
Ähnlich einem säkularen Bürgerzentrum stehen die Räume der Öffentlichkeit zur Verfügung, allem voran die Bibliothek, die Konferenz- und Unterrichtsräume. Städtebaulich sind der Pilgerweg und das Paradies mit seinem Aussichtspunkt Bestandteil des Wanderwegenetzes im Bergwald und bereichern die Erholungslandschaft. Im chinesischen Kontext, in dem Kirchen traditionell hinter hohen Mauern verschanzen, ist dies ein nicht zu unterschätzender Erfolg.
Das Projekt von Inuce wurde im Rahmen des Swiss Arc Award 2024 eingereicht und von Elisa Schreiner publiziert.