Einfamilienhaus Gapont

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9495 Triesen,
Liechtenstein

Veröffentlicht am 17. April 2023
uli mayer urs hüssy architekten AG
Teilnahme am Swiss Arc Award 2023

Der Neubau erscheint wie mit den beiden Nachbar­häusern verwachsen. Trotz der erzeugten Dichte, ist er porös und verbindet auf vielfältige Art und Weise  die Strasse mit dem Garten und die Innen- mit den Aussenräumen. Ein kleiner Pool sammelt Dachwasser. Das Baustellenbild zeigt,  dass die untere Ebene als betoniertes Sockelgeschoss ausgebildet ist, auf das zwei hölzerne Etagen aufgesetzt wurden. Der Durchgang zum Garten ist zugleich  ein überdachter Auto­­stellplatz und Vorzone  für den Eingang. Das Mondfenster neben  der Türe erlaubt einen Einblick ins Foyer. Der Mehrzeckraum im Souterrain wird als Atelier, Werkstatt oder auch als Gästezimmer genutzt. Fenster stellen Blickbezüge zum Durchgang und zum Garten  im Westen her. Entrée Die Küche ist in die Promenade architecturale eingewoben. Ein holz­gefeuerter Ofen dient zum Kochen und Heizen. Das hängende Metallgerüst  ist Regal, Beleuchtung  und Dampfabzug in einem  und zoniert zugleich  subtil den Kochbereich. Der Schlafbereich im mittleren Geschoss wird von mattrot lasierten Oberflächen geprägt. Das Elternzimmer und das Gäste- respektive Hauswirtschaftszimmer schliessen an ein dazwischenliegendes Bad an. Wohnen Der Wohnbereich hat zwei Ebenen und dehnt sich grosszügig in den Raum  des Satteldaches aus. Weil fast alle Wände als Regale ausgebildet sind, ist  eine grosszügige private Bibliothek entstanden. Wohnen Wohnen Bei beiden Kinderschlaf­zimmern führen Leitern hinauf zu Schlafkojen in der Dachspitze. Dachflächenfenster erlauben von dort einen Blick in den Himmel.

Projektdaten

Basisdaten

Lage des Objektes
Gapont 4, 9495 Triesen, Liechtenstein
Projektkategorie
Fertigstellung
03.2021
Links

Gebäudedaten nach SIA 416

Grundstücksfläche
260 m²
Geschossfläche
220 m²
Nutzfläche
180 m²
Gebäudevolumen
1031 m³
Gebäudekosten (BKP 2)
1,1 Mio. CHF

Beschreibung

In Liechtenstein wachsen die Dörfer Vaduz, Schaan und Triesen kontinuierlich zu einer Bandstadt zusammen. Mayer und Hüssy zeigen mit dem Wohnhaus Gapont auf, dass es möglich ist, die darin eingewobenen alten Dorfkerne zu verdichten, ohne die über Jahrhunderte gewachsenen Strukturen negativ zu beeinträchtigen. Die Architekt*innen haben die Grundrisse, den Baukörper und die Dachkomposition aus dem Kontext hergeleitet und zugleich im Inneren eine individuelle, faszinierende räumliche Vielfalt geschaffen.

Einst ein armes Bauernland, hat sich Liechtenstein seit Mitte des 20. Jahrhunderts rasant zu einem bedeutenden Industrie-, Dienstleistungs- und Bankenzentrum entwickelt. Das kleine Fürstentum am Alpenrhein zählt gut 45'000 Beschäftigte bei einer Bevölkerung von gerade einmal 40 000 Menschen. Aufgrund der restriktiven Einwanderungspolitik, die Liechtenstein auch als EWR-Mitglied weiterführen darf, muss mehr als die Hälfte aller Arbeitskräfte täglich von aussen anreisen. Zugezogene machen nur ein Drittel der Liechtensteiner Bevölkerung aus. Auf diese Weise konnte ein Grossteil des Wohnungsbaus ins nahe Ausland verlagert werden. Gleichwohl ist die Bevölkerung in den letzten 35 Jahren um gut 30 Prozent gewachsen. Die drei ehemals deutlich voneinander getrennten Dörfer Vaduz, Schaan und Triesen verschmolzen zu einer agglomerationsartigen Bandstadt, wie man sie ähnlich auch aus dem benachbarten St. Galler Rheintal und aus Vorarlberg kennt.
Der Lebensnerv dieser rund 18'000 Einwohner*innen zählenden Liechtensteiner Bandstadt ist die an eine amerikanische Main Street erinnernde Landstrasse, die unterhalb der Dörfer am Rand der Rheinebene verläuft. Hier, wo im Laufe der Jahrzehnte grosse Industriebetriebe und Dienstleistungszentren, Einfamilienhausquartiere und Wohnsiedlungen, Sportanlagen, Einkaufsläden, Tankstellen und Casinos entstanden sind, dominiert das Auto genauso wie in den engen Gassen der etwas erhöht gelegenen Dorfzentren. Dennoch konnten diese ihre ursprüngliche Gestalt recht gut bewahren, auch wenn Teile der alten Bausubstanz neuen Gebäuden weichen mussten.

Mehr als eine Agglomgemeinde
Besonders gut gelungen ist dies Triesen, der mit 5500 Bewohner*innen und ebenso vielen Arbeitsplätzen kleinsten Gemeinde des Dreigestirns. Das sich am steilen Sonnenhang rund um die Kirche scharende Dorf besitzt noch immer einige malerische, von Weinbergen umgebene Häusergruppen, die an die nahe Bündner Herrschaft erinnern. Entlang der Landstrasse nach Vaduz entwickelt sich Triesen jedoch immer mehr zu einer anonymen Schlafgemeinde. Die dort errichteten Siedlungen entlasten den historischen Dorfkern genauso vom Wachstumsdruck wie das klotzige, vor zwei Jahren am Dorfeingang entstandene Zentrum Sonnenplatz, das mit zwei Grossverteilern, einem Café und zahlreichen Wohnungen neues Leben nach Triesen gebracht hat.
Das aus drei Kuben bestehende Einkaufszentrum füllt einen Leerraum, der einst den alten Dorfteil etwas vom architektonischen Wildwuchs an der Landstrasse absetzte. Hinter den Neubauten verschwindet nun die ehemalige Weberei Spoerry, deren langgezogener Baukörper zuvor das Dorf wie eine Stadtmauer begrenzte. Zusammen mit einem Hochkamin und einem holzverkleideten Gasometer ist die Spoerry-Fabrik ein wichtiges Baudenkmal, in dem heute unter anderem eine Privatuniversität sowie das Kulturzentrum Gasometer untergebracht sind. Oberhalb der Fabrik wurde 2015 vom Triesner Architektenpaar Uli Mayer und Urs Hüssy auf einem schmalen Grundstück das Dreifamilienhaus Gapont errichtet, welches überzeugend aufzeigt, wie man in städtebaulich sensiblen Zonen nachhaltig verdichten kann. Das auf den sanft abfallenden Hang gestellte Gebäude, das Glenn Murcutts ökologischem Prinzip des «touch the earth lightly» zu folgen scheint, reagiert mit leicht abgestuften Wohnebenen und einem Y-förmigen Grundriss auf die Topografie und Parzellenform. Wie die traditionellen Häuser im Dorf besteht das dreigeschossige Gebäude aus einem massiven Sockel und einem hölzernen Aufbau. Dessen Verkleidung mit unbehandeltem Holz etabliert einen Dialog mit dem achteckigen Gasometer der Spoerry-Fabrik.

Den Ort architektonisch weiterdenken
Das nach dem etwas höher gelegenen Quartiersträsschen Gapont benannte Dreifa­milienhaus erreichte die Endrunde des Architekturpreises «Constructive Alps» und machte so das 2004 gegründete Büro uli mayer, urs hüssy architekten über Liechtenstein hinaus bekannt. Der 1971 in Zürich geborene Urs Hüssy und die fast gleichaltrige Liechtensteinerin Uli Mayer haben beide an der ETH Zürich studiert. Ihr erstes bedeutendes Werk war 2006 die Sanierung und Erweiterung des denkmalgeschützten Brendlehauses in Schellenberg, das ihre Leidenschaft für die lokale Baukultur weckte. Ihm folgten Instandsetzungen, Um- und Neubauten, die aus Wettbewerben, Studien- und Direktaufträgen hervorgegangen waren. Besonders erwähnenswert sind zwei in ganz unterschiedlichen Architektursprachen gehaltene Werke: die aus klaren kubischen Formen bestehende Schulhauserweiterung mit Doppelturnhalle und Kindergarten in Mauren (2023) und das plastisch geformte Dreifamilienhaus Obergass in Balzers (2018). Dieses ist formal und strukturell eng verwandt mit dem Dreifamilienhaus Gapont, interpretieren doch beide die neue Liechtensteiner Verdichtungsstrategie, die in der Wohnzone eine Ausnützung von 60 Prozent (AZ 0,6) erlaubt, mit einer organisch aus dem Kontext hergeleiteten Form.
Gleich oberhalb des Dreifamilienhauses Gapont konnten Mayer und Hüssy 2021 am Gapont 4 ihr eigenes Wohnhaus fertigstellen. Es demonstriert auf vorbildliche Weise, wie sich aus der Kenntnis des Orts und seiner Traditionen heraus ein Bauwerk in einem heutigen Idiom realisieren lässt, das sich perfekt ins kontextuelle Gefüge integriert. Errichtet wurde es im schönsten Winkel des unteren Dorfteils auf einer 2013 durch einen Brand entstandenen Baulücke. Aufgrund des Grenz- und des Wiederaufbaubaurechts war eine optimale Ausnützung der 260 Quadratmeter grossen, in Ostwestrichtung von der Gasse zum weiter unten gelegenen Dreifamilienhaus Gapont abfallenden Parzelle mit einem Gebäude von 180 Quadratmetern Nutzfläche möglich.
Zum Gapont hin gibt sich der gegenüber der Strasse etwas zurückversetzte Neubau, der an beide Nachbarhäuser andockt, als zeitgenössische Interpretation eines in Mischbauweise errichteten Rheintalerhauses zu erkennen – mit einem Sockel aus Dämmbeton und einem Aufbau aus grossen, vorfabrizierten Holzelementen. Der moderne Elementholzbau, bei dem die Wände mittels digitalem Zuschnitt exakt vorgefertigt werden können, ermöglichte eine komplexe, mehrfach abgewinkelte Fassadenabwicklung, mit der – wie schon beim Dreifamilienhaus Gapont oder beim Brendlehaus – präzis auf die Grenzabstände reagiert werden konnte. Anders als beim Drei­familienhaus, das mit seinen quadratischen Fensteröffnungen auf die Spoerry-Fabrik Bezug nimmt, sind hier die Fenster dem inneren Raumgefüge entsprechend in wechselnden Formen und Grössen aus der Gebäudehülle ausgeschnitten.
Die schmucklose strassenseitige Gie­belfassade überrascht mit einem bildhaft konstruierten, aus vier zusammengefügten Öffnungen bestehenden Fenstercluster. Für weitere kleine Brüche sorgen ein leichter Knick in der Fassade, die unterschiedlich grossen, ums Eck geführten Atelierfenster im Sockelgeschoss und eine wie ausgestanzt wirkende, tunnelartig zum Eingang und zum tiefer gelegenen Garten führende Passage. Zusammen mit der unter einem kubistisch angehauchten Dach frei komponierten Westansicht weisen sie das Gebäude, das bereits eine graue Patina angenommen hat, ganz klar als ein Werk zeit­genössischer Architektur aus.

Raumkontinuum und Promenade architecturale
Im Durchgang gewährt ein grosses Rundfenster einen Einblick ins Entree, evoziert im Übergang zum Garten aber auch Bilder von Moon Gates chinesischer Parkanlagen, die Uli Mayer seit ihrem Auslandsemester an der TH Nanjing faszinieren. Gleich daneben befindet sich die Haustüre, hinter der man treppauf in den Schlafbereich oder treppab zur Wohnküche gelangt, die sich durch drei grosse Fenster panoramaartig zum Garten öffnet und weiter ins Atelier im Kellergeschoss. Dort unten verdeutlichen Ausblicke aus der Froschperspektive, wie respektvoll das Haus in den Hang geschoben wurde.
Die Hanglage inspirierte die Architekt*­innen zu einem splitlevelartig versetzten Raumkontinuum mit unterschiedlich hohen Zonen. Dieses wird auf der Promenade architecturale erlebbar, die entlang einer im Uhrzeigersinn sich hinaufschraubenden Treppensequenz vom Keller über acht Ebenen bis hinauf zu den Schlafkojen über den Zimmern der beiden Töchter führt. Im Betonsockel sind Keller, Atelier und Küche untergebracht. Die Wohn- und Schlafbereiche sowie die beiden scharf ins Gebäudevolumen eingeschnittenen Aussenräume befinden sich hingegen im Holzbau. Der Übergang von Beton zu Holz spiegelt sich im Wechsel der Fussböden von Mosaikfliesen zu Kautschukbelägen. Die Wände wurden nicht zwischen den Rahmen gedämmt, sondern die Isolierung nach aussen gelegt. Innen blieb die Lärchenholzkonstruktion offen und kann somit als Regale oder Schränke dienen. Dadurch wird der veredelte Rohbau innen zum fliessenden Wandmöbel, das im Schlafgeschoss rot gestrichen wurde und im Wohnbereich in einem grau gedämpften Blaugrün in Erscheinung tritt.
Der Neubau ordnet sich strassenseitig diskret zwischen die Nachbarhäuser ein. Auf der Gartenseite aber tritt er mit Eigensinn hervor. Gleichzeitig veranschaulicht er jenes Interesse an Nachhaltigkeit, Massstäblichkeit, gebautem Kontext und Landschaft, dem das Architektenduo Mayer und Hüssy den Ruf eines der führenden Liechtensteiner Büros verdankt. Zeigt es doch mit immer wieder neuen Lösungen, wie man über Jahrhunderte gewachsene Dorfstrukturen mit organischen Bauten, deren Grundrisse, Baukörper und Dachkompositionen aus der jeweiligen Situation hergeleitet sind, behutsam weiterdenken kann.

Der Text wurde von Roman Hollenstein für Arc Mag 2024–2 verfasst und von Jørg Himmelreich redigiert. Die Fotos und Pläne wurden von den Architekt*innen für den Arc Award 2023 eingereicht.

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