GĂ€stehaus Mond

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81200 Hiriketiya,
Sri Lanka

Veröffentlicht am 18. MÀrz 2022
Abraha Achermann Architeltur GmbH
Teilnahme am Swiss Arc Award 2022

Von den Zimmern und  der Dachterrasse schweift der Blick ĂŒber das Meer. Über das EntrĂ©e betreten sowohl die Bewohner*innen der Zimmer als auch  GĂ€ste der öffentlichen Dachterrasse das GebĂ€ude. Glasscheiben gibt  es keine im Haus. VielfĂ€ltige Falt- oder Drehelemente aus  Holz können jedoch geschlossen werden. Ob bei den offenen Duschen oder auf der Dachterrasse: Stets ist der Wald zum Greifen nah.

Projektdaten

Basisdaten

Lage des Objektes
81200 Hiriketiya, Sri Lanka
Fertigstellung
01.2020

GebÀudedaten nach SIA 416

GebÀudekosten (BKP 2)
120'000 CHF

Beschreibung

In Sri Lanka hat Geoffrey Bawa unvergleichliche Bauwerke geschaffen, welche die Grenzen zwischen innen und aussen verwischen, um Architektur mit Natur in einen Dialog treten zu lassen. Ein von Atelier Abraha Achermann entworfenes GĂ€stehaus folgt diesem Gedanken, lĂ€sst aber dennoch eine eigene Welt entstehen – fernab der dort gĂ€ngigen Normen.

Es ist Januar 2020, als wir als kleine Familie durch Sri Lanka reisen. Diese Reise erscheint heute angesichts der Corona-Pandemie wie in weite Ferne gerĂŒckt und fast surreal. Trotzdem sind uns viele Bilder und die EindrĂŒcke von intensiven Farben, DĂŒften, Fauna und Flora noch prĂ€sent. Auch unser Besuch im GĂ€stehaus Mond in Hiretikiya ist uns gut in Erinnerung geblieben.
Das Klima Sri Lankas ist tropisch: Die Durchschnittstemperatur liegt ĂŒber das Jahr hinweg relativ konstant bei knapp 30 Grad mit einer hohen Luftfeuchtigkeit und ausgeprĂ€gten Regenzeiten im Herbst und Frühling. Die Insel ist ein beliebtes touristisches Ziel – aufgrund ihrer Schönheit und BiodiversitĂ€t, der Freundlichkeit ihrer Bewohner*innen, aber auch, weil Sri Lanka gerade fĂŒr ein «Drittweltland» und trotz der TerroranschlĂ€ge von Ostern 2019 als stabil und sicher gilt. Der Tourismus hat sich zu einem zentralen Wirtschaftszweig entwickelt und ist für das Land Fluch und Segen zugleich.

Im Surfer-Paradies
Hiriketiya ist ein ehemals kleines Fischerdörfchen in einer malerischen Bucht im Süden Sri Lankas. Der tropische Regenwald grenzte einst direkt ans Ufer, doch heute hat sich eine dichte Reihe von Strandbars und Surfshops dazwischengeschoben – noch vor fünf Jahren gab es erst eine dieser LokalitĂ€ten. Die Bucht ist zum wahren Instagram-Hotspot geworden, eine Tourismus-Bubble. Entlang der holprigen StrandstrĂ€sschen entsteht eine luxuriöse Unterkunft nach der anderen, dazwischen Outdoor-Restaurants mit Co-Working-Spaces und Skateboard-Parks. Man stellt sich hier offensichtlich auf den Zustrom weiterer Tourist*innen ein. Die örtliche Infrastruktur ist schon jetzt überfordert, die Bürokratie trĂ€ge. Durchschnittliche Besucher*innen Hiriketiyas buchen fĂŒr eine Woche ein Yoga-Retreat mit ayurvedischer ErnĂ€hrung, geniessen tagsĂŒber die grossen Wellen und feiern abends auf den besten Partys. Eine nachhaltige Entwicklung für den Ort und die lokale Bevölkerung generiert dieser grösstenteils oberflĂ€chliche Tourismus nicht.
Ohne Zweifel ist auch die Architektur bis zu einem gewissen Grad Teil des Problems – auch der Bau von Atelier Abraha Achermann. Dennoch ist bei diesem vieles richtig gemacht worden, um sich langfristig mit dem Ort, der Baukultur und dem tropischen Klima in Beziehung zu setzen.
Wir haben Hiriketiya besucht, um ein eigenes Projekt – zwei BaumhĂ€user (Entwurf 2016 von Nina Ehrenbold, Daniela Sigg und DorothĂ©e Müller) – zu sehen und darin zu übernachten. Die BaumhĂ€user haben dieselbe Bauherrschaft wie das GĂ€stehaus. Das Schweizer Ehepaar mit sri-lankischen Wurzeln begleitete den Bau der HĂ€user vor Ort selbst. Es wohnt im Dorf und betreibt und vermietet die Unterkünfte. Beide Projekte haben gemein, dass innen und aussen nicht klar voneinander getrennt sind. Jeden Morgen von auf und unter dem Blechdach spielenden Affen geweckt zu werden, vermittelt dieses Gefühl am deutlichsten.

PorositÀt
Das GĂ€stehaus von Atelier Abraha Achermann steht auf einer Anhöhe zwischen der Hiriketiya- und der Dickwellabucht. Von der bereits erwĂ€hnten Strandstrasse, die diese beiden Buchten verbindet, verlĂ€uft zum Meer hin abfallend eine kleine Querstrasse. Das rechteckige Grundstück befindet sich am Ende der von ihr ausgebildeten Sackgasse. Die Parzelle schliesst mit ihrer Schmalseite an die Strasse an und fĂ€llt Richtung Süden zum Meer hin ab. WĂ€hrend sich der Hof zusammen mit dem Ankunftsbereich und der Küche zum leicht ansteigenden Hang hin orientiert, sind die vier GĂ€stezimmer talseitig mit Blick aufs Meer angeordnet.
Man betritt das GĂ€stehaus durch eine türgrosse Maueröffnung, die durch ein kleines Vordach akzentuiert ist, und wird dann von einem introvertierten EntrĂ©e empfangen. Links eine schmale Treppe und eine Abstellkammer mit Kuppel und runden, zum Meer hin ausgerichteten Lochfenstern (spĂ€ter erfahren wir, dass sie als Aussendusche geplant war), rechts eine Toilette mit archaischem Holztürblatt, davor eine aus Beton geformte Sitzbank, über uns eine kreisrunde Öffnung, dank der sich die Morgensonne auf der Wand abzeichnet. Ein gedrĂ€ngter Durchgang mit Schwellenpodest fĂŒhrt in den lĂ€nglichen, eher schmalen Hof unter freiem Himmel. Trotz bereits beachtlicher Hitze ist es hier angenehm kĂŒhl, und es herrscht eine ruhige Stimmung. Der Hof erinnert an Architekturen in anderen heissen Klimazonen, beispielsweise in Saudi-Arabien oder Marokko. Das Wasserbecken entlang der hangseitigen, circa fĂŒnf Meter hohen Einfriedung hilft, die Temperaturen etwas zu reduzieren. GegenĂŒber, von einer Betonstruktur gerahmt, erstreckt sich eine weiche, beinahe textil anmutende Holzwand, hinter der sich vier GĂ€stezimmer befinden. Zwei minimal dimensionierte VorrĂ€ume erschliessen jeweils zwei der Zimmer.
Auf Betonsockeln aufliegende Betten beherrschen die GĂ€stezimmer. Durch drehbare Holzlamellen fĂ€llt sanftes Licht in den Raum. Drei schmale Stufen fĂŒhren zur mit FaltlĂ€den komplett zu öffnenden Dusche hinunter. Über sie gelangt man ebenfalls auf die den Zimmern vorgelagerte private Terrasse, vor der unmittelbar das GrĂŒn des Dschungles wuchert.
ZurĂŒck im Hof – dem Dreh- und Angelpunkt des GebĂ€udes – haben wir uns an der offenen KĂŒche, welche den Hof stirnseitig abschliesst, einen Kaffee bestellt. Über die schmale Treppe bei der KĂŒche erreicht man die öffentliche Dachterrasse und kann von dort den grossartigen Blick aufs Meer geniessen. Trotz Sonnensegel ist es dort oben jedoch tagsĂŒber fast zu heiss. Die Aussenküche lĂ€sst aber erahnen, dass die Terrasse ab Einbruch der DĂ€mmerung ein angenehmer Aufenthaltsort sein muss. Eine turmartige, ĂŒber der Aussendusche gelegene runde Kanzel ist der höchstgelegene Aussichtspunkt und bei den GĂ€sten Ă€usserst beliebt.

Transfers
Daniel Abraha erzĂ€hlt uns spĂ€ter, dass zu Beginn des Entwurfsprozesses die Idee eines Holzhauses und natürlich die Auseinandersetzung mit Geoffrey Bawa stand. Dessen Bauwerke sollten aber lediglich als Inspiration, nicht als Vorlage dienen. Als klar wurde, dass das Holz trotz angrenzendem Regenwald importiert werden müsste, entstand die Idee eines Hauses aus Sichtbeton. Damit wurde quasi ein Stück Schweizer Baukultur nach Sri Lanka gebracht, und das Haus gerĂ€t obendrein nicht in Verdacht, sich den lokalen Vorbildern anbiedern zu wollen. Reizvoll an der Verwendung von Beton sei zudem die Möglichkeit gewesen, das GebĂ€ude mit einem lokalen Baumeister umsetzen zu können, was die Chance auf Akzeptanz deutlich erhöhe, so Daniel Abraha. Auch wenn das Bauen mit Sichtbeton vor Ort unĂŒblich ist, nahm der beauftragte Baumeister die Herausforderung an. Es wurde in kleinen Etappen betoniert. Dass man dem Beton die handwerkliche Fertigung und den lokalen Bauprozess mit beschrĂ€nkten Mitteln ansieht, war den Architekten durchaus willkommen. Wird die Meeresluft den Beton altern und so mit den Holzelementen und dem Wald noch stĂ€rker verschmelzen lassen?

Was ist Innen, was ist Aussen?
Fast gleicht das Haus – zumindest aus Schweizer Perspektive – einem Modell. Die teils skulptural anmutenden Öffnungen können, wo nötig, durch bewegliche Holzelemente wie Schiebetüren, drehbare Lamellen oder FaltlĂ€den geschlossen werden. Verglasungen gibt es keine. Jeder Raum verfügt über einen inszenierten Blick, einen eigenen Bezug zur Natur. Das Klima und DĂŒfte durchströmen das Haus. Besonders nachts ist man dem intensiven Meeresrauschen und zahlreichen unbekannten GerĂ€uschen des Regenwaldes ausgesetzt, fĂŒhlt sich aber geschĂŒtzt und geborgen, sobald die raumhohen HolzlĂ€den geschlossen sind. In den Duschen der Zimmer steht es den Besucher*innen wortwörtlich offen, ob sie die FaltlĂ€den schliessen oder aber gefĂŒhlt nackt im Regenwald duschen wollen. Trotz oder gerade wegen dieser Offenheit gelingt es dem Haus, mit der Hitze und dem starken Regen gezielt und klug umzugehen. Haus und Natur stehen in einem selbstverstĂ€ndlichen Dialog. Das Auflösen der Grenzen zwischen innen und aussen wurde zum zentralen Thema des Entwurfs – und damit entsteht doch wieder ein Bezug zu Geoffrey Bawas Arbeiten.
In der Architektur des GĂ€stehauses von Abraha Achermann verbindet sich die WertschĂ€tzung der lokalen Kultur mit charaktervollen Inspirationen von anderswo. Ist diese Herangehensweise ein mögliches Rezept für den globalisierten Tourismus Hiriketiyas? Nach unserem Besuch steht jedenfalls fest: Das GebĂ€ude ist ein inspirierendes Beispiel fĂŒr das Bauen im tropischen Kontext.

Text: DorothĂ©e MĂŒller & Thomas Schiratzki

Der Essay wurde ebenfalls veröffentlicht in Arc Mag 2022-2.

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