Projektdaten
Basisdaten
Gebäudedaten nach SIA 416
Beschreibung
Mitten auf der Weide
Im Herzen der hügeligen Landschaft des Kantons Freiburg fügt sich ein zweigeschossiges Holzhaus auf raffinierte Weise in die ländliche Umgebung ein.
Das Architekturbüro LVPH wurde von zwei Neolandwirten mit dem Bau eines Hauses beauftragt, das inmitten ihres landwirtschaftlich betriebenen Grundstücks errichtet werden sollte. So entstand im Jahr 2018 ein autonomes Holzhaus, das wie ein Belvedere in der Freiburger Landschaft steht.
Die Bauherren – ein Visual Merchandising Designer und ein IT-Sicherheitsingenieur – träumten von einem einfachen, kleinen, aber möglichst geräumigen Wohnhaus. Das Freiburger Architekturbüro LVPH entwickelte daraufhin auf dem abschüssigen Gelände ein Haus auf zwei Ebenen, welches sich durch seine besondere schwebende Leichtigkeit auszeichnet. Das 2018 erbaute 95 Quadratmeter grosse Haus ist völlig autonom und bietet seinen Besitzern unvergleichlichen Komfort mitten im Grünen. Der Neubau liegt in der Gemeinde Treyvaux FR auf 900 Metern Seehöhe und bietet den Landwirten einen zeitgemässen Lebensraum inmitten ihres Betriebs.
In die Landschaft integriert
Da das Grundstück innerhalb eines landwirtschaftlich genutzten Gebietes liegt und das Anwesen stark abschüssig verläuft, stellte der Bau eines Hauses die Architekten vor eine grössere Herausforderung. Es waren zahlreiche Gespräche nötig, bis man mit dem Amt für Landwirtschaft eine einvernehmliche Lösung gefunden hatte, die eine Veränderung des Geländeprofils so gering wie möglich hielt.
Der genaue Standort des Neubaus bestimmte sich durch die vorgefundenen Parameter vor Ort, etwa durch die Quelle, die das Haus mit Wasser versorgt, und die Zufahrtsstrasse zum Haus. Dieser hauptsächlich aus Bäumen und Weiden bestehende Ort sollte möglichst in seiner ursprünglichen Form belassen werden. Schon bald kamen die Architekten auf die Idee, das Haus auf Stelzen zu errichten, sodass es über dem Boden schwebt und das Gelände so wenig wie möglich verändert wird. Damit sich das Bauvolumen harmonisch in den umgebenden Baumbestand einfügt, entschlossen sich die Architekten als Material Holz in jeglicher Form zu verwenden.
Ein autonomes Haus
Für die Bauherrschaft wiederum bestand die grosse Herausforderung darin, nur das zu verwenden, was vor Ort in der Natur vorhanden ist. Das Haus funktioniert daher völlig autark. Das Wasser kommt aus einer bergabwärts liegenden Quelle, die Luft wird durch einen Holzofen und das Wasser durch eine Wärmepumpe erwärmt, während das Abwasser über 350 Meter abwärts in die Güllegrube des ursprünglichen Betriebs geleitet wird. Die Stromerzeugung erfolgt durch 63 Photovoltaikmodule auf dem Dach, zehn weitere Module wurden auf den Boden angebracht für den Fall, dass das Dach mit Schnee bedeckt ist. Das technische Wissen des Bauherren war für die Elektroinstallation unerlässlich.
Ein autarkes Haus zu bewohnen bedeutet auch, dass man etwas flexibel sein muss. Bei bedecktem Himmel sind die Photovoltaikmodule nicht besonders effizient. Die Hauseigentümer wissen, wie man den Lebensstil an die Witterungsverhältnisse anpasst und an bestimmten Tagen weniger Strom verbraucht.
Eine 360-Grad-Ansicht
Inmitten von Grasland und Kühen zu leben, kann für Landwirte als alltäglich empfunden werden. Das ganze Jahr über leben sie gewöhnlich auf ihrem Bauernhof, der aus einem Wirtschaftsteil und einer bewohnten Einheit besteht. Hierbei jedoch handelt es sich um ein reines Wohnhaus! Der Bauernhof selbst befindet sich an einem tiefer gelegenen Standort. Es galt also, ein aussergewöhnliches Objekt zu schaffen, das sich diese besondere Lage zunutze macht.
Das Wohnzimmer im Obergeschoss bietet eine optimale Aussicht auf das gesamte Grundstück. Die Idee war, eine Art Belvedere zu schaffen, von der aus man einen 360-Grad-Blick hat. Durch das Absenken der Fenster an der Südfassade verwandelt sich der Innenraum in einen echten Aussenraum, der das Gefühl vermittelt, der Natur ganz nahe zu sein. Das untere Geschoss besteht aus zwei Schlafzimmern, einem Badezimmer und einem Technikraum, die allesamt um den Eingang herum angeordnet sind. Das in sich selbst geschlossene Geschoss bietet den Bewohnern einen Rückzugsort.
Einfallsreiche Konstruktion
Zu den Besonderheiten dieses Bauwerks gehört das Fensteröffnungs-System im ersten Stock. Architekten und Bauunternehmen entwickelten ein System, bei dem die Fenster in die Fassade geschoben werden. Hierzu verfügt jedes Fenster über ein an der Fassade angebrachtes Gegengewicht, mit dem das Fenster manuell angehoben oder abgesenkt werden kann. Man fasst dabei den oberen Teil des Fensters und zieht ihn nach unten. Dadurch hebt sich das Gegengewicht, und das Fenster kann mit einem kleinen Schlüssel in der gewünschten Höhe arretiert werden. Das Öffnen und Schliessen der Fenster wird so zu einer regelrechten Handlung.
Obwohl Holz als Baumaterial bei diesem Projekt vorherrscht, spielt auch Beton eine wichtige Rolle. Der Maurer zeigte bemerkenswerte Präzision beim Giessen der Fundamente für die Stelzen, sodass die Holzkonstruktion perfekt auf diese ausgerichtet ist. Nachdem die Fundamente gegossen waren, dauerte die Errichtung des Hauses nur sechs Wochen, bis es schliesslich fertig mitten auf der Weide stand.
Simon Durand, LVPH Architectes, zu den Gegengewichten an den Fenstern:
«Das Gegengewicht ist einige Kilogramm schwerer als das Fenster, sodass es sich nach oben heben kann und gegen die Dichtung drückt.»
Kevin Salvi, LVPH Architectes, zur Tragkonstruktion aus Leimholz:
«Die Leimholzkonstruktion ermöglichte es, grosse Spannweiten zu erzielen. Die Pfosten haben einen Querschnitt von 24 x 36 Zentimeter und sind auf der einen Seite sieben Meter und auf der anderen Seite acht Meter hoch.»
Text: Valentin Oppliger
Erstveröffentlichung: Magazin der Schweizer Baudokumentation 2020 - 6