Architecture of Memory – wenn Räume Erinnerung werden
Wie erinnern wir uns an Räume – und wie lassen sich diese Erinnerungen sichtbar machen? Die Ausstellung Architecture of Memory im Architekturforum Zürich zeigt bis zum 26. April 2025 über 50 Beiträge von Architekt*innen und Künstler*innen aus der ganzen Schweiz, die persönliche Raumerinnerungen zeichnerisch und materiell umsetzen. Ein Besuch, der weniger auf fertige Bilder zielt als auf die Zwischentöne des Erinnerns – flüchtig, poetisch und manchmal überraschend konkret.

Die Ausstellung wurde von aka Architektur, Kunst und anderes aus Basel kuratiert.
Zwischen Vorstellung und Fragment
«Man sieht Bilder, man gibt Bilder wieder, man behält Bilder im Gedächtnis. Das Bild ist alles, nur nicht ein unmittelbares Erzeugnis der Einbildungskraft.» Mit diesen Worten von Gaston Bachelard zitiert im Ausstellungstext, stimmt Architecture of Memory auf das ein, was uns vor Ort erwartet: eine Reise in die Innenräume der Erinnerung. Wie formen Räume unsere Erinnerungen? Und wie lassen sich diese Erinnerungen sichtbar machen? Mit diesen Fragen setzt sich die Ausstellung auseinander, kuratiert vom Team von aka – Architektur, Kunst und anderes, Basel: Clara Maria Puglisi, Sonja Elisabeth Fuchs und Elodie Habert. Ihre Auswahl versammelt künstlerische und architektonische Positionen.
Als Redaktion haben wir die Ausstellung besucht – neugierig auf die Frage, wie sich Erinnerungen an Räume darstellen lassen, ohne sie einfach abzubilden. Die gezeigten Werke – Skizzen, Modelle, Collagen, Installationen – rekonstruieren keine realen Räume, sondern nähern sich deren Erinnerung an. Es sind Notizen, Spuren, persönliche Verdichtungen von räumlicher Erfahrung.

Links: Andrea Deplazes Zeichnung der Stube seiner Tata. Rechts: Collage von Dominique Salathé zu seinem Elternhaus | Foto: Nina Farhumand
Besonders eindrücklich zeigt sich das im Beitrag von Architekturprofessor Andrea Deplazes. Unter dem Titel «La stiva de la Tata» erinnert er sich an die Stube seiner Grossmutter – ein Raum, der sich über viele Jahre tief in sein Gedächtnis eingeschrieben hat:«Die Stube meiner Grossmutter ist der erste architektonische Raum, der mir, seit ich mich erinnern kann, ins Bewusstsein kam – nicht als Ganzer, sondern in vielen Eindrücken, ein Gefühl von zuhause. Seit ganz klein, in der Eckbank am runden Tisch, gab es eine Suppe oder Nascherei. Später, als Bub, war die Stube und der Platz am Tisch der Ort, wo ich las oder zeichnete. Dann strich mir die Tata ab und an über den Kopf. Seit sie gestorben ist, verschwand auch der gute Geist der Stube. Sie war der Sesam in einem kleinen Baumeister-Werkhof an der Brücke über die Plessur, saftige Aprikosen wuchsen am Spalier auf der Südfassade im Garten vor dem kleinen Haus. Es existiert nicht mehr, es musste einer Wohnüberbauung weichen.»

Raum für kollektive Erinnerungen | Foto: Nina Farhumand
Erinnerung als architektonischer Prozess
Was bleibt von einem Raum, wenn man ihn nur noch erinnert? Welche Details setzen sich fest, welche verschwinden? Architecture of Memory zeigt, dass Erinnerungen sich nicht eins zu eins in Bilder übersetzen lassen. Sie verändern sich mit der Zeit, sie verzerren, überlagern, verblassen – und genau darin liegt ihr gestalterisches Potenzial.
Was uns beim Rundgang besonders auffiel, war die Vielfalt der Herangehensweisen. Einige Beiträge reflektieren sehr konkret Kindheitsträume – das erste Zimmer, ein Flur, ein Dachboden. Andere arbeiten abstrakter, übersetzen Atmosphären, Lichtsituationen oder Materialitäten in visuelle Spuren. Trotz der Subjektivität vieler Arbeiten entsteht ein universelles Moment: die Erkenntnis, dass Erinnerungen nicht nur in der Zeit verankert sind, sondern im Raum. Wer plant und baut, gestaltet nicht nur Strukturen, sondern auch Erinnerungsräume.
Wie vielschichtig diese Erinnerungen sein können, zeigt auch der Beitrag von Architekturprofessor Dominique Salathé. Er beschreibt sein Elternhaus als schlichtes Fertighaus mit einer markanten «Redwood-Fassade» funktional, unspektakulär, aber voller Bedeutung. Die Räume waren nicht einfach bauliche Strukturen, sondern wurden durch Erlebnisse aufgeladen: das Atelier der Mutter im Keller, die Halle als verbindendes Element, der Sitzplatz unter dem Haselstrauch.
Viele der ausgestellten Arbeiten spielen bewusst mit dieser Unschärfe: Ein vermeintlich vertrautes Raumfragment entzieht sich der klaren Lesbarkeit. Ein Modell verweigert den Massstab. Eine Skizze hält nicht das Sichtbare fest, sondern das Gefühlte. Es geht weniger um Architektur im klassischen Sinn – sondern um das, was zwischen Raum und Erinnerung entsteht.
Ein Resonanzraum für eigene Erinnerungen
Was Architecture of Memory besonders macht, ist ihre Offenheit. Die Ausstellung formuliert keine Thesen und liefert keine fertigen Bilder – stattdessen schafft sie einen Raum für Assoziationen, Projektionen und persönliche Resonanz.
Begleitet wird der Rundgang durch eine Tonspur: Über QR-Codes bei jedem Beitrag lässt sich eine kurze Audio abspielen, die Einblicke in den jeweiligen Erinnerungsraum gibt. Die Stimmen der Ausstellenden führen behutsam in die Gedanken hinter den Arbeiten ein – mal erzählend, mal erklärend, mal ganz persönlich. Es entsteht ein leiser, aber intensiver Dialog zwischen Besucher*in und Werk.
Gerade für Architekt*innen eröffnet sich hier eine inspirierende Betrachtungsebene. Denn wer Räume entwirft, gestaltet nicht nur die gebaute Umwelt, sondern auch die Erinnerungen, die sich darin formen. Die Ausstellung erinnert daran, dass Architektur nicht nur gebaut, sondern auch erinnert wird – und dass diese erinnerte Architektur oft die tiefere Spur hinterlässt.

Zeichnungen, Fotografien und Skizzen hängen in einem offenen Gerüst und machen die Vielfalt individueller Raumwahrnehmungen sichtbar.
Architekturforum Zürich
Architecture of Memory
Ausstellung: Bis 26. April 2025
Ort: Zollstrasse 115, Zürich
Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr 12–18 Uhr, Do 14–20 Uhr, Sa 11–17 Uhr