Tatiana Bilbao Estudio – Architektur für die Gemeinschaft
Die von Karin Gimmi kuratierte Ausstellung präsentiert sich als raumübergreifende Installation mit sieben ausgewählten Projekten aus Mexiko, den USA und Frankreich. Die begehbare Collage, die von Tatiana Bilbao Estudio speziell für den Ausstellungsraum im Toni-Areal entworfen wurde, bietet nicht nur monografische Informationen, sondern greift auch Themen wie den ressourcenschonenden Umgang mit Materialien auf. Dabei spiegelt die überdimensionale Collage als zentrales Element der Szenografie ein wichtiges Werkzeug im Entwurfsprozess des Studios wider.

Begehbare Collage | Foto: Nina Farhumand
Die Installation erinnert an eine Theaterkulisse – bühnenbildartige Objekte hängen von der Decke und weisen Analogien zum Teatro Olimpico in Vicenza von Andrea Palladio auf. Geschickt verbindet die Gestaltungsform die Projekttexte und Pläne, die an einer Wand präsentiert werden, mit den grossformatigen Fotografien auf der gegenüberliegenden Seite, die jedes Projekt zeigen. Die Grundrisse wurden per Hand gezeichnet, wobei das manuelle Zeichnen und die Collagetechnik ein Markenzeichen von TBE sind. Der Fokus liegt auf der visuellen Materialität, während Backstein oder Beton lediglich inszeniert werden.
Die Projekte reichen von dem Jardín Botánico in Culiacán (2005) über den beeindruckenden sozialen Wohnungsbau in Acuña (2016) bis hin zu dem eindrucksvollen Stadtentwicklungsprojekt La Confluence in Lyon, das von Herzog & de Meuron geleitet wurde (2019). Zusätzlich wird ein noch nicht realisierter Entwurf eines Zisterzienserklosters in Brandenburg, Deutschland vorgestellt.
Der Botanische Garten von Culiacán wurde ins Leben gerufen, um die reiche Artenvielfalt des nordwestlichen Mexikos zu schützen, zu erkunden und der Gesellschaft zugänglich zu machen. Seine Sammlungen von Palmen und Bambus zählen zu den herausragendsten in ganz Nordamerika. Die schlichten, aus Beton gefertigten Strukturen wurden speziell entworfen, um das Raumklima in dieser heissen Umgebung zu regulieren. In einer Stadt, die von Kriminalität geprägt ist, bietet der Garten den Bürger*innen einen friedlichen Rückzugsort.
Das Konzept von Olive West sah vor, im Stadtzentrum 20 Einfamilienhäuser zu bauen. Die Auftraggeberin war Emily Rauh Pulitzer, Mitbegründerin der Pulitzer Arts Foundation. TBE integrierte die Häuser zu einer gemeinsamen Wohnanlage, indem Zwischenräume geschaffen wurden und die herkömmliche Typologie von Stadthäusern mit einer Strassen- und einer Gartenseite aufgelöst wurde.
Die Topograpfie des Geländes der Universität von Monterrey und die Vielfalt der geforderten Nutzungen haben dazu geführt, das Gebäude als ein Konglomerat von rechteckigen Volumen zu konzipieren, die aus dem Erdgeschoss herausragen und jeweils eine bestimmte Funktion erfüllen. Die privaten Bereiche befinden sich an der Basis des Projekts, während sich die Öffentlichen auf den oberen Ebenen öffnen.
Vor der Realisierung eines Baus erfolgt stets die Analyse der Landschaft und der gesellschaftlichen Bedingungen. Dies war auch bei der Planung des sozialen Wohnbaus in Acuna der Fall. Die 2015 errichtete Siedlung verfügt über 15 Wohneinheiten von jeweils 52 Quadratmetern. Rund 8000 CHF kostet ein Haus. Bilbao ist es wichtig, auch weniger privilegierten Menschen einen visuell ansprechenden Lebensraum zu ermöglichen.
Im Jahr 2007 begann die Stadt Lyon mit der Wiederbelebung des ehemaligen Industriegebiets La Confluence. Herzog & de Meuron wurden beauftragt, den Masterplan für die zweite Phase des Projekts zu entwickeln. Unter dem Motto «Einheit in der Vielfalt» wurde eine Gruppe internationaler Architekten eingeladen, an der Entwicklung der einzelnen Bauten mitzuwirken. TBE entwarf und realisierte drei Neubauten, zwei städtische Sozialbauten sowie ein Gebäude mit 23 Wohnungen für den freien Markt.
Jährlich begeben sich knapp drei Millionen Pilger*innen auf die 117 Kilometer lange Wallfahrtsroute zwischen Ameca und Talpa de Allende. TBE schafften fehlende Infrastrukturen wie Unterkünfte und Rastore. Zusätzlich bieter der Pilgerweg von Ameca acht architektonisch künstlerische Aussichtspunkte.
Der Bau eines grossen Meeresaquariums in Mazatlán (Forschungszentrum der Sea of Cortez) war ursprünglich als Touristenattraktion geplant. Tatiana Bilbao jedoch hinterfragte das Projekt. Das von ihr realisierte Konzept stellt die Begegnung des Menschen mit einem marinen Ökosystem, dem Mar der Cortés, in den Mittelpunkt. Eine Welt, die normalerweise nicht zugänglich ist, wird durch verschiedene Aquarien und das Vermittlungsangebot in den Forschungslabors für die Öffentlichkeit sichtbar.

Kloster Maria Friedenshort, Neuzelle, Deutschland, seit 2017
Ein weiterer Raum wird anhand eines aktuellen Projektes – dem Neubau eines Zisterzienserklosters in Neuzelle – näher beleuchtet. Einblick in die Arbeitsweise bietet zudem ein Filmporträt, das im Studio von Tatiana Bilbao in Mexiko-Stadt gedreht wurde. Diese Elemente ermöglichen es den Besucher*innen, den gesamten Prozess von der Planung bis zur Umsetzung eines Bauwerkes nachzuvollziehen.

Materialstudie | Foto: Nina Farhumand
Das Tatiana Bilbao Estudio (TBE) betrachtet Architektur und Bau als einen fortlaufenden Prozess des Denkens und Handelns, der eng mit einem Netzwerk von Menschen und Orten verknüpft ist. Diese innovative Herangehensweise wurde in den letzten Jahren mehrfach ausgezeichnet, darunter 2022 mit der Auszeichnung als AW Architektin des Jahres. Mit einem Team von rund 40 Mitgliedern aus verschiedenen Disziplinen erforscht Bilbao die spezifischen Anforderungen an ihre Architektur und deren Auswirkungen.
Die Arbeiten von Tatiana Bilbao umfassen ein breites Spektrum, das von Projekten für wohlhabende Kunden bis hin zu Sozialwohnungen für die Ärmsten reicht, was die soziale Kluft verdeutlicht. Trotz dieser Unterschiede strebt sie danach, eine Architektur der Gemeinschaft zu schaffen. Dies wird durch die gezeigten Projekte veranschaulicht, die jeweils einen anderen Ansatz zur Förderung von Gemeinschaftssinn aufzeigen. Ein Beispiel hierfür ist der Gebäudekomplex La Confluence, der Sozialwohnungen und Luxusresidenzen miteinander vereint.
Museum für Gestaltung
Tatiana Bilbao Estudio – Architektur für die Gemeinschaft
Ausstellung: Bis 2. Juni 2024
Ort: Toni Areal, Pfingstweidstrasse 96, Zürich
Öffnungszeiten: Di – So 14 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr










