Was war werden könnte – Experimente zwischen Denkmalpflege und Architektur

 

Veröffentlicht am 20. Mai 2025 von
Nina Farhumand

Die Ausstellung im S AM, kuratiert von Yuma Shinohara in Zusammenarbeit mit der Professur für Konstruktionserbe und Denkmalpflege der ETH Zürich, lädt bis zum 14. September zur Reflexion ein: Kann der Blick zurück ein Weg nach vorn sein? Die Schau beleuchtet diese Frage, indem sie zeigt, wie Erhalt und kreative Weiterentwicklung des Bestands zu einer Wende im Bauen beitragen können. Nachhaltigkeit wird dabei nicht als Verzicht, sondern als Chance verstanden, neue Wege zwischen Denkmalpflege und moderner Architektur zu gehen.

Blick in die Ausstellung: Mit einer grossformatigen Zeitleiste, Fotos, Dokumenten und sorgfältig inszenierten Objekten verbindet die Ausstellung historische Inhalte mit einer klaren Gestaltung. | Foto © S AM Schweizerisches Architekturmuseum

Blick in die Ausstellung: Mit einer grossformatigen Zeitleiste, Fotos, Dokumenten und sorgfältig inszenierten Objekten verbindet die Ausstellung historische Inhalte mit einer klaren Gestaltung. | Foto © S AM Schweizerisches Architekturmuseum

Blick in die Ausstellung: Mit einer grossformatigen Zeitleiste, Fotos, Dokumenten und sorgfältig inszenierten Objekten verbindet die Ausstellung historische Inhalte mit einer klaren Gestaltung. | Foto © S AM Schweizerisches Architekturmuseum

Bestand als Ressource

Die Ausstellung zeigt auf, wie Architektur als Weiterbauen verstanden werden kann – als Auseinandersetzung mit dem Bestehenden und als Beitrag zur ökologischen und kulturellen Transformation. Sie richtet sich an Architekt*innen, die den Bestand nicht als Hemmnis, sondern als Ressource und Chance begreifen. Theorie und Praxis greifen dabei ineinander. Zugleich lädt die Schau dazu ein, vertraute Grenzziehungen zwischen Alt und Neu, Vergangenheit und Zukunft zu hinterfragen. Im Zentrum steht nicht der Neubau, sondern ein bewusster, vielschichtiger Umgang mit dem Vorgefundenen – materiell, räumlich, gesellschaftlich.

Thematisiert werden aktuelle Umbauprojekte im Spannungsfeld von Denkmalpflege und Architektur.

Thematisiert werden aktuelle Umbauprojekte im Spannungsfeld von Denkmalpflege und Architektur.

Thematisiert werden aktuelle Umbauprojekte im Spannungsfeld von Denkmalpflege und Architektur.
Zeitleiste zur Entwicklung des baukulturellen Denkens seit 1965 – mit Fokus auf das Denkmalschutzjahr 1975.
| Fotos © S AM Schweizerisches Architekturmuseum

1975 als Zäsur

Ein historischer Ausgangspunkt der Ausstellung ist das Europäische Denkmalschutzjahr 1975. Unter dem Motto «Eine Zukunft für unsere Vergangenheit» lancierte der Europarat eine europaweite Kampagne zur Bewahrung des baukulturellen Erbes – als Reaktion auf die massive Abrisswelle der Nachkriegsjahrzehnte. In der Schweiz stärkte das Jahr die institutionelle und politische Verankerung der Denkmalpflege und markierte zugleich eine inhaltliche Öffnung: Der Denkmalbegriff wurde erweitert und schloss fortan auch Ensembles, Alltagsarchitekturen und Kulturlandschaften ein. Die Swiss Arc Redaktion verfolgt mit Interesse, wie die Ausstellung diesen historischen Moment nutzt, um zentrale Fragen an die Zukunft des Bauens zu stellen.

Meili, Peter & Partner, Energetische Sanierung Telli B&C, Aarau, 2016–2023 | Foto: Karin Gauch, Fabien Schwartz

Meili, Peter & Partner, Energetische Sanierung Telli B&C, Aarau, 2016–2023 | Foto: Karin Gauch, Fabien Schwartz

Meili, Peter & Partner, Energetische Sanierung Telli B&C, Aarau, 2016–2023 | Foto: Karin Gauch, Fabien Schwartz

Disziplinen im Dialog

Lange standen sich Architektur und Denkmalpflege eher skeptisch gegenüber. Heute nähern sie sich einander an. Die Ausstellung macht deutlich: Der Erhalt ist kein Bremser, sondern eröffnet gestalterische Spielräume. Viele Projekte entstehen nicht aus gesetzlichem Zwang, sondern aus der Initiative von Planenden selbst. Herausragend ist etwa die Instandsetzung des Zürcher Kongresshauses durch ARGE Boesch Diener. Der Bau von 1939 verband damals Moderne mit historischer Substanz – heute wurde er subtil weitergebaut und von späteren Überformungen befreit. Ein weiteres Beispiel ist die energetische Sanierung der Wohnzeilen B&C der Grosssiedlung Telli in Aarau durch Meili, Peter & Partner Architekten. 581 Wohnungen wurden im bewohnten Zustand erneuert, die Fassaden überarbeitet, die Energieeffizienz massiv verbessert – ohne die architektonische Identität der Siedlung zu gefährden. Ebenso eindrucksvoll ist der Umbau der Alten Reithalle in Aarau durch Barão-Hutter Architekten. Die ehemalige Militärreithalle von 1864 wurde in ein flexibles Mehrspartenhaus für Theater, Tanz, Musik und Zirkus verwandelt. Dabei blieb die historische Bausubstanz weitgehend erhalten. Neue Elemente wie ein überhöhtes Dach und moderne Bühnentechnik wurden behutsam integriert. Was sich in allen Projekten zeigt: Im bewussten Umgang mit dem Bestehenden entsteht eine Haltung, die Gestaltung prägt.

Barão-Hutter Atelier, Alte Reithalle, Aarau, 2021 | Foto: Luca Zanier

Barão-Hutter Atelier, Alte Reithalle, Aarau, 2021 | Foto: Luca Zanier

Barão-Hutter Atelier, Alte Reithalle, Aarau, 2021 | Foto: Luca Zanier

Denkmalpflege als Zukunftsfrage

Ein Raum der Ausstellung wurde von Studierenden der ETH Zürich kuratiert. Sie untersuchten aktuelle Umbauten, verknüpften sie mit denkmalpflegerischen Leitsätzen und entwickelten eigene Konzepte. Ihre Beiträge zeigen: Jeder Eingriff ist ein Einzelfall. Planung bedeutet hier Verhandeln – mit Substanz, Bauherrschaft und Behörden. Wie könnte Denkmalpflege im Jahr 2075 aussehen? Diese Frage stellt der letzte Teil der Ausstellung. Der Fokus weitet sich – weg vom geschützten Einzelobjekt, hin zur alltäglichen, nicht inventarisierten Substanz. Unsere Redaktion versteht die Ausstellung als Anstoss zur Diskussion – und als Einladung, Denkmalpflege nicht rückwärtsgewandt, sondern zukunftsoffen zu denken.

Ein partizipativer Audioguide, die Leseecke mit Positionen aus Theorie und Praxis sowie die «Denk-Mal-Bar» ergänzen die Schau um Formate des Austauschs. Letztere bietet Raum für Gespräche in informeller Atmosphäre – bei Getränken, Büchern und Gästen aus Praxis und Forschung. Jeder Abend steht unter einem bestimmten Motto, etwa Rotwein mit Dieter Righetti (Diener & Diener Architekten) oder Dry Martini mit Reto Nussbaumer (Kantonaler Denkmalpfleger Aargau) – ein spielerischer Zugang zu ernsten Themen.

S AM Schweizerisches Architekturmuseum

Was war werden könnte – Experimente zwischen Denkmalpflege und Architektur

Ausstellung: Bis 14. September

Ort: Steinenberg 7, Basel

Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr 11–18 Uhr, Do 11–20:30 Uhr, Sa/So 11–17 Uhr

Weitere Informationen

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