Autobahnrasthof Gotthard Süd

 
6467 Schattdorf,
Schweiz

Veröffentlicht am 10. November 2020
alp architektur lischer partner ag

Autobahnrasthof Gotthard Süd Westansicht auf den Rasthof. Gesehen vom westlichen Brückenkopf der neuen Hängebrücke über die Reuss Rasthofvorfahrt, Blick aus südlicher Richtung mit vorgesetzter Tankstelle Innerer Flur zum grossen Speisesaal, im Hintergrund die Eingangshalle. Rechts schliesst sich der Selbstbedienungs- bereich an, links gibt es zwei Glastüren zur Aussenterrasse. Grosse Eingangshalle, Blick  vom Eingang nach Westen.  Blick hinauf auf die Empore auf eine Wilhelm-Tell-Skulptur. Mit einem 6-stufigen Steinpodest wird die Höhe zur Dammkrone überwunden. Shopbereich Grosser Speisesaal Herrentoilette. Die Einzeltoiletten zitieren das freistehende Plumpsklo hinter einem Bauernhaus. Die Architekten erbrachten den Nachweis, dass auch mit Einzeltoiletten die erforderliche Anzahl unterzubringen waren. Eine serielle Reihung war nicht nötig. Gebäudeteil mit dem Speisesaal Gut erkennbar die Leimholzbinder und die halboffene Lattung  mit den so genannten «Verschleissbrettern» aus Weisstanne Fassadenschalung, Weisstanne massiv, sägerauh Mineralischer faserarmierter Terrazzo, Basis Weisszement, Sandkornmischung aus Kieswerk Ballwil

Projektdaten

Basisdaten

Lage des Objektes
Dimmerschachen, 6467 Schattdorf, Schweiz
Fertigstellung
01.2018

Gebäudedaten nach SIA 416

Stockwerke
2
Grundstücksfläche
20'646 m²
Geschossfläche
2391 m²
Gebäudevolumen
11'870 m³

Beschreibung

Entschleunigung total

An der Gotthardautobahn wurde im Urner Reusstal der Rasthof in Fahrtrichtung Süd durch einen Neubau ersetzt. Der Entwurf strebt eine typologische Annäherung an Bauformen des Alpenraums an, und will gleichzeitig Erholungsraum schaffen.

«Keiner von uns hätte erwartet, dass die Reuss so unmittelbar am Rasthof vorbeifliesst!», stellt Nicole Renggli-Frey vom Luzerner Büro Alp Architektur Lischer Partner fest. Es gewann den Realisierungswettbewerb für den Ersatzneubau der angejahrten Autobahnraststätte. Die Reuss entzog sich infolge ihrer Eindeichung dem Blick: Man sah nur einen Erdwall, in heutiger Zeit ein vertrauter Topos im Rahmen zunehmenden Emissionsschutzes.
In der Wettbewerbsauslobung fragte die Bauherrschaft nach einer Eingliederung der neuen Architektur in das bestehende, amorphe Umfeld. Daniel Lischer und sein Team begannen daraufhin, das Urner Reusstal zu analysieren. Schnell stiessen sie auf die historischen, frei stehenden Nadelholzscheunen und natürlich auf die typischen Plumpsklos in kleinen, frei stehenden Holzverschlägen, – doch dazu an späterer Stelle mehr.

Knotenpunkt dreier Flüsse
Den Rasthof Gotthard Süd betrachten die Architekten als Knotenpunkt dreier Flüsse: den Fluss der Autos, den des Wassers und den Fluss der Radfahrer, denn auf dem erwähntem Deich verläuft ein beliebter Radweg. Dieser beginnt am Vierwaldstättersee und mündet in den Weg für den Langsamverkehr zum Gotthard – in der alten, heute verkehrsberuhigten Passstrasse, nunmehr ausgebaut als Rennradweg.
Seit August 2020 überspannt zudem eine Hängebrücke die Reuss auf Höhe des Rasthofes. Sie wurde von der Conzett Bronzini Partner AG aus Chur realisiert und bindet nicht nur einen Wanderweg, sondern eine echte Walduferwiese zum Picknicken nahe des Rasthofs an.
Über sechs Stufen gelangt man im neuen Rasthof durch eine lichtdurchflutete Eingangshalle auf das Dammkronenniveau hinauf, der heutigen Hauptebene. Hier befinden sich der Selbstbedienungsbereich, der grosse Speisesaal und die zur Reuss hin orientierte Aussenterrasse. Der Shopbereich liegt hingegen weiterhin auf Parkplatzhöhe. Die Toiletten sind nicht versteckt im Keller, sondern hell im Obergeschoss inszeniert.

Baukonstruktion
Der neue Rasthof Gotthard-Süd nutzt die bestehenden Kellerbereiche des Vorgängerbaus, insbesondere einen logistischen Verbindungstunnel zum gegenüberliegenden Rasthof der Nordrichtung. An den Bestand angearbeitet wurde ein neuer Betonsockel um die Höhe der Dammkrone zu erreichen. Als Zuschlag für diese Ortbetonkonstruktion wurde Flusskies der Reuss verwandt. Darauf steht die ikonisch wirkende Holzkonstruktion, die in vier zueinander leicht versetzte Gebäudeabschnitte geteilt ist. Auch damit werden Assoziationen zu heterogenen Scheunenbauten geweckt. Getragen werden die Satteldächer von einer Schar aus rund zehn Meter langen Fichtenleimholzbindern. Sie überspannen stützenfrei die Innenräume, um im First momentenfrei aneinanderzustossen.
Entsprechend den sichtbaren Gebäudeabschnitten ist der Rasthof in vier Nutzungen aufgeteilt: Den Speisesaal, den Selbstbedienungsbereich, die Eingangshalle mit Glasdach und Wilhelm-Tell-Skulptur sowie den Shop. Die Toiletten sind oberhalb des Selbstbedienungsbereiches angeordnet. Da in dessen Fussboden nicht nur die WC-Fallrohre, sondern auch die Küchenhaustechnik zu integrieren war, arbeiteten die Architekten hier mit einem Massivbau aus Betonfertigteildecken und ebensolchen Rundstützen. Nach dem Haus-im-Haus-Prinzip ist dieser in die Holzkonstruktion eingestellt.

Toiletten von zentraler Bedeutung
Kaum ein anderer Ort wird nach der Attraktivität seiner Toiletten beurteilt wie ein Autobahnrasthof. Insofern waren die Architekten bestrebt, nicht nur ein ortstypisches Flair, sondern auch eine subtile Aussenraumbeziehung zu schaffen. Begünstigt wurde dies durch die Anordnung der Toiletten im Obergeschoss, die diskrete Blickbezüge in die umgebende Alpenlandschaft gestatten. Bewusst haben sich die Planer für Einzeltoiletten entschieden und nicht für deren Anordnung in Reihe. Dennoch konnten sie den Nachweis über die vorgeschriebene Anzahl erbringen. Mit diesem Detail bedienten sie bewusst das eingangs erwähnte Plumpsklobild, das sie mit einer romantischen Alpenreise assoziieren. Um dieses Bild abzurunden, wurden die Toilettentüren mit sägerauen Latten aus Weisstannenholz aufgedoppelt.

Voller Durchblick
Die äussere Anmutung des Rasthofes ist geprägt von den vertikalen «Verschleissbrettern» der Fassade. Sie zitieren das historische Scheunenmotiv, fungieren aber auch als konstruktiver Sonnenschutz für die dahinterliegende und deshalb nur leicht getönte Verglasung. Erstellt wurde die Vertikallattung aus Schweizer Weisstanne aus dem Napfgebiet – eine weitere Hommage an den umgebenden Naturraum.
Die heissen Tage der letzten Sommer haben gezeigt, dass das Wärmekonzept funktioniert. Beeindruckend ist der Ausblick aus dem Gebäude auf die umgebende Alpenlandschaft, vor allem auf den benachbarten Berg «Tschingelflue».

Nicole Renggli-Frey, Dipl. Arch. ETH/UFAI Partnerin bei Alp Architektur Lischer Partner AG, über die Fassadenschalung (Weisstanne massiv, sägerauh):
«Der Innenraum wird durch die Fassade geprägt, deren Durchlässigkeit die umgebende Natur erlebbar macht. Die Unterteilung der Räume sollebenfalls Sichtbezüge zwischen den Nutzungen ermöglichen und den Gast einladen, alle Angebote zu entdecken.»

Nicole Renggli-Frey, Dipl. Arch. ETH/UFAI Partnerin bei Alp Architektur Lischer Partner AG, über den mineralischen faserarmierten Terrazzo:
«Die Bauherrschaft gab «Wilhelm Tell» als Projektvision. Wir wollten aber kein Apfel-auf-dem-Kopf-Klischee realisieren, sondern haben stark auf Regionalität geachtet: Reuss-Kies, Weisstannenholz vom Napf, historische Gebäudezitate.»

Text: Robert Mehl

Erstveröffentlichung: Magazin der Schweizer Baudokumentation 2020 - 6

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