Bundesstrafgericht Bellinzona

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6501 Bellinzona,
Schweiz

Veröffentlicht am 08. Januar 2016
Bearth & Deplazes AG + Durisch + Nolli Architetti Sagl Architetti + Gramazio & Kohler GmbH
Teilnahme am Swiss Arc Award 2015

Ostfassade Eingangsfassade Eingangshalle Lichthof Lichthof Lichthof Lichthof Grosser Gerichtssaal Grosser Gerichtssaal Grosser Gerichtssaal Cafeteria Bibliothek

Projektdaten

Basisdaten

Lage des Objektes
Viale Stefano Franscini 7, 6501 Bellinzona, Schweiz
Gebäudeart
Fertigstellung
10.2013

Gebäudedaten nach SIA 416

Stockwerke
3 bis 5
Anzahl Kellergeschosse
2
Grundstücksfläche
4115 m²
Geschossfläche
9514 m²
Nutzfläche
5115 m²
Gebäudevolumen
36'902 m³
Gebäudekosten (BKP 2)
30,2 Mio. CHF
Anzahl Arbeitsplätze
82
Parkplätze
37

Beschreibung

Erweiterungsbau an bestehendem, neoklassizistischem Kopfbau mit offener Eingangshalle. Mit dem geplanten Kantonsgericht, dem «Pretorio», Einheit aus zwei Gerichtsgebäuden mit dazwischenliegendem, öffentlichem Park.

Das neue Gebäude des Bundesstrafgerichts befindet sich in der Viale Stefano Franscini an der Stelle der früheren Handelsschule, von welcher der zweigeschossige Haupttrakt erhalten blieb. Dieser war als Teil eines repräsentativen, jedoch einfachen neoklassizistischen Kopfbaus errichtet worden und nimmt auch heute, nach seiner Renovation und Umgestaltung, seine Aufgabe als Haupteingang mit offener Vorhalle wahr. Ebenfalls als Resultat eines Umbaus wird in unmittelbarer Nachbarschaft, im heutigen «Pretorio», das neue kantonale Strafgericht entstehen. Zwischen den beiden Gerichtsgebäuden wird ein öffentlicher Park angelegt. Verdeckt hinter dem neu-alten Kopfbau des Bundesstrafgerichts ist ein neuer, dreigeschossiger Trakt, aussen und innen aus weissem, glattem Sichtbeton, entstanden. Er setzt die plastische Gestalt des neoklassizistischen Gebäudes in der leicht vorkragenden Stapelung der Geschosse und in den Proportionen und kannelierten Leibungen der Fensteröffnungen fort. Die rundherum gleichmässig in die Fassaden eingelassenen Öffnungen lassen auf den ersten Blick auf ein Bürogebäude schliessen – und tatsächlich sind alle Arbeitsräume peripher hinter den Fassaden aufgereiht. Zwei Lichthöfe belichten zusätzlich im Innern die Bürotrakte und bilden Orientierungsorte im dichten Raumgefüge.
Im Kern des Gebäudes befindet sich der für die neue Institution charakteristische grosse Gerichtssaal. Ihm vorgelagert ist der kleinere Besuchersaal, der wiederum vom kleinen Gerichtssaal und vom Pressesaal flankiert wird. Im Rahmen der öffentlichen Verhandlungen der Strafkammer sind diese Bereiche dem Publikum sowie den Medienschaffenden, im Gegensatz zu den weiteren Räumlichkeiten, grundsätzlich zugänglich. Über dem grossen Gerichtssaal, um seine Kuppel herum angeordnet, befindet sich die Bibliothek, während im Kopfbau Cafeteria und Sitzungszimmer liegen.
Die Architektur und die Innenwelt des Bundesstrafgerichts werden von zwei Leitmotiven durchzogen, die wie zwei Gegenpole erscheinen: die Glätte des weissen Sichtbetons und die plastische Ornamentierung der Gerichtssäle. Tatsächlich ist der gesamte Neubau als sogenannter Edelrohbau konzipiert, das heisst er wurde präzise und durch glatte Schalungen veredelt in weissem Sichtbeton ausgeführt, sodass nur noch wenige Fertigstellungsarbeiten nachfolgten, wie die Fenster und Türen in Räuchereiche, die dunklen Holzböden, die feingeschliffenen, mit weissem Sand durchsetzten Terrazzoböden sowie die Geländer aus bronzefarbenem Messing. Das zenital einfallende Sonnenlicht verleiht den Räumen schliesslich eine dezente Stille. Die Säle sind bewusst in weissem Sichtbeton materialisiert. Das ist, zumindest im Vergleich zu bisher baulich umgesetzten Gerichtssälen, eher ungewöhnlich, wo doch oft aus akustischen und repräsentativen Gründen Auskleidungen für Wände, Decken und Böden sowie Mobiliar aus (meist dunklen) Hölzern zu finden sind.
Das «Sprechen von Recht» war stets von Bedeutung – nicht nur für die involvierten Parteien, sondern auch für das Zusammenleben in der Gesellschaft. Es erstaunt daher wenig, dass die Rechtsprechung seit jeher an besonderen Orten und in speziellen Räumen stattfand, so etwa im Thronsaal des Regenten, im Ratssaal des Parlaments, in Amtsstuben, im Sakralraum der Kirche, am auserwählten Ort unter der Linde oder der mythischen Eiche auf dem Felde. Entsprechend sind auch die architektonischen Quellen für diesen Ort oder Raum vielfältig. Die Gerichtssäle des Bundesstrafgerichts sind im Grundriss quadratisch. Sie werden je von einer Kuppel in Form von Pyramiden überwölbt, deren Spitzen gekappt sind und mit Oberlichtern abschliessen, sodass in die Tiefe des Raumes zenitales Licht einfällt. Die Kuppelschalen sind reich und plastisch ornamentiert, wie man es von barocken Stuckaturen kennt. Tatsächlich sind sie aus vorfabrizierten dreieckigen Betonpaneelen zusammengesetzt, die in ihrer Gesamtheit die tragfähigen Kuppeln bilden. Um das Problem der Akustik zu lösen, sind Löcher in sie eingelassen, in denen sich der Schall verfangen kann. Die in der Tiefe konischen, runden Aussparungen sind derart in das Gespinst des Ornaments eingewoben, dass sie selbst Teil davon werden.
Das florale Gewebe überzieht die Kuppeln wie das Geäst und Laub von Baumkronen. Hier lässt sich die konzeptionelle Schnittstelle von Glätte und Plastizität, von nüchterner Sachlichkeit und üppiger Monumentalität, von Rechtsprechung und Ritual, von Logik und Repräsentation auffinden. Das Weiss des Betons steht nicht nur für Sachlichkeit, Klarheit, Reinheit und Wahrheit, es ist auch die Farbe des noch unbeschriebenen Blatts und der Unvoreingenommenheit. Insofern durchweht die Gerichtssäle ein stiller, durchaus sakraler Hauch. Vor diesem Hintergrund könnte man das neue Gebäude des Bundesstrafgerichts in Bellinzona, im Licht des Südens betrachtet, als besonnen-sachlichen Monumentalbau bezeichnen.

Besonderheiten
Die Kuppelschalen der Gerichtssäle sind aus durchbrochenem Weissbeton, vorgefertigten, dreieckigen, gegeneinander gedrehten Elementen, zusammengesetzt, die miteinander vergossen sind. Die Konzeption des ornamentalen Musters war eine Zusammenarbeit mit den Architekten Gramazio & Kohler aus Zürich. Für die Herstellung der Kuppelschalen wurden digitale Entwurfs- und Fabrikationsprozesse eingesetzt. Der Neubau wurde als Edelrohbau in Weissbeton konzipiert.

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