
Durchgangszentrum Volketswil
,
Schweiz
Veröffentlicht am 15. Januar 2021
baubüro in situ ag
Projektdaten
Basisdaten
Gebäudedaten nach SIA 416
Beschreibung
Pragmatische Ästhetik
Das kantonale Durchgangszentrum Volketswil ersetzt das Durchgangszentrum Hegnau, das bisher in einer bestehenden Liegenschaft eingemietet war. Der Gemeinderat bot nach dessen Kündigung ein geeignetes Grundstück für einen neuen Standort an. Das im Asylbau erfahrene Team des Baubüros «in situ» erhielt den Auftrag, einen Neubau zusammen mit dem Gesamtleister Schaerholzbau zu erstellen.
Im Mai 2019 wurde der Gesamtbaukredit von 7.48 Millionen Franken von der Einwohnergemeinde mit einer klaren Mehrheit bewilligt. Bereits im September 2020 wurde das neue Haus an der Tolackerstrasse in Betrieb genommen. Es bietet 134 Asylsuchenden Platz, die den Kantonen aus den Bundesasylzentren zugeteilt und hier während einiger Monate auf eine selbstständige Lebensführung in der Schweiz vorbereitet werden. Im Gegensatz zu kommunalen Wohnunterkünften werden Durchgangszentren im Auftrag des Kantonalen Sozialamtes Zürich von der Asyl-Organisation Zürich, der AOZ, betrieben.
Land in Sicht
Alternative Wohnformen, seien es Genossenschaften, Patchwork-Familien oder Mehrgenerationenprojekte, sind mehr denn je eine Selbstverständlichkeit. Allgemein verändert sich die Mobilität der Gesellschaft. Beispielsweise etabliert sich Homeoffice und Pop-up-Stores ersetzen Quartierläden. Das verändert auch das Sicherheitsdenken: Immer öfter werden Projekte auch für kürzere Zeiträume umgesetzt. Diese Chancen nutzt das Baubüro «in situ». Es realisierte in den letzten Jahren mehrere Asylunterkünfte. Insbesondere bei Umnutzungen von Industriebrachen konnte es den Beweis erbringen, dass qualitätsvolles Bauen die Akzeptanz für temporäre Lösungen beeinflusst.
Noch bis vor wenigen Jahrzehnten wurden «Gastarbeiter» in Barackensiedlungen, die kaum mehr Schutz als ein Zelt boten, ausserhalb von Siedlungsgebieten untergebracht. Inzwischen prägt temporäre Architektur das Siedlungsbild und Neuankömmlingen wird ein besseres Umfeld geboten.
Im neuen Durchgangszentrum Volketswil empfängt ein Team aus etwa sechs Personen die künftigen Bewohner und bietet ihnen während ihres Aufenthalts bei verschiedensten Tätigkeiten Rückhalt. Im Gegensatz zu konventionellen Wohnhäusern sind es hier lediglich die schulpflichtigen Kinder, die täglich das Haus verlassen, um die öffentliche Schule zu besuchen. Alle anderen Bewohner verbringen ihren Alltag vorwiegend im Haus, welches von ihnen gehegt und gepflegt wird.
Die Frage, welches Stück Land die Gemeinde für die neue Asylunterkunft zur Verfügung stellen würde, erhitzte sicherlich manche Gemüter. Das Zentrum liegt zwar in der Industriezone, doch auch am Rande des Quartiers Hegnau Chappeli. Umso wichtiger war es daher, im Planungsprozess von Beginn an – trotz des engen Kostenrahmens – die Vision einer pragmatischen und hochwertigen Architektur aufzuzeigen.
Der sichere Hafen
Einem Katamaran gleich besteht das neue Durchgangszentrum aus zwei gespiegelten, dreigeschossigen Längsbauten in kompakter Holzelementbauweise und einem eingeschossigen Verbindungsbau. Dieser ist wie ein Tisch Terrasse und Unterstand zugleich. Rechteckige Aussparungen bilden in der Mitte zwei Höfe. Auf beiden Seiten laden Haupttreppen ein, die Terrasse zu besteigen, und entlang der Längsbauten gelangt man über je drei aussen liegende Stahltreppen auf das Deck und in das zweite Obergeschoss.
Im Erdgeschoss befinden sich vorwiegend betriebliche Räume, Lager und Schulungsräume sowie eine grosse Waschküche. Der Haupteingang ist durch einen Einzug im Südtrakt zur Tolackerstrasse hin markiert, vor dem sich auch ein Fahrradunterstand befindet. Im Nordtrakt liegen im Erdgeschoss auch vom Hof abgewandte Schlafräume. Diese Abgrenzung findet man auch im oberen Geschoss, wo nur gewohnt wird. Hier befinden sich zur halböffentlichen Terrasse hin die gemeinsamen Koch- und Essbereiche, welche von aussen direkt erschlossen werden, während im zweiten Obergeschoss die Schlafräume auch zum Hof angeordnet sind.
Die Asylsuchenden wohnen zusammen in Cluster aus Zweier-, Dreier- und Familienzimmern und teilen sich eine bis zwei Nasszellen auf dem Gang. Die liegend angeordneten Räume werden durch Raumtrennmöbel aufgeteilt, die den notwendigen Stauraum bieten, aber gleichzeitig auch durch die Separierung des Raums ein Mindestmass an Privatsphäre schaffen.
Wertvolle Fracht
Die Formensprache von Containerraumsystemen steht seit geraumer Zeit für Wandel und Flexibilität. Während sie in Zeiten von Schulraumnot die Lösung darstellen oder Hipster teure Taschen in Container-Flagship-Stores kaufen, hat in der Zwischenzeit die Holzindustrie in der Schweiz mit der Modul- und Elementbauweise ein immenses Potenzial ausbauen können. Nachhaltigkeit und Schweizer Wertschöpfung stehen dabei im Vordergrund.
In Volketswil arbeitete «in situ» zum wiederholten Mal mit der Firma Schaerholzbau zusammen, die den Gesamtleistungswettbewerb für sich entscheiden konnte. Diese Zusammenarbeit birgt den Vorteil, aus einem interdisziplinären Netzwerk jeweils eine Werkgruppe zu bilden. Regionale Spezialisten der Gruppe sind bereit, mitzudenken und sich flexibel einzusetzen. Dadurch meisterte Schaerholzbau beispielsweise in diesem Fall auch die grosse Herausforderung, trotz des stark begrenzten Kostenrahmens und des engen Terminplans den Bau in nur sieben Monaten Bauzeit fertigzustellen.
Die Fassade der Wohntrakte besteht aus sägerauher Fichte. Die Zwischenzone führte der Baumeister aus der Werkgruppe in qualitativ hochwertiger Sichtbeton-Arbeit aus, die mit Treppen, Geländern, Pergolas und Wasserrinnen aus Stahl ergänzt ist. Fast wie in einem Containerhafen arbeiteten hier die Unternehmer zeitweise mit zwei Kränen gleichzeitig, um den Zeitplan einhalten zu können.
Der Vorteil des Holzelementbaus ist im Gegensatz zur Modulbauweise die Kosten- und Raumersparnis. Durch Vorfabrikation wird Zeit gespart. Decken und Wände werden nicht doppelt gezählt. Diese Sachbezogenheit des Holzbauers setzte seine Innenausbau-Abteilung fort und fertigte Türen, Betten und Einbauschränke in pragmatischer Ästhetik aus. Auffallend sind zum Beispiel Türleibungen und Hochbettgeländer, die in Eiche ausgeführt ebenso robust wie Metallzargen sind, aber günstiger, nachhaltiger und erst noch edler.
Christoph Müller, Architekt bei der Baubüro in situ AG, zur Spanplatte, LivingBoard P5 :
Sehr schön ist im Innenausbau die minimale Fugenausbildung zwischen den schalldämmenden Spanplatten, welche selbsttragend sind und nur noch gestrichen werden müssen.
Joseph Sager, Gesamtleister bei Schaerholzbau AG, zur Kompaktplatte von 4 mm:
Bei den Nasszellen bauten wir Vollkernplatten als Wandverkleidung ein. Die Reststücke wurden als Schlossabdeckung bei den Schränken eingesetzt.
Text: Claudia Frigo Mallien
Erstmals veröffentlicht im Magazin der Schweizer Baudokumentation 2021 - 1