Individual Infrastructure

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1073 Savigny,
Schweiz

Veröffentlicht am 31. März 2023
Ellipsearchitecture
Teilnahme am Swiss Arc Award 2023

Die Behörden schrieben vor, dass das neue Gebäude keine Fenster oder Tore zur Strasse  hin haben darf. Um eine langweilige Front zu vermeiden, haben die  Architekt*innen die Fassade raffiniert tektonisch gegliedert. Der Zugang zum etwas höher liegenden Haus wurde in das neue Volumen integriert.  Das Garagengebäude wurde so zum neuen «Eingangstor». Innenraum Fassadenansicht Das kleine Projekt  liegt in der Gemeinde Savigny – umgeben  von Einfamilienhäusern und Landwirtschafts­gebäuden. Innenraum Kontext

Projektdaten

Basisdaten

Lage des Objektes
Route de la Goille 23, 1073 Savigny, Schweiz
Projektkategorie
Fertigstellung
04.2022

Gebäudedaten nach SIA 416

Stockwerke
1
Anzahl Kellergeschosse
1
Grundstücksfläche
875 m²
Geschossfläche
49 m²
Nutzfläche
49 m²
Gebäudevolumen
292 m³
Gebäudekosten (BKP 2)
200'000 CHF
Parkplätze
2

Beschreibung

Der kleine Ersatzneubau verwendet ein lokales, jedoch in Vergessenheit geratenes Material: blaue Molasse. Aus diesem Sandsteinen, der im Steinbruch vor Ort gebrochen wurden, sind viele der Monumente in Lausanne errichtet worden.

Ausgangslage

Das kleine Infrastrukturgebäude steht auf dem Waadtländer Plateau nordöstlich von Lausanne in der Gemeinde Savigny. Dieses Gebiet ist durch besondere geologische, materielle und tektonische Merkmale geprägt. Die Stadt Lausanne hat sich auf einem Molasseaufschluss entwickelt. Ihr Bau ist eng mit dem Abbau, dem Schneiden und der Verarbeitung dieses lokalen Sandsteins verknüpft. Diese Material kam beispielsweise für den Bau der Kathedrale Notre-Dame de Lausanne, des Schlosses Saint- Maire und der alten Universität zum Einsatz.

Entwurfsidee

In Savigny entstanden mehrere Steinbrüche, als bestehende Abbauorte in Lausanne zu schwer zugänglich wurden. Die Spuren dieses Abbaus sind heute in der Gemeinde anhand grosser, in die Topographie eingeschnittenen Terrassen zu erkennen. Auf ihnen wurden in den 1970er-Jahren zahlreiche Einfamilienhäuser errichtet. Die Individual Infrastructure befindet sich im Stadtteil Nialin, der sich auf dem Gelände eines dieser ehemaligen Steinbrüche in entwickelt hat. Die Aufgabe war es, eine bestehende Garagen zu ersetzen, die zugleich das Gelände eines Einfamilienhauses abstützte. Sie war durch Erosion und Wasser instabil worden. Parallel zur strukturellen Notwendigkeit eines neuen Gebäudes sahen die Bewohner*innen – im Dialog mit den Architekt*innen – darin die Gelegenheit, die Nutzung als Garage und Lager zu überdenken und stattdessen einen Raum zu schaffen, der viele weitere Funktionen und Tätigkeiten beherbergen kann.

Projektierung

Die Architekt*innen haben ein einfaches aber grosszügiges Volumen vorgeschlagen. Das Projekt, das auf den Fundamenten der alten Garage errichtet wurde, sucht den Dialog mit der Geschichte des Ortes und der Region. Dieser Kontext gab ellipsearchitecture die Gelegenheit, ihre fortlaufenden Überlegungen zur Baukultur und zu zeitgenössischen Wohnformen weiterzuführen. Die räumliche Einfachheit (das Volumen misst 10 mal 4, 6 mal 3 Meter) macht einer präzisen tektonischen Komposition Platz, die aus dem Dialog verschiedener Überlegungen und Handwerkstechniken entstanden ist. Sie kristallisieren sich in der Konstruktion der Südfassade, einer Komposition aus Molasseblöcken, Betonstürzen, einem Netz aus Metallbewehrungen und einem Dachstuhl mit Holzbalken.

Realisierung

Die Idee mit grossen Sandsteinblöcken zu arbeiten, gab für die Fassade einige Parameter vor. Zuerst wurde die Grösse der Blöcke optimiert, mit dem Ziel, den Aufwand bei der Errichtung möglichst gering zu halten. So wurde im Dialog mit den Betreiber*innen und Handwerker*innen eines Steinbruchs in Villarlod bei Freiburg ein Grundmass von 2 Metern Breite, 1,2 Metern Höhe und 20 Zentimetern Dicke festgelegt.
Und in Gesprächen mit den Ingenieuren wurde eine Konstruktionsweise entwickelt, welche die Fassade widerstandsfähig gegen Erdbeben macht. Die Wände bestehen zudem aus vorgefertigten Betonelementen, die durch ein Netz vertikaler Bewehrungen verstärkt werden. Nach aussen vorstehenden Betonelemente helfen, dass Regen in nur kleinen Mengen auf den Sandstein gelangt. Die massiven Balken des Daches kragen über die Fassade aus und tragen ein Vordach. So werden die Steine ebenfalls vor Regen geschützt und es ist eine Art Gesims entstanden.

Besonderheiten

Die Einfachheit der Architektur und ihrer Konstruktion erleichtert die (Wieder-)Aneignung durch die Bewohner*innen. An den massiven Dachbalken können verschiedene sekundäre Installationen angebracht werden. Zum Eingang hin bieten beispielsweise ein paar Latten zwischen zwei Balken Platz für Skier und Stöcke. Ein Stück weiter, entlang der Südfassade, befindet sich ein System aus Seilen und Rollen. An ihnen können Fahrräder aufgehangen werden. Im hinteren Teil des Raumes thront eine Werkbank auf einer von den Bewohner*innen errichteten Plattform. Auf ihr können weitere Materialien auf dem Boden gelagert werden.
Vor dem Hintergrund der Zersiedelung der Schweiz soll der neue bauliche Hybrid der zunehmenden Vermischung der Welten von Land und Stadt Rechnung tragen. Die urbane Typologie der Garage tritt in einen Dialog mit der ländlichen Typologie der landwirtschaftlichen Scheunen. In Anlehnung an Infrastrukturbauten, die sich durch grosse, einfache Volumen auszeichnet, versucht das neue Gebäude in erster Linie, einen überdachten Raum zu bieten, der verschiedenen Aktivitäten einen vor der Witterung geschützten Raum bieten kann. Der grosszügige Innenraum ist bewusst unbestimmt und flexibel gehalten, damit die Nutzer*innen ihn für immer neue Aktivitäten und Nutzungen adaptieren können.
Die Realisierung eines auf den ersten Blick «banalen» Objekts aus massivem Stein ermöglicht es, die Bedeutung zu hinterfragen, die Lagerräumen im Alltag beigemessen wird. Anstatt sie nur funktional zu betrachten, könnten Lagerräume als Kulturräume begriffen werden, als Materialarchive und Speicher von Erinnerungen.

Der Text wurde von den Architekt*innen im Zusammenhang mit der Einreichung des Projektes für den Arc Award 2023 verfasst und von Jørg Himmelreich ins Deutsche übersetzt.

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