Totalsanierung Bürohaus Müllerstrasse

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8004 Zürich,
Schweiz

Veröffentlicht am 19. Juni 2025
Ilmer Thies Architekten AG

Projektdaten

Basisdaten

Lage des Objektes
Müllerstrasse 16/20, 8004 Zürich, Schweiz
Fertigstellung
06.2023

Gebäudedaten nach SIA 416

Stockwerke
6 bis 10
Grundstücksfläche
3864 m²
Geschossfläche
26'160 m²

Beschreibung

Ausgangspunkt für das Projekt war ein bestehendes Bürogebäude aus den späten 1970er-Jahren. Um die veraltete Infrastruktur anzugehen und den sich verändernden Bedürfnissen der neuen Mieter gerecht zu werden, erforderte das Projekt eine umfassende Modernisierung der Gebäudestruktur und der Gebäudehülle. Das Ziel war es, das bestehende Gebäude neu zu gestalten, indem seine Struktur erhalten und zugleich an die modernen Bedürfnisse angepasst wurde.

Zirkuläres Denken als Entwurfsstrategie
Der Ansatz des zirkulären Bauens, die Wiederverwendung und gezielte Weiterentwicklung bestehender Materialien und Strukturen war ein zentraler Bestandteil des Projekts. Die Grundlage bildete eine Analyse der Gebäudestruktur und der verwendeten Materialien, um deren Potenziale für zukünftige Nutzungen zu erkennen. Die bestehende Fassade zeichnete sich durch ein Raster aus grossen Gussaluminiumverkleidungen und grossflächigen Verglasungen aus. Von aussen betrachtet, wirken diese offen, jedoch im Inneren entsprachen sie nicht der äusseren Erscheinung. Das untere Drittel der Glasflächen war durch eine Betonbrüstung hinter einer verspiegelten Blindverglasung verdeckt. Die äussere Grosszügigkeit und Offenheit der Fassade wurde auf der Innenseite auf ein Standardmass reduziert, was einen eklatanten Widerspruch darstellte. Um diese ästhetische
und funktionale Diskrepanz aufzulösen, wurde die neue Fassade so gestaltet, dass sie ein Gleichgewicht zwischen innerer und äusserer Offenheit herstellt. Zunächst wurden die bestehenden Bauteile bis auf das Haupttragwerk zurückgebaut und die Struktur bereinigt. Die Betonbrüstungen des Gebäudes wurden entfernt, um eine offene Raumwirkung zu schaffen. Teile der Abschnitte wurden als Sitzbänke wiederverwendet. Das restliche Material wurde recycelt und als Zuschlagstoff für Recyclingbeton und Terrazzoböden wieder eingesetzt. Ein Zugstabssystem ersetzte die Betonbrüstungen, um einer durch ihre Entfernung bedingten Durchbiegung der Deckenränder vorzubeugen. Die Zugstäbe wurden im Raster der neuen Fassade angeordnet und an einem mit Beton ausgegossenen Stahlträger aufgehängt, der zwischen dem 6. und 7. Obergeschoss aufliegt und die Kräfte in das Haupttragwerk einleitet.

Fassade als Ressource und technisches System
Die ursprüngliche Tragstruktur des Gebäudes wies Unregelmässigkeiten in den Achsmassen auf. Um dennoch  eine wirtschaftliche und unterhaltsarme Lösung zu erzielen, wurde ein System aus einer limitierten Anzahl  unterschiedlich breiter Fassadenelemente entwickelt, die die Abweichungen optisch unauffällig ausgleichen. Hierdurch liessen sich die verwendeten Element- und Glasgrössen minimieren, was den Fertigungsprozess effizienter machte sowie Kosten und Energie sparte. Dieses Prinzip wurde auch auf die Höhe der Verglasungen angewendet. Die Dimensionierung eines Sockelelements im Erdgeschoss und eines darüberliegenden geschlossenen Fassadenelements (im Erdgeschoss und 6. Obergeschoss) bestimmte die Glashöhen in allen Geschossen, was zu einer harmonischen Fassadengestaltung beigetragen hat. Die neue Fassade löst den bisherigen Kontrast zwischen äusserer Grosszügigkeit und reduzierter Innenwirkung auf. Eine offene Gestaltung und eine dynamische Lichtführung sorgen nun für eine ausgewogene Wirkung, die den Anforderungen einer modernen Büronutzung gerecht wird. Die Beschaffenheit der alten Gussaluminiumpaneele (Zusammensetzung und Verschmutzung der Legierung) machte es unmöglich, neue Aluminiumprofile aus ihnen herzustellen und sie auf diese Weise zu rezyklieren. Darum wurden sie grösstenteils direkt wiederverwendet. Sie wurden mittels Wasserstrahlschnitt neu zugeschnitten, gereinigt und als Verkleidung der neuen Fassade eingesetzt. Die Gussaluminiumplatten wurden anschliessend nicht verklebt, sondern mit einer Trägerstruktur verschweisst und an der Fassade aufgehängt. Dadurch können sie künftig leichter entfernt und rezykliert werden. Dieses Vorgehen sparte sämtliche graue Energie ein, die für das Einschmelzen und Neuformen des Materials notwendig gewesen wäre. Aus den beim Zuschnitt angefallenen Materialresten wurden Wand- und Deckenverkleidungen für die zwei repräsentativen Lobbys im Erdgeschoss hergestellt (die Platten wurden fein geschliffen und fugenlos aneinandergefügt). Auch Schilder für die Signaletik des erweiterten Grundausbaus wurden auf diese Weise hergestellt und in den Treppenhäusern, Sanitärbereichen und Liftlobbys eingesetzt. Sämtliche nicht anderweitig verwendbaren Materialreste wurden eingeschmolzen und für Aluminiumpaneele der Innenhoffassade genutzt. Die gesamte Fassade wurde mit dynamisch steuerbarem Flüssigkristallglas mit Wärmeschutzfunktion bestückt. Die Elemente lassen sich sekundenschnell abdunkeln, schränken aber die für das Wohlbefinden wesentliche freie Sicht nach aussen nicht ein. Die Anlage reagiert schon bei geringem und diffusem Wärmeeintrag mit Teilverdunkelung und beugt so einer Überhitzung effizient vor. Die spezifische Fähigkeit, sich je nach Jahreszeit und individuellen Bedürfnissen an Licht und Wärme anzupassen, mindert die Gesamtenergielasten vor allem für die Kühlung des Gebäudes signifikant, unmittelbar und nachhaltig. Diese Technologie ersetzt mechanische Sonnenschutzsysteme.  Durch die Kombination von innovativen Technologien, wiederverwendeten Materialien und modularer Bauweise konnte eine nachhaltige, funktionale und ästhetisch anspruchsvolle Lösung realisiert werden. Das Projekt zeigt, wie bestehende Gebäude durch zirkuläre Ansätze zukunftsfähig gemacht werden können und setzt Massstäbe für eine Architektur, die Umwelt und Ressourcen schont, ohne auf Qualität und Innovation zu verzichten.

Das Projekt von Ilmer Thies Architekten wurde von Dane Tritz publiziert.

 

Projektbeteiligte Unternehmen

Planung

192158353