Transformation Alte Börse Zürich
8001 Zürich,
Schweiz
Veröffentlicht am 18. Dezember 2025
Studio Märkli AG
Projektdaten
Basisdaten
Gebäudedaten nach SIA 416
Beschreibung
Lange litt das an der Bahnhofstrasse 3 vis-à-vis vom Bürkliplatz gelegene Geschäftshaus – 1880 als erste Zürcher Börse errichtet und seither vielfach überformt – unter einer unzureichenden Einbindung in seinen repräsentativen Kontext. Mit der jüngsten Transformation hat Studio Märkli die stadträumlichen Bezüge präzise nachjustiert: Aus der Logik der denkmalgeschützten Fassaden heraus weitergeführt, hat der Bau wesentlich an Kraft und Ausdruck gewonnen.
Zu Beginn unseres Rundgangs an einem sonnigen Herbstnachmittag stehe ich mit Peter Märkli am Ende der Bahnhofstrasse an einer der prominentesten innerstädtischen Adressen Zürichs. Richtung Süden öffnet sich der Blick auf den See und die dahinterliegende bläulich schimmernde Alpenkulisse. Zwischen unserem Standort und dem Seepanorama spannt sich ein komplex geschichteter und belebter urbaner Raum auf: Im Vordergrund die Stadthausanlage mit ihren Pavillons und Bäumen und dahinter der Bürkliplatz, der komplett belegt ist von einem Geflecht aus Tramschienen und Strassen, die man auf dem Weg zur Uferpromenade überwinden muss. Hinter uns zieht sich die Bahnhofstrasse Richtung Paradeplatz und Hauptbahnhof, flankiert von repräsentativen Fassaden mit den Schaufenstern der Boutiquen.
An diesem neuralgischen Punkt, an dem sich der Boulevard des 19. Jahrhunderts zum Wasser hin öffnet und einen Platzraum ausbildet, sei die Stadt stets in irgendeiner Form «im Gespräch», bemerkt Peter Märkli. Damit meint er die komplexe räumliche Konstellation aus repräsentativer Lage, Ausrichtung zum See und der damit verbundenen Erwartung, diesem Übergang von Stadt zum Wasser eine Form zu geben, die seinem Potenzial gerecht wird. Der Block Bahnhofstrasse 1–3 – gefasst von der Börsen- und Talstrasse – bildet in diesem Kontext eine Art architektonischen Auftakt. In der historischen, mitunter demonstrativ mondänen Umgebung übernimmt der ehemalige Sitz der ersten Zürcher Börse eine wichtige Rolle: Nachdem bis 2024 ihr gesamtes Inneres ausgetauscht und das Gebäude erhöht wurde, präzisiert es nun die städtebauliche Raumkante zwischen Bürkliplatz und Stadt, indem er vermittelnd zwischen der Bahnhofstrasse, den benachbarten Finanzinstitutionen der Zürcher Kantonalbank (ZKB) und der Schweizer Nationalbank (SNB) wirkt und die sich derzeit in der Sanierung befindende Stadthausanlage – besser als zuvor – einfasst. Was hier verhandelt wird, reicht über Objektarchitektur hinaus – es betrifft die Qualität des öffentlichen Stadtraums und an dieser prominenten Stelle zugleich die Frage nach lokaler Identität.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie problematisch der Zustand war, der hier über Jahrzehnte bestand: Nachdem in den 1970er-Jahren neben der ehemaligen Börse ein höheres Bürogebäude mit einer dunklen Aluminiumfassade errichtet worden war, erschien sie als zu klein; das städtebauliche Gleichgewicht war in Schieflage geraten.
Vom Katalysator zum Defizit
Die erste Zürcher Börse ist ein Neorenaissance-Bau mit Eckrondell, der zwischen 1877 und 1880 von Albert Müller – einem Schüler von Gottfried Semper – und Caspar Conrad Ulrich errichtet wurde. Sie zählte zu den bedeutendsten Bauten ihrer Zeit. Dort, wo heute Luxusmode verkauft wird und das Investmentbanking-Unternehmen Goldman Sachs seine Büros bezogen hat, wurden einst im imposanten Saal am Börsenring Wertpapiere gehandelt. Mit den monumentalen Dimensionen der Halle – rund 22 × 35 Meter bei 17 Metern Höhe – war der Bau nicht nur Schauplatz wirtschaftlicher Transaktionen, sondern auch ein städtebaulicher Impulsgeber für den Ausbau der Bahnhofstrasse hin zum See. Die Börse ersetzte dabei das beliebte Lokal «Baugarten» samt mittelalterlichem Turm – damals ein exponierter, fast malerischer Ort, dessen Verlust öffentliche Debatten auslöste. Der parallele Abbruch des Kratzquartiers markierte einen stadtplanerischen Paradigmenwechsel: Die vormals flussorientierte Stadt richtete sich neu zum See aus; die bis ans Ufer verlängerte Bahnhofstrasse wurde dabei zu der repräsentativen Achse, die Zürich bis heute prägt.
In den 1930er-Jahren kam es zu einer radikalen Zäsur. Nach dem Umzug der Börse an den Bleicherweg wurde das Haus umgebaut: der grosse Saal wurde trotz Protesten entfernt und das Gebäude unter Witmer und Senn 1932 zum Bankgebäude umgeformt. Zwar blieb die Fassade erhalten, verlor jedoch bis auf die komplexen Ziselierungen der Gesimse ihre ursprünglich plastische Gestalt. Der nun massiv und abweisend wirkende Sockel entrückte den Bau vom Stadtraum – ein Makel, der bis vor Kurzem fortbestand. Weitere kleinmassstäbliche Eingriffe verstärkten die Entfremdung zum Kontext.
Mit dem jüngsten energetischen und gebäudetechnischen Erneuerungsbedarf stellte sich abermals die Frage nach der Zukunft dieses ambivalenten Stadtbausteins. 2015 reagierte die Eigentümerin, die Genossenschaft «zum Baugarten», mit einem Studienauftrag, der die Sanierung der geschützten Fassade, eine funktionale Neuordnung sowie eine städtebauliche Präzisierung prüfen sollte. Die Option, die im Quartier zulässige Gebäudehöhe von 25 Metern voll auszuschöpfen, bot die Chance, die verlorene Präsenz des Hauses zurückzugewinnen und es wieder zu einem kraftvollen Baustein im urbanen Gefüge zu machen. Unter den eingeladenen Büros – Baumschlager Eberle, EMI, Boltshauser und Loeliger Strub – überzeugte schliesslich der zeitgemässe Vorschlag des Studios Märkli die Jury.
Märklis Projekt ist eine Fassadenretention, das heisst – abgesehen von der Hülle – wurde das gesamte Gebäude ersetzt und zudem um zwei zusätzliche Geschosse erweitert. Zwei neue Untergeschosse schaffen zudem Platz für Lager, Technik, Anlieferung und Parkplätze und ermöglichen damit eine Mischnutzung aus Retail, Gastronomie und Büroflächen in den oberen Geschossen. Über der Balustrade erheben sich zwei neue Geschosse, welche die einstige Höhenlücke schliessen. Die Öffnung des massiven Sockels und die Absenkung des Erdgeschosses auf Strassenniveau machen dieses wesentlich zugänglicher, binden das Gebäude besser in den Stadtraum ein und überführen die historische Fassade in ein kohärentes, zeitgenössisches Gefüge.
Die planerische Grundlage bildete der private Gestaltungsplan «Baugarten» von 2018, entwickelt in Zusammenarbeit mit der Stadt Zürich und der Denkmalpflege. Er definiert exakt den Rahmen des Vorhabens: Die Gebäudehöhe darf 433,38 Meter über Meer nicht überschreiten, mit einer Toleranz von lediglich 50 Zentimetern. Der Schutzvertrag fixiert zudem die Unantastbarkeit von Fassade samt Balustrade und Rundbau. Im Gegenzug genehmigte die Stadt die Aufstockung und die neuen Untergeschosse sowie das vollständige Ersetzen des Inneren. Die erhöhte Ausnutzung wurde durch eine Ausgleichszahlung von 2,6 Millionen Franken an städtische Aufwertungsmassnahmen kompensiert – ein Mechanismus, der private und öffentliche Interessen in ein gutes Gleichgewicht bringt.
Schärfen und Interpretieren
Zu Beginn stand deswegen – städtebaulich wie denkmalpflegerisch – die Frage nach einem angemessenen Verhältnis der alten und neuen Fassadenteile. Studio Märkli entschied sich bewusst gegen einen historisierenden und für einen dialektischen Ansatz: Die Fassade präzise zu lesen und sie mit zeitgenössischen Innenräumen und Materialien in einen stimmigen Dialog zu bringen, war das erklärte Ziel. Die Fassaden wurden dabei als tektonisches Gerüst verstanden, aus dem sich eine strukturelle und räumliche Ordnung ablesen und weiterentwickeln lässt.
Mit der Transformation wurde die beschriebene städtebauliche Unschärfe, die den Ort über Jahrzehnte geprägt hat, konsequent korrigiert. Über der sorgfältig restaurierten Fassade sitzt nun ein zweigeschossiger, hell wirkender Aufbau – scheinbar selbstverständlich, tatsächlich aber das Resultat eines fast zehnjährigen Entwurfs-, Aushandlungs- und Bauprozesses. Städtebaulich stärkt der Eingriff den Dialog mit den grossmassstäblichen Bauten verschiedener Institutionen entlang des Boulevards. Aus der Fernsicht – etwa vom Bellevue – wirkt die Erhöhung wie eine ruhige horizontale räumliche Klammer für die Stadthausanlage. Die vertikale Erweiterung ist nicht bloss eine additive Schicht, sondern eine Fortführung vorhandener tektonischer Hierarchien. Die geschlossenen Fassadenpartien wurden als monolithische Betonelemente im Aufbau fortgesetzt. Vor- und Rücksprünge lassen an eine abstrakte Loggia denken. Märklis Skizzen, die er mir während des Rundgangs zeigte, veranschaulichen die Prinzipien einer Fassade, deren neue Ordnung sich aus den Achsmassen des Bestands entwickelt – eine Haltung, die diesen ernst nimmt, ohne sich ihm zu unterwerfen. Nun gliedert sich die Hauptfassade in drei präzise aufeinander bezogene Schichten: unten das abgesenkte Erdgeschoss mit dem Bekleidungsgeschäft Bongénie und das Restaurant émile auf einer Gesamtfläche von knapp 4000 Quadratmetern, das zudem mit einer vorgelagerten Restaurantterrasse eine Verbindung zum Strassenraum etabliert; darüber die dreigeschossige historische Schicht minimal, aber sorgfältig restauriert, deren zentrale Partie wie ein tektonischer Kern wirkt; und als Abschluss der Aufbau leicht zurückgestaffelt hinter der Balustrade. Der veränderte Sockel und die neuen Etagen bilden nun eine gestalterische Klammer. Richtung Westen gibt es einen im Grundriss keilförmigen Bereich, der nicht erhöht wurde. Dort befindet sich eine Dachterrasse, die für Events der Bank genutzt wird. Pflanzen in Trögen aus Kunststein, die Kuppel und natürlich die grossen Bauten der Nachbarschaft bilden den noblen Hintergrund für diesen privaten Aussenraum.
Staffelungen
Um einen halben Meter dem Sockel vorgestellte zweigeschossige «Vitrinen» nehmen die ursprüngliche Bauflucht wieder auf und reaktivieren die räumliche Spannung, welche die Purifizierung der 1930er-Jahre nivelliert hatte. Hier wurde nicht wortwörtlich auf die historischen Formen zurückgegriffen, sondern abstrahiert im Sinne von Massstab, Proportion und Material. Es wurde zudem zwischen der Haupt- und den Seitenfassaden differenziert: An der Börsen- und Talstrasse sind die Eingriffe nahezu unsichtbar; einzig der erneuerte Sockelstein und die neu eingesetzten Schlusssteine über den Öffnungen erzählen auf subtile Art von der Transformation.
Die sechs Meter hohen Edelstahl-Glas-Vitrinen sind ein Blickfang. Die vormals in den Strassenraum tretenden Säulen wirken nun wie architektonische Fragmente hinter schützendem Glas. Die Grenze zwischen Innen und Aussen wird unscharf zugunsten eines mehrschichtigen Gefüges. Märkli verweist auf das Gemälde «Martyrium der Heiligen Justina» des italienischen Malers der Spätrenaissance Pablo Veronese, in dem die im Hintergrund stehenden Säulen scheinbar zugleich in den Vordergrund eingreifen. Die Architektur ist dort keine abgesetzte Kulisse, sondern verschmilzt mit der Figurengruppe zu einem gemeinsamen Bildraum – eine kunsthistorische Referenz, die den räumlichen Ausdruck des Eingriffs treffend beschreibt. Die Vitrinen schaffen ein Gleichgewicht zwischen gesuchter Porosität und der Massivität der historischen Fassade.
Aufgrund der Retention war eine radikale Baustelle erforderlich: Da die historische Fassade nicht selbsttragend ist, musste sie abgestützt werden. Ein gewaltiges, dunkelgrünes Stahlgerüst hielt die Hülle, während dahinter die komplett neue Struktur erstellt wurde.
Räumliche Grosszügigkeit
Der Eingang an der Bahnhofstrasse führt zum repräsentativeren der beiden peripher angeordneten Erschliessungskerne, welche die dienenden Funktionen bündeln. Von hier aus gelangt man in die grosszügigen, von ACPV Architects und Archipel offen gestalteten Officebereiche der oberen Geschosse einschliesslich der Dachterrasse. Banker*innen eilen vorbei und verschwinden im Aufzug, dessen elegant materialisierter Vorraum den zurückhaltend edlen Ausdruck des Hauses gleich beim Betreten spürbar macht. Die Bewegung durch das betont luftige Treppenhaus ist ein fast meditatives räumliches Erlebnis. Die weissen Äderungen der schwarzen Saint-Michel Kalksteine auf den Stufen und Wänden erinnern an Reflexionen auf Wasseroberflächen, die Maserungen des honigfarbenen italienischen Olivenholz-Furniers an den Handläufen wirken beinahe ornamental und grosse handgefertigte Glasleuchten verströmen ein gedämpftes Licht. Wegführung, Blickbezüge und Proportionen etablieren eine subtile Hierarchie, die leise an die Pracht der ehemaligen Börse erinnert. Der Eindruck von Grosszügigkeit wird dabei jedoch nicht über Dekor erreicht, sondern aus der sorgfältigen Abstimmung von Raumhöhe, Lichtführung und Materialität. Parallel dazu spannt sich im Sockel und Untergeschoss auf rund 4000 Quadratmetern ein mehrgeschossiger Geschäftsbereich des Luxuskaufhauses Bongénie auf, der vom Genfer Intérieur- und Architekturbüro Version B gestaltet wurde. Die angeschlossene Gastronomie stammt aus der Feder der Pariser Gestalter*innen Maison Sarah Lavoine. Erschlossen wird er über zentral angeordnete Rolltreppen und einen Lift. Ein Mezzaningeschoss verzahnt die Ebenen zudem räumlich. Vom darüberliegenden Atrium belichtet, entstehen Sichtbeziehungen über mehrere Geschosse hinweg – eine Sequenz, die den Raum nicht nur im Inneren, sondern auch zum Strassenraum hin durchlässig erscheinen lässt.
Zurück an der Bahnhofstrasse hat sich das Licht im Laufe des Nachmittags verändert; auf den Vitrinen zeichnen sich nun die Bewegungen im Strassenraum als flüchtige Spiegelbilder ab. Einmal mehr wird deutlich, dass dieses Gebäude keine gros-sen Effekte benötigt, um räumlich präsent und mit seiner Umgebung verbunden zu sein. Seine Präsenz entsteht aus der subtilen, aber zeitgemässen Transformation – und aus der zurückgewonnenen Selbstverständlichkeit, mit der es den Strassenraum wieder fasst und stärkt.
Der Text wurde von Viktoriya Yeretska für das Swiss Arc Mag 2026–1 verfasst und das Projekt von Jørg Himmelreich publiziert.