Wohnhaus Abakus

17 von 36

 
4056 Basel,
Schweiz

Veröffentlicht am 05. Januar 2022
Stereo Architektur GmbH
Teilnahme am Swiss Arc Award 2022

Projektdaten

Basisdaten

Lage des Objektes
Beckenweg 7 , 4056 Basel, Schweiz
Projektkategorie
Fertigstellung
06.2021
Links

Gebäudedaten nach SIA 416

Stockwerke
6 bis 10
Anzahl Kellergeschosse
1

Beschreibung

Im Lysbüchel herrscht Aufbruchsstimmung. Wurde das nahe der französischen Grenze gelegene Areal im Stadtteil St. Johan bisher vor allem industriell und gewerblich genutzt, wandelt es sich derzeit zu einem neuen Wohnquartier für Basel. Bei mehreren innovativen Genossenschaftsprojekten, die dort entstehen – wie dem Abakus – lohnt es sich genauer hinzuschauen.

Noch bevor der erste Spatenstich getan war, machte Lysbüchel-Süd Schlagzeilen: Die Idee der Stiftung Habitat als Grundeigentümerin schien unorthodox. Keine Grossüberbauung, kein einheitliches Bild, niemand, der von oben die Fäden zieht. «11 x Villa Kunterbunt» titelte die TagesWoche und stellte die Frage, ob die Bebauung der kleinteiligen Parzellen mit nur wenigen Vorgaben wohl gut gehen könne. Es ging gut, wie man sich nun vor Ort überzeugen kann. Für die Stiftung war dieses Set-up die logische Konsequenz ihrer Erfahrungen aus der Entwicklung des viel beachteten Quartiers Erlenmatt-Ost. Dort hatten sie einen Bebauungsplan und mit ihm die Parzellenstruktur übernehmen müssen. Dies liess zwar zu, dass soziale Vielfalt durch unterschiedliche Baurechtsnehmer entstand. Jedoch war es in der Praxis für kleinere Genossenschaften zu aufwendig und kostspielig, Häuser mit mehr als vierzig Wohnungen als gemeinnützige Wohnprojekte zu realisieren.

Spielräume schaffen
Dies sollte in Lysbüchel-Süd anders werden. Metron schlug 2016 in ihrem Konzept für die Arealentwicklung eine Blockrandbebauung mit zwölf Parzellen vor. Mit 312 bis 950 Quadratmetern und fünf Wohngeschossen schliesst diese nahtlos an die Struktur des südlich davon gelegenen gründerzeitlichen Arbeiterquartiers St. Johann an. Ausserdem blieb ein ehemaliges Coop Weinlager erhalten. Es wurde für experimentelle Wohnformen umzunutzen. Daneben ergänzen drei weitere Parzellen ein bestehendes Blockrand-Fragment. Mit Höfen und einer Wohnstrasse als Verbindung zum neuen Lysbüchelplatz im Norden sollen vielfältige Aussenräume entstehen.
Auch Jonathan Hermann zweifelte nie daran, dass Lysbüchel-Süd ein wertvolles neues Quartier – mit grossen sozialen und räumlichen Qualitäten – werden kann. Als Vorstandsmitglied des Mietshäuser Syndikats in der Genossenschaftsszene verankert und später als Partner bei Stereo Architektur am Bau des Hauses Abakus beteiligt, lebt er heute selber dort. Durch den Baurechtsvertrag eröffneten sich für ihn und die anderen Genossenschafter der Baugruppe Abakus Gestaltungsspielräume. Doch gab es auch einige Knackpunkte zu lösen: Ökologisch und wertig sollte das Haus gebaut sein. 45 Quadratmeter beheizte Wohnfläche pro Person und ein limitierter Wohnzins waren die Vorgaben.

Miteinander bauen
Für gewöhnlich lernt man seine Nachbarn nach und nach kennen, wenn man neu in eine Wohnung zieht. Nicht so im Lysbüchel-Süd: Nachbarschaft als Gemeinschaft begann hier bereits lange vor dem Bauen. «Da im Geviert Haus an Haus um einen gemeinsamen Hof steht, gab es vorweg mehrere Treffen mit den Beteiligten (und künftigen Nachbar*innen) der anderen Genossenschaften», erzählt Jonathan Hermann. Man verfolgte gleichen Ideen und zielte auf die Umsetzung einer gemeinsamen Sache ab. Auch die Architekt*innen arbeiteten sich Bottom-up durch den Planungsprozess, bis für die verschiedenen Bedürfnisse gemeinsame Regelung gefunden und Schnittstellen geklärt waren. Nebenbei lief der informelle Erfahrungsaustausch und an Festen wurden erreichte Meilensteine gefeiert. Beim Bauen war die Kommunikation mit den unmittelbaren Nachbarn wichtig: Wie teilen wir die Kosten für die Dämmung zwischen den Häusern? Können unsere Baumaschinen über eure Parzelle fahren und euer Gerüst auf unserer Dachterrasse stehen? Seit der Fertigstellung der Häuser ist eine Arbeitsgruppe aus Bewohnenden aktiv, die sich um den gemeinsamen Garten kümmert.

Sparsamkeit und Reichtum
Das Projekt unter den Fittichen des Mietshäuser Syndikats konnte von den langjährigen genossenschaftlichen Erfahrungen profitieren. Ungewöhnlich war nur der Neubaufall. Er bot die Möglichkeit, für das Abakus einen Wohntypus zu entwickeln, der Platz für die Wohnbedürfnisse bietet, wie man sie von Altbauten kennt. Anstatt gewöhnlicher Etagenwohnungen überlappten die drei Architekt*innen von Stereo diese mit einer Treppenhaus-WG: Pro Geschoss gibt es zwei Zimmer mit Bad, die bei Bedarf den Etagenwohnungen zugeschlagen werden können. Über ein offenes Treppenhaus sind sie vertikal miteinander verbunden. Der gemeinsame Wohnraum und die Küche der WG liegen im Erdgeschoss – mit direktem Zugang zum Garten. Die Fluktuation in WGs ist erfahrungsgemäss höher als in Familienwohnungen. Deren Platzbedarf ändert sich jedoch, wenn ein Kind dazukommt oder ein Teenager auszieht. Das Treppenhaus ist Treffpunkt und Kommunikationsraum. Indem die Balkone der Etagenwohnungen direkt mit ihm verbunden sind und die Küchenfenster dorthin orientiert sind, unterstützen sie den Gedanken architektonisch. Ganz oben auf der gemeinschaftlichen Dachterrasse trifft man sich im Sommer zum grillieren – mit Blick auf die Stadt und den darüber schwebenden Rauch aus dem riesigen Schornstein der Kehrichtverbrennungsanlage.

Querfinanzierung
«Natürlich gehöre ich zur klassischen, mittelständischen Genossenschaftsklientel: jung, engagiert und akademisch ausgebildet.» Jonathan Hermann ist sich bewusst, dass eine Genossenschaft allein nicht automatisch für einen sozialen Mix sorgt. Das WG-Konzept trägt jedoch dazu bei, dass auch Alleinerziehende, Studierende und ältere Menschen, die Gemeinschaft schätzen, hier leben können. Sie zahlen einen geringeren Genossenschaftsbeitrag und profitieren dennoch von gleich guten Konditionen; über die Etagenwohnungen funktioniert die Querfinanzierung. Design to Cost war wichtig, damit sich neben der finanziellen auch die soziale Idee realisieren liess. In den Wohnungen kommen die Oberflächen deshalb mit wenig Ausbauaufwand aus und die Küche konnten die Bewohnenden jeweils selber bauen.

Sichtbarkeit für eine Bewegung
Durch den Fokus auf die genossenschaftliche Idee, den herausfordernden Prozess und den Wert der Gemeinschaft gerät bei partizipativen Projekten manchmal die Architektur selbst in den Hintergrund. Einfach wird zu simpel und die Sparsamkeit drückt sich im Verlust an Details aus, die den Wohnalltag bereichern können. Nicht so beim Haus Abakus: Mit einer Fassade aus gewelltem weissem Blech hat das Haus eine Leichtigkeit erhalten, die von der Metallstruktur des offenen Treppenhauses mit seinen filigranen Geländern noch verstärkt wird. Einfache und für den Zweck vorteilhafte Bauteile und Materialien wie Standard-Deckenelemente aus Beton und Holzfenster wurden aufeinander abgestimmt. Selbst die PV-Elemente auf dem geneigten Dach der Dachterrasse wirken selbstverständlich.
Durch die Häuser im Lysbüchel-Süd hat die junge Genossenschaftsbewegung in Basel nicht nur neue Sichtbarkeit erlangt. Sie ist zur vorbildlichen Akteurin der aktuellen Stadtentwicklung geworden, die auf Innovation in der Architektur setzt und sich für soziale Belange und eine durchmischte, lebendige Stadtzukunft starkmacht.

Text: Lucia Gratz

Erstveröffentlichung im Arc Mag 1.2023
Bestellen Sie Ihr Exemplar unter: baudokumentation.ch/service/magazin-bestellen

192204937