Architekturkeramik für Personenunterführung

Die Unterführung Süd am Bahnhof Winterthur erhielt 2024 eine Auffrischung. Das Projekt in zwei Etappen, wurde einerseits von der Stadt Winterthur und andererseits von der SBB als Bauherren initiiert. Markus Jedele vom Architekten-Kollektiv erarbeitete zusammen mit den Manufaktur-Fachkräften der Ganz Baukeramik AG ein Konzept mit gewellter Keramik und erhielt grünes Licht. Die erste Etappe wurde Anfang 2024 fertiggestellt. Die zweite Etappe der Stadt Winterthur wird ab Oktober 2024 in Angriff genommen.

Neugestaltete Unterführung ǀ Foto: Christian Schwager

Neugestaltete Unterführung ǀ Foto: Christian Schwager

Neugestaltete Unterführung ǀ Foto: Christian Schwager

Der Personendurchgang Süd fungierte als Hauptunterführung am Bahnhof Winterthur, bis die kleinere Unterführung Nord umgebaut und mit Läden ausgestattet wurde. Damit die Stadttor-Seite nicht abfällt und weil technische Anlagen nicht mehr zeitgemäss oder reparabel waren, wurde eine Auffrischung nötig. 2017 gibt die Stadt Winterthur und die SBB eine Machbarkeitsstudie für ein Facelifting beim Architekten-Kollektiv in Auftrag. Für die 600 m2 wünschten sich die Bauherren ein frisches und einheitliches Erscheinungsbild.

Gegebenheiten | Anforderungen

Für die Erneuerung der Personenunterführung Süd war der Spielraum klein. Baulich waren keine Veränderungen möglich, was nur eine Oberflächensanierung erlaubte. Die Höhenunterschiede des Bodens und unterschiedliche Breiten, sowie Anschlüsse, kamen als erschwerende Gegebenheiten dazu. Es war geplant, den Asphaltboden aufzuarbeiten und die Decke mit der neuen Beleuchtung abzuhängen. Die Wandbleche mit und ohne Werbung sollten ersetzt werden. So beschränkte sich der gestalterische Spielraum vor allem auf die Wände. Die neue Verkleidung sollte gerade und runde Stücke, Ecken in 45 Grad und Höhenunterschiede ausgleichen. Ein widerstandsfähiges Material, dass auch Vandalismus übersteht, war gefragt. Der neue Wandbelag musste beide Bauherren überzeugen und die Entwicklung einer tragfähigen Unterkonstruktion war nötig.

Ideenfindung

Als erstes setzte sich das Architekten-Kollektiv mit der Frage der Tradition und Typologie auseinander. «Welche Bilder kommen in den Sinn bei Bahnhofsunterführungen?» In der Schweiz sind sie meist gekachelt – dies gilt sogar europaweit. Trotzdem sollte kein Replikat geschaffen werden. Das Ziel war mit Licht optische Reize zu schaffen. Die Tektonik der Materialien sollte mit dem Spiel von hell und dunkel den Raum erlebbar machen. Verschiedenste Materialien und Oberflächen von Blech über Naturstein bis zu Keramik wurden vom Architekten-Kollektiv geprüft.

Keramik | Wellenstruktur

Die gewünschte Wärme, Farbigkeit und Haptik konnten perfekt mit Keramik erzielt werden. Auch der Glanz, die Widerstandsfähigkeit und die Referenz zu den alten Unterführungen war gegeben. ­Keramik erfüllte die ästhetischen und technischen Anforderungen. Eine vertikale Wellenstruktur, die alle Gegebenheiten ausgleicht und zudem an horizontale Unebenheiten angepasst werden kann, war angestrebt. Ein erstes Muster wurde in der Manufaktur der Ganz Baukeramik AG hergestellt, das zur Entwicklung zweier Normplatten mit Wellen à 25 Millimetern führte. Drei zusätzliche Spezialteile übernahmen die Aufgabe, die Abschlüsse und Ecken optisch einzubinden und Strecken, die nicht die idealen Masse aufweisen, zu strecken. So entstand eine Serie für alle Gegebenheiten.

Foto: Christian Schwager

Foto: Christian Schwager

Foto: Christian Schwager

Gesamtkonzept

Nach der Gesamtkonzeption und der Kostenberechnung wurde die Personenunterführung in 3D visualisiert. Da Keramik ein haptisches Material ist, war das Resultat aber mässig befriedigend. Ein Muster in Originalgrösse mit allen Spezialteilen wurde für die Bauherrschaft hergestellt. Selbst dem Licht und der Bodenbeschaffenheit des späteren Facelifts wurde Rechnung getragen. In der seitlichen Ansicht verschwinden die Fugen und die Wellen verbinden sich wie gewünscht zu einer Einheit. Eine leicht vorstehende Stahlkante im Sockelbereich schützt die Platten vor Beschädigung. Die Farbnuancen und der Glanz am Mock up überzeugte die Bauherrschaft. Sie entschied sich 2022 für das Konzept und liess sich auf den weiteren Prozess und die damit verbundenen Entwicklungsrisiken ein.

Zusammenarbeit | Entwicklung

In enger Zusammenarbeit wurde die Umsetzbarkeit der Ideen und Entwürfe des Architekten-Kollektives – meist in der Manufaktur – diskutiert. Als gegebene Parameter musste der preisliche Rahmen wie auch der Wunsch, die Keramik nie in der vertikalen zu Schneiden, berücksichtigt werden. Verschiedene Produktionsverfahren wurden geprüft und einige Arbeitsmuster und Musterflächen hergestellt. Der goldene Schnitt fand sich bald in allen Massen der Keramikplatten wieder. Das Fachwissen aller Beteiligten und der offene Dialog halfen die geeignete Form, Glasur und alle Spezialteile bis zur Produktionsreife zu entwickeln.

Herstellungsverfahren | Umsetzung

Für das durchlaufende, wellige Muster wählen die Keramiker der Ganz Baukeramik AG ein spezielles Strangpressverfahren. Mit Hilfe eines Extruders und verschiedener Mundstücke wurde ein Tonstrang hergestellt und auf die jeweils gewünschte Länge geschnitten. Die handwerkliche Oberfläche, Haptik und Form konnten so am besten umgesetzt werden. Das Strangpressverfahren bot für den Grossauftrag von 600 m2 das beste Preis-/Leistungsverhältnis. Die Abmessung der Normplatte von 150 x 340 Millimeter erwies sich für das Handling wie auch den Brennofenbesatz als ideal. Als Träger wurde heller Ton gewählt und so glasiert, dass der Grundton durchscheint. Das Resultat war eine helle Keramik mit sehr schönen Schattierungen innerhalb des Weiss.

Herausforderungen am Bau

Da die Personenunterführung während des Faceliftings immer zugänglich war, mussten die Verlegearbeiten vorwiegend nachts und auf engem Raum ausgeführt werden. Eine Herausforderung stellte die Logistik dar. Die Arbeitsflächen wurden in Feldgruppen aufgeteilt und die Platten mit der Feldgruppennummer versehen in Kisten auf der Baustelle angeliefert. Die Kermikplatten wurden englisch verlegt, so dass die Fugen nie näher als fünf Zentimeter zueinanderstanden. Dies stellte sicher, dass die Anschnitte nicht zu klein wurden.

Architektenkollektiv

Das Architekten-Kollektiv setzt seit fast drei Jahrzehnten verschiedenste architektonische Aufgaben für öffentliche und private Bauträger in der Region Winterthur und der Ostschweiz um. Das Streben nach gesamtheitlichen Lösungen von verschiedenen Bauaufgaben im Bereich der Architektur, Planung und Realisierung steht im Zentrum sowohl bei Neubauten wie auch Umbauten im Bestand.

Ganz Baukeramik AG

Die Keramiker der Ganz Baukeramik AG wandeln Keramik mit handwerklichem Vermögen und Fachwissen zum Designelement. Ein enger Austausch mit der Bauherrschaft und den Architekten ist gewünscht, um die jeweilige Formsprache sichtbar zu machen. Die lokale Wertschöpfung beginnt mit der Produktion in Embrach, dem Bezug von überregionalen Rohstoffen wie Ton und endet nicht zuletzt mit der Ausbildung weiterer Fachkräfte. Die langjährige Erfahrung, Kenntnisse aller relevanten Verfahren und eine grosse Risikobereitschaft sich auf neue Entwicklungsprozesse einzulassen, bieten das Werkzeug für architektonische Umsetzungen. Von Menschen für Menschen mit der Handschrift des Keramikers.

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