Interview: Werkstatt für Architekten

Manuela Baumann

Manuela Baumann

Manuela Baumann

Wenn Architekt*innen mit Keramikern zusammenarbeiten – so wie beim Facelift der Südunterführung am Bahnhof Winterthur geschehen – können spannende Ideen und Entwürfe entwickelt und umgesetzt werden. Manuela Baumann von der Ganz Baukeramik AG hat unsere Fragen zum genauen Ablauf eines solchen Projektes beantwortet.

Können Sie unseren Leser*innen die Ausgangslage des Projektes in Winterthur beschreiben?

Gerne. Bei der Personenunterführung Süd des Bahnhofs Winterthur war die alte Wandverkleidung mit den emaillierten Blechpaneelen in einem unattraktiven Zustand und die veraltete Technik machte eine Sanierung unumgänglich. Deshalb haben die Stadt Winterthur und die SBB das Architekturbüro Architekten-Kollektiv AG mit einer Machbarkeitsstudie für ein Facelifting beauftragt. Das war der Anfang unserer tollen Zusammenarbeit.

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Fast fugenlos laufen die Wellen über Kanten, Winkel und Rundungen. | Foto: Christian Schwager

Fast fugenlos laufen die Wellen über Kanten, Winkel und Rundungen. | Foto: Christian Schwager

Keramische Wandverkleidungen scheinen sich bewährt zu haben – man sieht sie auf vielen Bahnhöfen. Warum ist das so?

Das stimmt, Keramik hat sich bewährt. Der projektleitende Architekt Markus Jedele hat mir erzählt, dass er bei seiner Recherche nach Tradition und Typologie bei Personenunterführungen zum Ergebnis kam, dass diese fast ausschliesslich mit keramischen Belägen oder Naturstein gestaltet sind. Für mich kein Wunder, weil Keramik – wie kein anderer Baustoff – durch seine technischen Eigenschaften überzeugt. Sie hat eine extrem lange Lebensdauer, widersteht sämtlichen Umwelteinflüssen und bedarf nahezu keinerlei Wartung.

Wie im Intro erwähnt, gab es eine Zusammenarbeit mit dem Architekten-Kollektiv. Wie kann man sich diese vorstellen?

Generell sehen wir uns als Werkzeug für Architekt*innen und Bauherrschaften. Wir realisieren Gestaltungsideen mit unserem keramischen Wissen und unserer Erfahrung. So entstehen Unikate.

Und konkret in diesem Projekt?

Wir kamen ins Spiel, als es um die Umsetzung der Ideen und Entwürfe des Architekten-Kollektivs ging. Wir diskutierten im Atelier die Möglichkeiten unter Berücksichtigung der gegebenen Parameter. Verschiedene Produktionsverfahren wurden geprüft und einige Arbeitsmuster und Musterflächen hergestellt. Der goldene Schnitt fand sich bald in allen Massen der Keramikplatten wieder. Das Fachwissen aller Beteiligten und der offene Dialog – der mir besonders gefiel – halfen, die geeignete Form, Glasur und alle Spezialteile bis zur Produktionsreife zu entwickeln.

Für die neue Wandverkleidung war ein widerstandsfähiges Material Bedingung. | Foto: Christian Schwager

Für die neue Wandverkleidung war ein widerstandsfähiges Material Bedingung. | Foto: Christian Schwager

Für die neue Wandverkleidung war ein widerstandsfähiges Material Bedingung. | Foto: Christian Schwager

Wie sieht das Ergebnis – sprich die keramische Wandverkleidung – für die Unterführung letztlich aus?

Die fertige keramische Wandverkleidung besteht aus wellenförmig profilierten Keramikplatten in einem hellen weiss-beigen Farbton. Die glänzende Oberfläche spiegelt das neue Kunstlicht und macht die Oberfläche haptisch und optisch spannend. Fünf verschiedene Platten mit vertikaler Wellenstruktur, die zwischen ein bis drei Wellen breit sind und verschiedene Abschlüsse aufweisen, wurden dazu entwickelt. Das machte die Verlegung der Platten ohne seitliche Anschnitte möglich und die Wellen laufen nun optisch fast fugenlos über die Kanten, Winkel und Rundungen durch die ganze Unterführung. Die Platten sind nur oben und unten entlang des Profils des Bodens und der Decke angeschnitten. Übrigens, von der ersten Idee bis zur Eröffnung der Personenunterführung sind drei Jahre vergangen.

Wie erfolgte die Herstellung der Kacheln in der Manufaktur der Ganz Baukeramik AG?

Für das durchlaufende, wellige Muster wählten unsere Keramiker ein spezielles Strangpressverfahren. Mit Hilfe eines Extruders und verschiedener Mundstücke wurde ein Tonstrang hergestellt und auf die jeweils gewünschte Länge geschnitten. Die handwerkliche Oberfläche, Haptik und Form konnten so am besten umgesetzt werden. Das Strangpressverfahren bot für den Grossauftrag von 600 Quadratmetern das beste Preis- / Leistungsverhältnis. Die Abmessung der Normplatte von 150 x 340 Millimetern erwies sich für das Handling wie auch den Brennofenbesatz als ideal. Als Träger wurde heller Ton gewählt und so glasiert, dass der Grundton durchscheint. Das Resultat war eine helle Keramik mit sehr schönen Schattierungen innerhalb des Weiss’. Apropos – bei der Herstellung musste jede Platte rund 35-mal in die Hand genommen werden.

Eine vertikale Wellenstruktur der Keramik war angestrebt. | Foto: Ganz Baukeramik AG

Das tönt nach viel Aufwand. Ist Manufakturkeramik überhaupt bezahlbar?

Es stimmt, handgefertigte Keramik hat ihren Preis. Dafür realisieren wir individuelle Unikate mit der Formensprache des jeweiligen Architekten oder Auftraggebers. Unseren Kund*innen wird es zudem immer wichtiger, woher die Produkte stammen. Da zählen der Standort Embrach und die Arbeitsplätze, die damit verbunden sind. Ausserdem ist Keramik dank der Herstellung aus rein natürlichen Materialien ein nachhaltiger Baustoff.

Was können interessierte Architekt*innen oder Gestalter tun, wenn sie ein ähnliches Projekt umsetzen möchten?

Als Erstkontakt bietet sich ein Mail an unseren Keramikmeister Lucian Kainz (l.kainz@ganz-baukeramik.ch) an. Er meldet sich dann telefonisch, um weitere Details zu besprechen oder einen Termin im Atelier unserer Manufaktur zu vereinbaren.

Und welche Projekte sind für die Manufaktur spannend?

Jedes Projekt birgt etwas Spannendes. Aber wenn es darum geht, die Vorstellung eines Kunden zu erfassen und umzusetzen, dann sind wir im Element. Wir und unsere technischen Möglichkeiten sind dabei die Werkstatt für unsere Kunden. Egal ob es sich um Neuinterpretationen wie beim Bahnhof Winterthur oder um Reproduktionen im Bereich der Denkmalpflege handelt.

Wir lieben es, an die Grenze der Machbarkeit vorzustossen und mit dem lebendigen Material Ton genau das Produkt zu erschaffen, das sich der Kunde wünscht.

Das Interview entstand in Zusammenarbeit mit Ganz Baukeramik AG.

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