Neubau Mottahütte, Lenzerheide

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7078 Lenzerheide,
Schweiz

Veröffentlicht am 10. Dezember 2020
Giubbini Architekten ETH/SIA AG

Gebäude vor dem Umbau Die Sitzgelegenheit entlang der Innenfassade auf drei Meter langen Eckbankelementen aus Fichte Massivholz ermöglicht  den Blick in den Raum. Holz wohin das Auge reicht. Die tragenden Innenwände lassen durch die offene Konstruktion das Sonnenlicht in die  Hütte strömen und gewähren den  Gästen den Durchblick. Im grössten Raum, der  etwa fünfzig Quadratmeter grossen «Cheminee Lounge», steht leicht zurückversetzt  der imposante Kamin mit der darunterliegenden offenen Feuerstelle. Die talwärts gerichtete Fassade ist nun eingeschossig und bietet weiterhin aus  drei querliegenden Fenstern Aussicht  auf das schöne Tal, Valbella. Die Balken des Strickbaus können mit Lücken ausgeführt werden, weil sie auf dem  Berg einer geringeren Luftfeuchtigkeit ausgesetzt sind.

Projektdaten

Basisdaten

Lage des Objektes
7078 Lenzerheide, Schweiz
Fertigstellung
01.2017

Gebäudedaten nach SIA 416

Stockwerke
2
Anzahl Kellergeschosse
1
Nutzfläche
1264 m²
Gebäudevolumen
7400 m³
Gebäudekosten (BKP 2)
7,5 Mio. CHF

Beschreibung

Licht im Gebälk

Im Skigebiet Lenzerheide wurde ein beliebtes Skirestaurant durch einen Neubau ersetzt. Giubbini Architekten aus Chur haben ein Gebäude entworfen, das wie eine hölzerne Laterne wirkt und Aufbruchstimmung ausstrahlt. Sie verliehen dem Traditionslokal ein modernes und gleichzeitig weiterhin traditionelles Aussehen.

Bis 2013 wurden die Skifahrer in der alten Mottahütte mit der grössten und besten Crèmeschnitte, einem bekannten Schweizer Traditionsgebäck, getröstet, weil sie von einer Verbindung ins Skigebiet Arosa noch träumen mussten. Die Hütte war ein angesagter Ort, um sich auf 2300 Meter Seehöhe nach einem gelungenen Skitag vor der letzten Abfahrt nochmals zu treffen und den Kitzel der geplanten Überfahrt im Nacken zu spüren. 2014 schliesslich wurde die Urdenenbahn 200 Meter oberhalb der Mottahütte eröffnet. Arosa und Lenzerheide wuchsen zu einem Skigebiet zusammen. Die Mottahütte kann nun auch schon vormittags die ersten Gäste aus Arosa im Skigebiet Lenzerheide willkommen heissen, was dem Standort eine völlig neue Bedeutung gibt. Dies veranlasste die Bauherrin das in die Jahre gekommene Gebäude zu ersetzen und für den Neubau einen eingeladenen Projektwettbewerb zu veranstalten.

Neue Aussichten
Die Erschliessung der Berge bringt eine neue Interpretation des Ortes mit sich. Die Anfahrt von der Piste her zur Hütte bleibt unverändert. Die Besucher sind vorwiegend Skifahrer und Snowboarder, die Hütte wird im Sommer nicht betrieben. Doch mit dem Neubau wollte man die besondere Lage im Skigebiet markieren. Auffallend ist die heutige um neunzig Grad gedrehte Richtung der Dachform und die daraus hervorgehende seitliche Ausrichtung der Hauptfassade auf die grosse Terrasse. Diese breitet sich in drei Ebenen ausladend entlang der Hangkante windgeschützt zwischen der Hütte und dem rückwärtigen, eingeschossigen Infrastrukturbau aus. Die sonnige Lage bietet den Gästen bis zum Sonnenuntergang auf langen Bänken und an zahlreichen Tischen beinahe mehr Platz als im Inneren der Hütte. Man fühlt sich hier vor der strahlenden, neuen Fassade nicht in der zweiten Klasse und entscheidet sich zum Mittagessen gerne auch für den Aussenbereich.
Die Orientierung spielt in einem Skigebiet eine grosse Rolle, aber ebenso der Spass. Man trifft sich, will gefunden werden und sucht nach freien Plätzen. Die Aufenthaltszeit der Gäste ist kurz und dennoch soll dabei die grösstmögliche Entspannung gefunden werden. Wer einen Platz im Inneren der Hütte findet, wird durch viel Licht und spannende Durchblicke belohnt. Genial ist die Sicht auf die Umgebung nach aussen.

Luftiger Strickbau
Die neue Hütte besteht aus einem länglichen, eingeschossigen Massivbau in Sichtbeton und aus einem davor gestellten, beinahe quadratischen Gästebereich aus Holz mit Satteldach und Kellergeschoss. Der Massivbau beinhaltet die notwendige In-
frastruktur und fungiert als Lawinenschutz sowie zusammen mit den zwei Hauptträgern als Aussteifung des Holzbaus.
Die textil anmutende, transparente tragende Aussenhaut des Holzbaus weist Ausnehmungen in verschiedenen Formaten auf, die nicht immer kongruent angeordnet sind mit den Fenstern in der dahinterliegenden Dämmschicht. Diese Verschiebungen erlauben es, nicht nur aus einem exklusiven Fenster eine gerahmte Bergkulisse zu bewundern, sondern teilweise auch durch die davorliegende Holzschicht.
Die auffällige Fassade trägt zusammen mit den Innenwänden das Dach und ist ein neu interpretierter Strickbau. Die Balken liegen nicht verkeilt aufeinander, sondern jeweils auf insgesamt etwa zweitausend schwalbenschwanzförmigen Klötzen. Diese sogenannten «Rössli», die als Distanzhalter zwischen den Balken angeordnet sind, haben dieselbe Höhe wie die Balken und stehen in der Tiefe ein paar Zentimeter vor. Viel Licht fliesst durch die Wand. Die Konstruktion zeichnet ein Karomuster, das dem Gebäude weiterhin die notwendige Robustheit verleiht. Durch die Öffnung der Fassade entsteht jedoch auch mehr Angriffsfläche für Schnee und Regen. Aussen sind die Klötze daher nur mit dem oberen Balken verkeilt, sodass unten keine Wannen entstehen, wo sich Wasser ansammeln könnte. Ein weiterer Wetterschutz ist die Materialwahl im Bereich der Fassade, wo die ersten Balken in Eiche ausgeführt sind. Im oberen Bereich, wie auch im Inneren wird einheimische Fichte eingesetzt.
Die verschiedenen Bereiche der Hütte, wie die «Clublounge» oder die «Cheminée Lounge», und auch die jeweiligen Durchgänge sind durch ebensolche tragende Wände unterteilt und erlauben den Gästen auch intern den nötigen Durchblick. Praktischerweise können am Platz die Handschuhe und Skihelme in den Nischen versorgt werden.

Hüttenzauber
Kalte Füsse, brennende Muskeln und trübe Sicht, wer kennt sie nicht, die Leiden der Skifahrer. Und doch ist es erstaunlich, wie schnell sie vergehen. Emotionen, wie der Anblick eines offenen Feuers, spielen dabei eine wichtige Rolle. Gleich nach dem Eintreten in die Hütte sticht der markante Kamin ins Auge. Er ragt hoch in den offenen Dachraum und hebt sich, ganz in schwarzem Metall gehalten, vom hellen Fichtenholz ab. Bald sitzt man in fröhlicher Runde an der Tischplatte um das Feuer mit Blick in den dahinterliegenden, verglasten Weinkeller. Diese Mischung aus moderner Einrichtung, hervorragender Küche und rustikalem Hüttencharakter entspricht den Anforderungen der Bauherrschaft. Sie scheint damit ins Schwarze getroffen zu haben. Die neue Mottahütte ist nach wie vor ein beliebtes Ziel.
Wie schon in der Fassade, die vom Kontrast des hellen Fichtenholzes und der durchscheinenden, dahinterliegenden und dunkel gestrichenen Dämmfassade lebt, wird auch in der Inneneinrichtung mit diesem Kontrast gespielt: Die Symmetrie des klaren Grundrisses und die reduzierte Einrichtung holt den modernen Genussmenschen ab und entführt ihn zwischendurch zurück in die gute alte Zeit. Die hellen Hocker am dunklen Kamin erinnern an Melkstühle. Im Essbereich entlang der Fassade sitzt man an Tischen aus heller Fichte, entweder auf ebenso hellen Einbaubänken oder auf schwarzen Bugholzstühlen. Wie Schneeflocken hängen Halogenleuchten in dünnwandigen Glasglocken an langen Kabeln aus dem Dachraum über den Tischen.
An der talseitigen Raumkante kommt die Decke auf normale Raumhöhe hinunter, sodass hier die helle Täferung wahrgenommen wird. Ansonsten trifft der Blick im Raum überall auf die raumtrennenden, offen gefügten tragenden Strickwände. Man fühlt sich geborgen und doch hat man den Überblick. Insbesondere der Blick zum Nachbartisch verführt einen dazu, wieder die hervorragende Crèmeschnitte zu wählen, die nach wie vor in der Mottahütte serviert wird. Nächstes Jahr kommt man sicher wieder!

Andrea Giubbini, Architekt von Giubbini Architekten zu der Holzkonstruktion:
«Die offen gefügte Holzkonstruktion ist das prägende Entwurfselement, sie trägt statisch, gliedert den Raum und schafft durch ihre unverwechselbare formale Ausbildung eine von aussen nach innen durchgängige Identität.»

Andrea Giubbini, Architekt von Giubbini Architekten zum Kamin:
«Der ausladende, hochaufragende, in glattem, schwarzem Stahl konstruierte Kamin ist nicht nur eine Feuerstelle sondern gleichzeitig eine raumgreifende Skulptur im Zentrum der Hütte.»

Text: Claudia Frigo Mallien

Erstmals veröffentlicht im Magazin der Schweizer Baudokumentation 2020-6

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