Wohnhaus Romeo
,
Schweiz
Veröffentlicht am 18. April 2023
Metron Architektur AG
Teilnahme am Swiss Arc Award 2023
Projektdaten
Basisdaten
Gebäudedaten nach SIA 416
Beschreibung
Das neue Wohn- und Atelierhaus Romeo erweitert das Angebot der Stiftung Domino um vier Wohngruppen mit zwanzig betreuten Wohnplätzen, eine Wohngruppe mit sechs betreuten Wohnplätzen und integrierter Beschäftigung sowie 22 Arbeitsplätze im Atelierflügel.
Ausgangslage
Seit über vierzig Jahren ist die Stiftung Domino in Hausen Anlaufstelle für Menschen mit Behinderung. Die Art und Weise, wie das Leben mit Assistenzbedarf in Wohnheimen organisiert ist, hat sich in den letzten vierzig Jahren gewandelt. Selbstbestimmung wird in der Stiftung Domino grossgeschrieben. Die Assistenz tritt in den Hintergrund – auch räumlich. Um den Bedarf an zusätzlichen Räumlichkeiten zu decken, lobte die Stiftung einen Projektwettbewerb für ein neues Wohn- und Atelierhaus in Hausen aus. Zum Hauptbau von 1997 entsteht auf der Nachbarparzelle ein neues eigenständiges Gebäude.
Entwurfsidee
Weiterbauen:
Der Neubau steht an der Schnittstelle zwischen historischem Dorfkern und Dorferweiterung der letzten 50 Jahre. Die Setzung des Gebäudes an der Strasse mit rückwärtigem Garten fügt sich in der Struktur des Strassendorfs Hausen ein.
Der Atelierflügel rechtwinklig zur Hauptstrasse, schafft zwei differenzierte Aussenräume. Im Süden, als Bindeglied zwischen Neubau und bestehendem Hauptgebäude entsteht der Atelierhof, auf den die Arbeitsräume orientiert sind. Die grosszügige Vorzone dieser Atelierräume und das Wohnhaus profitieren von dem intimeren, üppig begrünten Garten.
Raumstruktur, Lichtverhältnisse und Materialien bieten Sicherheit und Orientierung:
Für einen selbstbestimmten Alltag benötigen die Bewohnerinnen und Bewohner einen Rahmen, in dem sie sich sicher und eigenständig bewegen können. Wege sind dort, wo man sie sucht, – alles ist, was es scheint. Eine klare Anordnung der Räume, Ausblicke und Tageslicht am Ende der Korridore wie helle Bilder geben dem Auge ein Ziel und erleichtern die Orientierung. Räume werden durch ihre Materialisierung im Grundriss verortet. Haptik und Akustik unterscheiden sich. Motive wiederholen sich in gleichen Situationen und Funktionsräumen. In den Wohnungen überwiegt eine zurückhaltende Gestaltung, die Einrichtung der Bewohner hat Vorrang.
Projektierung
Die Funktionen zeichnen sich Aussen wie Innen in einer differenzierten Gestaltung aus. Die Betonfassade des Ateliers hebt sich klar von der Holzfassade des Wohnbaus ab. Eine feinstrukturierte Bänderung umfasst beide Gebäudeteile zu einer Einheit. Im Innern führt die Erschliessung mit rotem Plattenbelag und für diesen Bau gestaltetem Geländer und Fassadenmotiv durch das Gebäude. Der Gebäudekern mit Nasszellen und Reduit wird durch Sichtbeton und Eichentüren kontrastreich von den restlichen Räumen hervorgehoben. Die Wohnungsgestaltung ist zurückhaltend, einzig Fensterlaibungen in Eiche umrahmen die Sicht nach aussen.
Das Atelier ist geprägt von der Farbe und Struktur der Holzkonstruktion. Blaue Einbaumöbel setzten einen identitätsstiftenden Farbakzent.
Konstruktion und Ausgestaltung werden miteinander verschmolzen. Dem Brandschutz und der Erdbebensicherheit geschuldete massive Bauteile werden als Sichtbetonwände auch Bestandteil der Materialisierung, welche dann wiederum der Raumkennzeichnung und Orientierung im Gebäude dienen. Die Bänderung der Fassade ist nicht nur dekorativ, sondern übernimmt auch die Funktionen von Geländern und Brise Soleil. Konsequent werden die Eigenschaften der Holzhybridbauweise genutzt. Kern und Decken in Beton stellen die thermische Masse zum Heizen und Kühlen mit Bauteilaktivierung. Die Holzelementfassaden und Atelier-Dachkonstruktion nutzen die Vorteile der Präfabrikation im Werk und reduzieren den Anteil ressourcenintensiver Baumaterialien.
Besonderheiten
Das Romeo ist ein Wohnhaus, kein Pflegeheim. Diese Haltung zog sich durch den gesamten Entwurfsprozess und findet Ausdruck in der Gestaltung und Raumaufteilung der Wohngruppen. In den beiden Obergeschossen befinden sich je eine 4er- und eine 6er-Wohngruppe, wobei sich jeweils zwei Zimmer flexibel der einen oder der anderen Wohngruppe zuweisen lassen. Im zweiten Obergeschoss können ausserdem Einzelzimmer zu Paarzimmern verbunden werden. Jede Wohngruppe verfügt über einen eigenen Wohn-, Ess- und Kochbereich mit angrenzender Loggia. In den Küchen, die unterfahrbar sind, entscheiden sie, was gekocht wird, und kümmern sich soweit möglich auch selbst darum. Auch die privaten Einzelzimmer bieten Raum für eine individuelle Einrichtung. Einzig der Fensterrahmen, der den Blick in die Weite einfasst, und die gelochte Akustikverkleidung aus Eiche, die an alte Radiatorenabdeckungen erinnert, sind fixe Gestaltungselemente.
Zwischen den Wohngruppen begegnen sich Bewohnende, Mitarbeitende und Assistenz auf Augenhöhe. Seit 2021 arbeitet die Stiftung Domino nach dem Assistenzkonzept. Dieses bringt die Haltung der Stiftung zum Ausdruck: Die Menschen leben so selbstständig wie möglich und erhalten gezielt dort Unterstützung, wo sie sie brauchen.
Erarbeitung und Einführung des Assistenzkonzepts liefen annähernd parallel zum Bau des Wohnhauses Romeo und finden dort ihren räumlichen Ausdruck: In den Obergeschossen befindet sich das Assistenzzimmer – ähnlich einem gemeinsamen Empfangsbüro – jeweils zwischen den Wohngruppen. Die Assistenz ist jederzeit in der Nähe, jedoch in respektvollem Abstand.
Die Türen im Romeo sind grundsätzlich offen, die Bewohnerinnen und Bewohner können sich selbstbestimmt im Haus bewegen. So werden Begegnungen zwischen Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Beeinträchtigungen möglich, das «Anderssein» wird zur Normalität, die Menschen können lernen, damit umzugehen.