Scheidegger Keller etablieren Verdichtung als lustvolle Kunstform
Wohnen auf wenig Raum muss nicht zwangsläufig einen Verlust an Wohnqualität bedeuten. Das beweisen Scheidegger Keller mit dem Quirky House in Zürich. Obwohl dessen sieben Wohnungen für heutige Verhältnisse kleine Flächen aufweisen, wirken sie grosszügig und bieten eine Vielzahl räumlicher Erlebnisse.

Die klassische Gebäudeform kontrastiert mit den industriellen Materialien von Fassade und Dach. Die Schindeln bestehen aus unbehandeltem Faserzement; das Schrägdach ist mit Bitumen abgedeckt. | Foto: Karin Gauch & Fabien Schwartz
Verdichtung ist zur Maxime geworden, um den Flächenverbrauch durch Architektur zu verlangsamen. Doch wird damit das Bauen zugleich auch nachhaltiger? Nur begrenzt: Es wird zwar breiter, höher und tiefer gebaut, aber deswegen wohnen nicht mehr Leute auf dem zur Verfügung stehenden Land. Denn parallel dazu wächst der Wohnflächenkonsum pro Kopf in der Schweiz stetig an. 2023 betrug der Durchschnitt über 46 Quadratmeter. Ohne wirtschaftliche Not in eine kleinere Wohnung zu ziehen, um die CO2-Emissionen und den Landverbrauch zu senken, fällt den meisten Leuten schwer. Das dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass Bauherrschaften und Architekturschaffende in den letzten Jahren nicht auf das Schaffen von Wohnraum, der gleichzeitig kompakt und qualitätsvoll ist, fokussiert haben.
Fenster als Gestaltungsmittel
Christian Scheidegger und Jürg Keller machen keinen Hehl daraus, dass ihr neuester Wohnbau in Zürich-Höngg die geltenden Baugesetze, insbesondere die Abstandsvorschriften, abbildet, da er sich zugunsten einer maximalen Ausnützung bis an die Parzellengrenzen ausdehnt. «Bei kleinen Grundstücken erweisen sich die vielen Vorgaben oft als entwerferische Herausforderung», sind sie sich einig. Das Resultat ist ein eigenwilliges Gebäude – ein «Quirky House», wie sie es nennen. In ein silbergraues Schuppenkleid gehüllt, thront es über einer Quartiersstrasse. Die Giebelseite zur Strasse gerichtet, schreibt es die vorhandene Bebauungsstruktur weiter, wobei es sich mit Erkern und Balkonen neugierig nach allen Seiten streckt. Die meisten Fensterfelder haben die gleichen Abmessungen wie bei den Nachbarbauten, reichen jedoch auch mal bis zum Boden oder reihen sich zu einem Band. Das Spiel der unterschiedlich proportionierten Öffnungen gibt dem Haus von aussen betrachtet einen starken Charakter.

Mit seiner Giebelständigkeit und dem Volumen passt sich das Haus in den Kontext ein; hat aber mit den zahlreichen Erkern zugleich einen eigenständigen Charakter. | Foto: Karin Gauch & Fabien Schwartz
Inszeniertes Wohnerlebnis
Den Weg durch die Wohnungen haben sich die beiden Architekten als Kamerafahrt vorgestellt, als Abfolge verschiedener Szenen. Bei den westseitigen 3,5-Zimmer-Wohnungen im Erd- und Obergeschoss liegt der Eingangsbereich in der Mitte der gestreckten Einheit und wird durch die hervorstossende Ecke des Schlafzimmers begrenzt. Geht man um diese herum, kommt man in den nach Süden orientierten Wohnbereich, der aufgrund eines Fensterbandes grosszügig wirkt. Es gibt den Blick auf hohe Kiefern frei, die das einfallende Licht filtern. Ganz im Süden mündet der Raum in einen dreiseitig verglasten Erker. Von dort kann das Auge über die Skyline der Stadt bis zum Zürichsee und in die Glarner Alpen schweifen. Die Bewohner*innen haben vor der Fensterbrüstung ein Sofa aufgestellt. Es lädt dazu ein, sich niederzulassen und dem Raum zuzuwenden, der sich von dort betrachtet geborgen anfühlt. Um ans andere Ende der etwa 20 Meter langen Wohnung zu gelangen, kann man zurück durch den Eingangsbereich, oder der Fassade entlang durch das Schlafzimmer gehen und kommt so in den Küchenbereich. Ein ausgedrehter Balkon ragt mit einer Ecke in den grünen Siedlungsraum und belichtet sowohl den Schlafbereich wie die Küche. Von der Küche aus erreicht man ein zweites Zimmer, das wiederum einen Erker hat. Die 3,5 Räume finden auf gerade einmal 66 Quadratmetern Platz.

Wohnung im Erd- und 1. Obergeschoss – Blick von der Küche aus. | Foto: Vic & Chris
Ökonomischer Umgang mit Raum
In den insgesamt sieben Wohnungen leben derzeit 13 Personen. Gemäss den Belegungsvorschriften der gemeinnützigen Stiftung PWG, in deren Auftrag das Quirky House entstanden ist, müssen es mindestens 11 sein. Bei der Mindestbelegung verfügt jeder über durchschnittlich 39 Quadratmeter Wohnfläche. Unter den Erstmietenden ist auch ein Paar, das zuvor in einer deutlich grösseren Wohnung zu Hause war. Die vielfältigen Ausblicke und der gemütliche Charakter der neuen Bleibe – so erzählten sie bei der Besichtigung – haben ihnen den Umzug und die Wohnflächenreduktion erleichtert. «Vielleicht ist die Zeit reif, auch in räumlicher Hinsicht wieder ökonomisch zu handeln», meint Keller dazu. «Allerdings erfordert dies seitens der Bauherrschaften eine gewisse Flexibilität in Bezug auf das Raumprogramm.» Die PWG hat sich nicht nur diesbezüglich flexibel gezeigt, sondern auch hinsichtlich der reichhaltigen Gestaltungsansätze der Architekt*innen.
Dem Haus ist von aussen nicht anzusehen, dass gewisse Vor- und Rücksprünge aus baurechtlichen Vorgaben resultieren, da sie geschickt ins Gesamtbild integriert worden sind. Zudem verpassen die kleinteiligen und dünnen Eternit-Schindeln der Fassade ein homogenes Kleid.

Die Raumdispositionen etablieren einen Zickzack-Parcours. | Foto: Vic & Chris

Weil die Wohnungen lang und schmal sind, werden alle Zimmer grosszügig von Tageslicht durchflutet. | Foto: Vic & Chris
Der Text wurde von Daniela Meyer für das Swiss Arc Mag 2025–3/4 verfasst.
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