Weisser Elefant am Luganersee

 

Wissen

Veröffentlicht am 21. August 2025 von
Manuel Pestalozzi

Die kleine Ortschaft Campione d’Italia am Luganersee wird dominiert von einem Kasino. Die Spielbank gehört der Gemeinde und wurde von Mario Botta entworfen. Nach der Eröffnung im Jahr 2007 dauerte es elf Jahre, bis der Betreiber der riesigen Anlage bankrott war. Gebaut wurde hier für die Ewigkeit. Doch für etwas anderes als das Glücksspiel scheint sich die teure Struktur nicht zu eignen. Seit 2022 herrscht wieder eingeschränkter Betrieb.

Gemeindekasino von Campione d’Italia am Luganersee | Foto © Manuel Pestalozzi

Gemeindekasino von Campione d’Italia am Luganersee | Foto © Manuel Pestalozzi

Gemeindekasino von Campione d’Italia am Luganersee | Foto © Manuel Pestalozzi

Mario Botta ist ein begnadeter Baumeister, in dessen Werk sich auch zahlreiche Sakralbauten verschiedener Grössen befinden. Welcher Teufel ihn geritten haben mag, als er in diesen sehr «weltlichen» Auftrag einwilligte, ist nicht bekannt. Vergessen wird er dieses Werk in seiner direkten Nachbarschaft sicher nicht so schnell. Denn es ist das weitherum sichtbare Markenzeichen der italienischen Exklave am Seeufer, schräg gegenüber von Lugano. Angeblich soll es mit seinen neun Geschossen und Flächen von 55’000 Quadratmetern das grösste Kasino Europas sein. Allerdings gehört es nicht einem Kasino- oder Immobilienkönig. Weder die Trump Familie noch die Sawiris haben etwas zu tun mit dieser gewaltigen Anlage, die an die Residenz eines James-Bond-Bösewichts erinnert. Es ist ein «Casinò municipale», ein Gemeindekasino. Die Bürger*innen haben Geld aufgenommen, in der Hoffnung, Arbeitsplätze zu schaffen. Dafür wurden stattliche CHF 193 Mio. aufgewendet. Schon bald wurde aus dem Traum jedoch ein Albtraum: 2018 versiegelten Gerichtsvollzieher der Provinz Como die Eingänge. Das Kasino war bankrott, die Gemeinde fand sich mit weniger Arbeitsplätzen und einem riesigen Schuldenberg wieder. 2022 wurde die Anlage teilweise wieder geöffnet, statt wie einst 482 Angestellte arbeiten dort jetzt 174. Innerhalb von fünf Jahren sollen die verbliebenen Schulden zurückbezahlt werden, hiess es damals, man rechnete mit einer graduellen Steigerung des Betriebs. Auch vom Einzug von Geschäften und Restaurants war die Rede.

Von einer Erholung war beim Besuch in Campione d’Italia drei Jahre seit dem Relaunch leider nichts auszumachen. Die kleine Ortschaft lag still in der Sommerhitze, und das Kasino tat es auch. Noch immer vermittelt es den Eindruck, als sei ein Mammut in eine Herde Schwarznasenschafe hineingegrätscht. Der Fremdkörper scheint seine Nachbarschaft zu zerdrücken. Mario Botta liess bei der Realisierung seines Entwurfs nichts anbrennen. Die Volumen der drei symmetrisch angeordneten Hauptbaukörper sind allseitig mit fein rhythmisierten gemaserten Sandsteinplatten verkleidet. Wo der Aussenraum ins perforierte Gebäude hineingezogen ist, wurde Kopfsteinpflaster verlegt. Alles wirkt sehr gediegen und für die Ewigkeit gebaut, wenn auch schon leicht lädiert und verbeult.

Ist es statthaft, der Architektur die Schuld am Scheitern zu geben? Wie meistens wohl auch dieses Mal nicht. Vielleicht lassen sich Architekt*innen manchmal verblenden, wenn man ihnen Programme unterbreitet, welche auch für Laien sofort erkennbar überdimensioniert sind. Wer kann schon der Versuchung widerstehen, etwas Grosses zu bauen und mit ihm in die Geschichte des Standortes einzugehen? Möglicherweise war hier der Architekt die falsche Wahl. Mario Botta liebt es, ein «Gesamtwerk» abzugeben, das auf Lebenszeit in der selben Form fortbestehen wird. Dass er sich auch hier, beim Planen einer profanen Spielhölle, nicht von einer «sakralen» Entwurfs-Gesinnung abbringen lassen konnte, ist für den Ort wirklich verhängnisvoll. Zeigt die Architekturgeschichte nicht, dass sich auch repräsentative Paläste etappenweise erweitern lassen?

Foto © Manuel Pestalozzi
Foto © Manuel Pestalozzi
Foto © Manuel Pestalozzi

Was man nach dem Besuch konstatieren kann: Städtebaulich ist der Schaden angerichtet. Campione d’Italia wird dominiert von einem Lost Place, dessen Eingang respektive den Lift man unelegant ausschildern muss. Die kleine Ortschaft wird einzig von einer Sackgasse erschlossen, die sich als Einbahnstrassenschlaufe mit einer Kehre erweist. Der Höhenunterschied zwischen der Zu- und der Wegfahrt beträgt beim Kasino etwas mehr als 20 Meter. Der Gebäudekomplex überbrückt ihn: Der repräsentative Haupteingang mit einer grossen, gedeckten Vorfahrtsterrasse liegt auf der dem See abgewandten Rückseite an der oberen Zufahrt. Auf dem Niveau der unteren Wegfahrt, etwas oberhalb der Seepromenade und getrennt von ihr durch einen leeren asphaltierten Platz, gibt es einzig die Einfahrt in eine Einstellhalle. Der Hauptbaukörper ist von beiden Nebenbauten durch zwei offene Treppenkaskaden getrennt. Sie sind zwar ins öffentliche Wegnetz eingebunden – aber wer hat einen Anlass, sie zu beschreiten? In diesem Sinne ist das Kasino eine sinnlose Skulptur pharaonischen Ausmasses und dem Ort in keiner Weise angemessen. Damit wird die ganze Region die nächsten Jahrzehnte nolens volens leben müssen.

Haupteingang der Spielhalle | Foto © Manuel Pestalozzi

Haupteingang der Spielhalle | Foto © Manuel Pestalozzi

Haupteingang der Spielhalle | Foto © Manuel Pestalozzi

Manuel Pestalozzi betreibt die Bau-Auslese.

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