Bürogebäude als Ersatzneubau Emmenweid
,
Schweiz
Veröffentlicht am 17. September 2019
Baumschlager Eberle Zürich AG
Projektdaten
Basisdaten
Gebäudedaten nach SIA 416
Beschreibung
Das historisch geprägte Industriegelände des Viscose-Areals im Luzernischen Emmenbrücke befindet sich seit geraumer Zeit im Wandel. Innerhalb des teilweise denkmalgeschützten Ensembles haben Baumschlager Eberle Architekten aus Zürich ein innovatives Bürogebäude als Ersatzneubau entwickelt.
Die Geschichte des Areals begann im Jahr 1906, damals gründete der französische Industrielle Ernest Carnot an der Kleinen Emme die «Société de la Viscose Suisse». Sie begann schon bald mit der Produktion von Viscose-Filamentgarnen (Kunstseide). Das Unternehmen entwickelte sich rasant: Als einer der wichtigsten Arbeitgeber in der Region beschäftigte es bis zu 3000 Personen.
Innovation im alten Gemäuer
Nach dem Konkurs des Unternehmens im Jahr 2006 – nach hundert Jahre Firmengeschichte – hat sich das gesamte Gelände mit der beachtlichen Dimension von knapp neun Hektar, das entspricht der ungefähren Grösse der Altstadt Luzern, kontinuierlich weiterentwickelt. Aber bis heute ist das Bewusstsein für das historische, industrielle Erbe spürbar.
Das Produktionsgebäude des Crinolfadens war innerhalb des denkmalgeschützen Gebäudeensembles durch statische Unzulänglichkeiten bereits so baufällig, dass es zum Abriss freigegeben werden musste. Die besitzende Immobilienentwicklerin Brun Real Estate AG beabsichtigte einen innovativen Ersatzneubau für eine Büronutzung.
Nach einer kleinen Ausschreibung mit vier teilnehmenden Büros konnten die Architekten Baumschlager Eberle, die weltweit sehr erfolgreich tätig sind und zwei Büros in der Schweiz (Zürich und St. Gallen) führen, den Wettbewerb für sich entscheiden.
Wärmehaushalt neu gedacht
Verzichtet werden sollte auf jegliche Anlagen von Heizung, Lüftung oder Kühlung. Ziel war ein minimaler Energieaufwand für den Gebäudeunterhalt sowie eine kostengünstige Lösung, die eine kluge Konzeption für die Bauweise verbunden mit der richtigen Wahl der Materialien bedingte.
Baumschlager Eberle Architekten wendeten ein altes Prinzip an: Temperaturstabilität durch dicke Mauern. Ein knapp 80 Zentimeter breites, zweischichtiges Mauerwerk mit einem äusseren isolierenden Ziegel (Keller Imbrex Z7) und einem inneren statischen Ziegel (Keller Unipor WS 0.12) sorgt für den Ausgleich von Temperaturschwankungen. Vorbild für das Projekt in Emmenbrücke war das von Baumschlager Eberle bereits 2013 fertiggestellte Bürogebäude «2226», das die Architekten für ihren eigenen Firmensitz im österreichischen Lustenau entwickelten. Der Name steht für die konstant herrschende Innenraumtemperatur – zwischen 22 bis 26 Grad.
Als Wärmequellen im Haus dienen jene, die sowieso anwesend sind: die Nutzer selbst – jeder Mensch hat eine Wärmeabstrahlung von durchschnittlich 80 Watt – sowie die Beleuchtung, Rechner, Kopierer und selbst Kaffeemaschinen.
Dominierend in historischer Umgebung
Der Baukörper, welcher hautnah mit seiner historischen Umgebung verschränkt ist, erscheint wie das benachbarte, denkmalgeschützte Direktorengebäude auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftig: Etwas grob geschnitten und nackt mutet er neben den detaillierten Backsteingebäuden an.
Die Proportionen des neuen, viergeschossigen Baukörpers sind aber ausgewogen, auf halber Höhe mit einem Versprung in der Fassadenkante gegliedert, und nach allen vier Seiten geben grosse Fenster Panoramablicke auf die bergige Umgebung frei. Die Qualität des Baus manifestiert sich vor allem im Inneren der Büroetagen, die gut strukturiert und flexibel aufgeteilt werden können. Mit einen Erschliessungskern und den angegliederten sanitären Einrichtungen und Teeküchen bleibt ein breites umlaufendes Band frei für flexible Büroeinheiten mit stirnseitigen Sitzungszimmern.
Lüftungs- und Wärmeregulierung
Die an der Innenkante des Mauerwerks angeschlagenen und damit verschatteten Fensterelemente sind in einen grossen festverglasten Teil und einen kleinen, seitlichen Lüftungsflügel aus Eichenholz separiert.
Die Wärmeregulierung wird folgendermassen gesteuert: Im Winter sorgt die Abwärme aller Wärmequellen für eine angenehme Raumtemperatur. Innen angeschlagene, sensorisch gesteuerte Lüftungsflügel der Fenster öffnen sich automatisch, sobald der CO2-Anteil oder die Temperatur im Raum steigt. Bei sommerlicher Hitze öffnen sich die Flügel dagegen bei Nacht, um das Gebäude mit natürlicher Zugluft zu kühlen. Das automatische Öffnen der Fenster lässt sich jederzeit von den Nutzern kurzzeitig übersteuern.
Die Ausstattung der hohen Büroetagen ist angenehm unprätentiös, die schlichte Bodenoberfläche des Anhydrit-Fliessestrichs begleitet die grosszügigen Räume. Zur Behaglichkeit tragen die schalldämmenden Vorhänge, bevorzugt in den Bereichen der Sitzungszimmer, bei.
Baumschlager Eberles Bürohaus in Emmenbrücke ist ein wertvoller Beitrag für nachhaltiges Bauen. Die Fassade des Gebäudes wirkt neben seinen historischen Nachbarn dominant. Sie werden von der Grossflächigkeit der Fassade mit dem hellen, erdfarbenen Putz nahezu überstrahlt. Im Inneren löst es sein Versprechen vollumfänglich ein: Durch die beeindruckenden Ausblicke erhalten die Büroräume beinahe den Charakter von Hotelzimmern.
Text: Sibylle Hahner