Dorfplatzgestaltung in Vernayaz VS

 
1904 Vernayaz,
Schweiz

Veröffentlicht am 12. Oktober 2020
GayMenzel Sàrl

Place du Centenaire Place du Pas Überlagerungen. Zahlreiche für das Unterwallis charakteristische und landschaftsprägende Elemente: ein Teich, einige Erlen, der Berg, eine Mauer, eine Kirche und ein Relief mit drei Heiligen. Neuausrichtung: Ein vom Bildhauer Casanova de Monthey auf Höhe des Brunnens eingelassenes Flachrelief, welches längs der Kirche ausgestellt war, erscheint wie eine Spolie in der Wand. Diese wird durch einen Mauervorsprung vor der Witterung geschützt. Kontinuierlicher Wandel: Mit dem Wasser nimmt der Platz täglich eine neue Gestalt an, die Erlen haben eine langsamere, aber beständigere ästhetische Wirkung. Hier, zwei Jahre nach der Pflanzung, im Herbst 2016. Signifikat und Signifikant: Die Bänke  aus gestrahltem Beton mit weisser Gesteinskörnung und Marmor aus dem Klostergarten laden zur ewigen Ruhe ein. Visuelle Kommunikation:  die von den Architekten während der Entwurfsphase entwickelte Collage vermittelt bereits eine Vision, die der Atmosphäre des Projekts  nach seiner Fertigstellung  sehr nahe kommt. Angenehmes Klima und dezentrale Dichte: Rot-Ahorne und Waldföhren spenden dem öffentlichen Raum schützenden Schatten. Ein durchgehendes Band aus weissem Granitpflaster vom Steinbruch Bramois verbindet die Bäume wie einen Strauss. Punktuelle Durchlässigkeit: Der sandige Boden  bei den Waldföhren bildet einen Gegensatz zu den anderen Bodenbelägen. Wasser am öffentlichem Platz: ein Doppelbrunnen  mit zwei eleganten Messinghähnen ergänzt prachtvoll das Mobiliar am Place du Pas. Aufsatzleuchte BEGA 7141 Vielfalt an Bodenbelägen

Projektdaten

Basisdaten

Lage des Objektes
1904 Vernayaz, Schweiz
Projektkategorie
Fertigstellung
01.2014

Beschreibung

Zwei Plätze. Zwei Konzepte.

Noch ist der Hattrick nicht komplett: Zwischen 2012 und 2014 hat das Architekturbüro Gay Menzel zwei öffentliche Plätze für das Dorf Vernayaz entworfen und umgesetzt. Die beiden Plätze folgen ganz unterschiedlichen Konzepten, zeugen aber beide von der Vorliebe der Architekten, bestimmte Qualitäten des umgestalteten Raums durch Projektion oder Einbindung anderer Landschaften hervorzuheben.

Glaubt man der Statistik, ist das Wallis ein überwiegend ländlicher Kanton. Nur acht der 126 Gemeinden sind Städte; 34 Gemeinden haben gar weniger als 500 Einwohner. Die räumliche Realität bestätigt diese Auslegung der Zahlen jedoch nicht. Die Walliser Haupttäler sind Ballungsräume mit verschwimmenden Ortsgrenzen. Das zwingt die Gemeinden dazu, ihre Identität neu zu definieren, etwa durch die Gestaltung des öffentlichen Raums. Das gilt auch für Vernayaz, eine Gemeinde im Bezirk Saint-Maurice, die in attraktiver Nähe zu Martigny, Sion und der Genferseeregion liegt. Die Gemeinde hat die Bedeutung einer qualitativen Aufwertung des öffentlichen Raums und des Lebensumfelds ihrer Bewohner erkannt und unter anderem die zwei öffentlichen Plätze neu gestaltet, um die es in diesem Artikel geht. Sie sind beispielhaft für die qualitative Ortsentwicklung, aber auch für den Stellenwert, den solche Aufträge für die Architekten haben.

Der repräsentative öffentliche Raum: Der Place du Centenaire
Der neue Platz wurde anlässlich der Hundertjahrfeier (franz. centenaire) der Gemeinde eingeweiht: ein identitätsstiftender öffentlicher Raum als Jubiläumsgeschenk für die Einwohner. Entworfen und umgesetzt wurde der Platz vom Büro Gay Menzel, dessen Projekt als Sieger aus dem Wettbewerb hervorging. Der neue Platz öffnet sich auf die Landschaft und die Kantonsstrasse, den Hintergrund bilden die neugotische katholische Kirche und das Pfarreizentrum jüngeren Datums. Hinter der Kirche ragen bewaldete Berghänge und schroffe Felswände
in die Höhe, die diesem Teil des Tals mitunter die beklemmende Atmosphäre einer Wagneroper verleihen.

Zeichen am Wegrand
Das exzentrisch angeordnete Herzstück des Platzes bildet eine kreisförmige konkave Fläche aus schwarzem Beton-Terrazzo mit einem Durchmesser von 18 Metern. Dieses flache Becken füllt sich einmal täglich mit Wasser und spielt damit auf den in Vernayaz häufig ansteigenden Grundwasserspiegel an. In der Wasseroberfläche spiegeln sich die Kirche und die bewaldeten Hänge. Dieses Abbild der Umgebung lässt die Bewohner die Anziehungskraft erahnen, die der Berg im 19. Jahrhundert auf die hauptsächlich englischen Alpentouristen ausübte, die auf dem Weg nach Salvan oder Chamonix in Vernayaz haltmachten. Die Schwarzerlen, von denen einige direkt im Becken wachsen, stehen für eine noch weiter zurückreichende Vergangenheit: Sie symbolisieren die einstige Moorlandschaft des Tals. Eine verputzte Mauer mit traditionell spitzer Mauerkrone bildet zusammen mit den Bäumen ein schattiges Volumen, das im Kontrast zur Weitläufigkeit des Platzes steht. In die Mauer ist auf Höhe des Beckens ein Flachrelief mit drei Heiligen eingelassen, das früher längs der Kirche ausgestellt war. Unter dem Schatten der noch wachsenden Bäume verwandelt sich die Mauer danach zur Sitzgelegenheit.
Der hintere Teil des Platzes ist monochromatisch inszeniert: Das Weiss von Asphalt, Kirche und Pfarreizentrum verweist auf die lange christliche Tradition des Wallis, das seit dem 11. Jahrhundert von Pilgern auf dem Frankenweg durchwandert wird. Bestärkt wird diese symbolische Lesart des Platzes durch den nördlich der Kirche liegenden Pfarrgarten mit Efeubeeten und drei Betonbänken, die an Grabmale erinnern.
Neben dem raffinierten Erscheinungsbild, das sich aus der Gegenüberstellung verschiedener historischer Landschaftselemente und Erzählungen ergibt, überzeugt der Place du Centenaire auch mit wirtschaftlichem Pragmatismus, der sich in der Aufwertung des Bestehenden und der Wahl einfacher, nachhaltiger Materialien äussert. Die präzise Umsetzung und die ergänzenden Details verleihen dem Platz den gewünschten repräsentativen Charakter.

Der häusliche öffentliche Raum: Der Place du Pas
Der Place du Pas ist ein in zwei Flächen geteilter Quartierplatz im alten Dorfkern von Vernayaz. Im Gegensatz zum Place du Centenaire hat dieser Platz einen introvertierten und häuslichen Charakter. Das zeigt sich schon an den engen Gassen, durch die man zum Platz gelangt und die wie Vorräume der angrenzenden Häuser wirken, und an den Blumentöpfen, Tischen, Stühlen und Spielsachen, die den Platz säumen.

Mit den Anwohnern für die Anwohner
Der Place du Centenaire ist eine offene Landschaft mit historischen und inhaltlichen Verweisen. Damit trägt er die typischen Merkmale eines Top-down-Ansatzes. Der Place du Pas hingegen tritt diskret auf, wie ein verborgener nachbarschaftlicher Treffpunkt für die Bewohner der umliegenden Häuser, und ist das Ergebnis eines entschiedenen Bottom-up-Ansatzes. Es stellt sich die berechtigte Frage, ob hier überhaupt ein Architekt am Werk war.
Früher mussten die Pferde im Schritt (franz. pas) über diesen Platz gehen. Heute fahren die Autos darüber oder parkieren zwischen den Baumgruppen. Die Kronen der bestehenden Rot-Ahorne bildeten ursprünglich ein Dach über dem Teil des Platzes, den die Architekten von Gay Menzel als Wohnzimmer bezeichnen. Der andere, westliche Teil ist der «Vorraum», der hauptsächlich als Parkplatz oder als Stellplatz für ein grosses Zelt dient. Der Baumbestand wurde mit 15 einheimischen Wald-Föhren ergänzt. Ein durchgehendes Band aus weissem Granitpflaster verbindet die Bäume miteinander und führt in einen schattigeren Bereich im Westteil des Platzes. Die Bodengestaltung wird vervollständigt durch farblich abgestufte Belagflächen, die so angeordnet sind, dass sie eine Verlängerung der Privatgärten der angrenzenden Häuser bilden. Schliesslich trägt auch das bewegliche Parkmobiliar dazu bei, dass die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Raum verschwimmen.

Verantwortungsvoller Eklektizismus
Beide Plätze wenden eine Form des Eklektizismus an, eine Strategie, die Elemente aus verschiedenen Systemen entnimmt und ihnen einen neuen Sinn verleiht. Bei Gay Menzel beruht sie auf einem sozialen und im historischen Sinne romantischen Landschaftsansatz und auf einer Handlungsweise, die sich der Verantwortung der Architektur bei der Gestaltung von Räumen mit langfristiger gesellschaftlicher Wirkung bewusst ist. Dabei beweisen die Architekten, dass Qualität keine Frage des Budgets sein muss.

Götz Menzel, Architekt und Büromitinhaber von Gay Menzel Sàrl zum Place du Centenaire:
«Urbane Strassenlaternen stehen bei den Bäumen, um sie nach Einbruch der Dunkelheit wie eine elektrifizierte Natur zu Schau zu stellen.»
«Der mit weissem Asphalt belegte Teil des Platzes dient als Kirchenvorplatz und weist der Kirche eine Dimension zu.»


Catherine Gay Menzel, Architektin und Büromitinhaberin von Gay Menzel Sàrl zum Place du Pas:
«Ein Mosaik aus unterschiedlich gestalteten Bodenbelägen ist so angeordnet, dass die einzelnen kleinen Grundstücke parzellenartig aufgeteilt werden.»

Text: François Esquivié

Erstveröffentlichung: Magazin der Schweizer Baudokumentation 2020 - 4

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