Rathaus Zürich, Provisorium Kirche Hard

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8004 Zürich,
Schweiz

Veröffentlicht am 28. März 2023
Ernst Niklaus Fausch Partner AG
Teilnahme am Swiss Arc Award 2023

Ratssaal, Blick vom Präsidium 1. Ratssitzung, 20.02.2023 Detail Akustikleuchte Sitzungszimmer Ruheraum Fraktionssekretariate Grosser Saal Neues Foyer mit Filzbändern zur Schallabsorbation Theke im Foyer mit wiederverwendeter Pendelleuchte des Abendmahltisches Kirche Hard am Bullingerplatz im Kreis 4 in Zürich

Projektdaten

Basisdaten

Lage des Objektes
Bullingerstrasse 4, 8004 Zürich, Schweiz
Fertigstellung
01.2023
Links

Gebäudedaten nach SIA 416

Geschossfläche
3815 m²
Gebäudevolumen
14'967 m³

Beschreibung

Mit präzisen architektonischen, technischen und atmosphärischen Eingriffen und Umnutzungen konnten ein andachtsorientierter Kirchenraum in einen dialogorientierten Parlamentsraum umgewandelt und aus einer Quartierkirche ein Rathaus geschaffen werden.

Ausgangslage

Während der Instandsetzung des historischen Rathauses an der Limmat in Zürich finden die Sitzungen des Kantonsrats und des Gemeinderats der Stadt Zürich in der Kirche Hard (Bullingerkirche) statt. Das ab 1925 erbaute und von den Gebrüdern Pfister 1955 ergänzte Gebäudeensemble ist ideal für den provisorischen Ratsbetrieb geeignet. Die Symmetrie der Anlage begünstigt die funktionale Organisation des Rats- und Besucherbetriebs und der introvertierte lichtdurchflutete Kirchenraum bietet genügend Platz und den angemessenen repräsentativen Grundton für das Parlament.

Entwurfsidee

Die fortwährende Integration des Neuen in das Alte beschreiben bereits die Entstehung und das architektonische Prinzip des Ensembles Bullingerkirche. Das Rathausprovisorium schreibt dieses Prinzip fort. In den von den Materialien Backstein, Sperrholz und Beton geprägten Kirchenraum wurden reversible Ausstattungen eingefügt, mit dem Ziel, die repräsentative Atmosphäre gegenüber der religiösen Grundstimmung zu stärken und hervorzuheben. Deshalb wurden anstelle der Kanzel, die abmontiert und eingelagert wurde, vier neue Stützen im Raum verteilt und daran drei Ringe aufgehängt. Die Ringe konzentrieren den Raum auf die Mitte, wo in Zukunft das Wort der Parlamente im Mittelpunkt stehen wird. Die drei markanten Ringe prägen den Raum und geben eine starke atmosphärische Wirkung. Sie sind Lichtquelle und Akustikdämmung zugleich. Den harten Materialien des Raumes wurde Wolle gegenübergestellt: In der Form von Teppich und von Filzbändern, welche auch in den drei Ringen schmückend verdreht eingesetzt sind. Sie bestehen aus Wolle von weissen und schwarzen Schafen. Wie vorher die Kirchenbänke der 1950er-Jahre sind die Möbel und Ratsstühle in Sperrholz. Mit dem neuen Foyer der Parlamentarierinnen und Parlamentarier wurde ein grosszügiger Raum für den informellen Austausch geschaffen. Durch eine einfache Renovation mit punktueller neuer Farbgebung konnten aus den ehemaligen Unterrichts- und Mehrzweckräumen die bisher fehlenden Fraktions- und Kommissionszimmer geschaffen werden.

Projektierung

Die Projektierung erfolgte unter dem Leitthema eines möglichst nachhaltigen Substanzerhaltes und der Minimierung des Eingriffs in die denkmalgeschützte Substanz. Alle Eingriffe wurden auf ihre Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit hinterfragt, Rückbauarbeiten wurden räumlich konzentriert. Die stimmige Materialisierung mit sichtbelassenen Oberflächen in Beton, Backstein, Holz und ungefärbtem Putz wurde mit den neuen Bauteilen weitergeführt. Alle neuen Bauteile sind dabei ohne Beschädigung der geschützten Substanz wieder rückbaubar. Ein zentrales Thema dieser Umnutzung sind die grossen Anforderungen an Haustechnik und Bauphysik. Um auch hier die Eingriffe zu minimieren, wurde die Haustechnik additiv eingesetzt, das heisst Lüftung, Heizung, Elektro und Kommunikationsversorgung wurden ohne Eingriff in die Substanz in der Podesterie geführt. So konnten alle Parlamentsplätze optimal mit Technik versorgt und ein angenehmes Raumklima geschaffen werden. Im Gegensatz zu einer Kirche, welche eine hallende Akustik und gedämpftes Licht aufweisen soll, musste im Parlamentssaal eine dialogorientierte Akustik und eine für TV-Übertragungen nutzbare Beleuchtung geschaffen werden. Diese hohen Anforderungen wurden konzentriert und sichtbar in den drei konzentrischen Ringen erfüllt, welche aus Filzbändern, Lichtlinien und Bühnenträgern entwickelt wurden. So entsteht im Dialog mit der bestehenden Struktur ein zeitgemässes Parlament, welches den konstruktiven Dialog räumlich unterstützt.

Realisierung

Insgesamt bestand zwischen Start der Beauftragung und der ersten Sitzung ein Zeitfenster von circa achtzehn Monaten. Nach je einem Dreivierteljahr für Projektierung und Realisierung konnte das Gebäude im Februar 2023 an die Auftraggeberschaft übergeben werden. Dieser eng getaktete Zeitplan konnte in der intensiven Realisierungsphase nur mit einer ständig vor Ort sich befindenden Bauleitung und einem permanenten Austausch «auf Augenhöhe» von Planung, Bauleitung und beteiligten Unternehmen eingehalten werden. Dabei mussten alle Arbeiten auch aus denkmalpflegerischer Sicht auf ihre Eingriffstiefe überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Seit Ende Februar 2023 tagen nun die Zürcher Parlamente in der Bullingerkirche und schreiben so eine neue Nutzung in das alte Gebäude ein.

Besonderheiten

Die Umnutzung einer Kirche ist eine besondere Herausforderung: Aus einem Raum der Andacht soll ein Raum des Dialogs, aus einem christlichen Raum ein Raum für die Vertretung der gesamten Bevölkerung werden. Dabei haben wir uns an dem 1955 zur Einweihung der Bullingerkirche formulierten Grundsatz der Gebrüder Pfister orientiert: «Wir haben uns bemüht, klare und grosse Formen zu schaffen, die Detailausbildung so weit zu fördern, dass sie als Solche nicht auffällt und uns nur auf einige wenige Akzente konzentriert. Wir glauben, dass nur durch bewusste Einschränkung bei der Wahl unter vielen Formen, Materialien und Farben, die Möglichkeit besteht, eine Wirkung zu erreichen, die Bestand hat.» Die Wirkungen, welche in einem Parlamentssaal Bestand haben sollen, sind die politischen Entscheide, welche im Dialog unter den drei Ringen erarbeitet werden.

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