Warschau «Stadtreparatur in einer von Brüchen geprägten Stadt»

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00138 Warszawa,
Polen

Veröffentlicht am 01. April 2022
 
Teilnahme am Swiss Arc Award 2022

Blick Über die Sächsische Achse in den Mirowski-Park Blick über den Gościnny-Dwór-Platz Blick über die Krochmalna-Strasse und den Drzewiecki-Platz Eingangssituation Hochhaus am Gościnny-Dwór-Platz Nożyk-Allee in Richtung Mirowski-Park Eingangssituation Hochhaus am Drzewiecki-Platz Eingangssituation Hochhaus am Drzewiecki-Platz Park in Richtung Drzewiecki-Platz Quartiersraum Wohnung horizontal verbunden Blick nach aussen Schlafzimmer Maisonette Erholungsraum Dachterrasse Blick auf das Stadtzentrum

Projektdaten

Basisdaten

Projekttyp
Studierendenentwürfe
Fertigstellung
07.2020

Beschreibung

Die Siedlung Hinter dem Eisernen Tor verkörpert die dramatische Geschichte Warschaus.
Die folgende Entwurfsarbeit ist eine Fortsetzung und gleichzeitig Folgerung sowie Vollendung einer einjährigen Auseinandersetzung mit der Stadt Warschau und dessen Stadtteil «Hinter dem Eisernen Tor».

Ausgangslage

Der Bezirk «Hinter dem Eisernen Tor» ist ein Beispiel für die wirtschaftliche und soziale Transformation einer Wohnsiedlung aus den 70er Jahren in Polen. Nach dem Mauerfall entstanden zwischen den Wohnblöcken zahlreiche Neubauten. Diese Verdichtung verunklärte die städtebauliche Struktur und liess das Quartier durch eine fehlende übergeordnete Planung bislang bedingt mit der Stadt verwachsen. Die Investitionen der letzten Jahre haben den offenen Raum und das Grün in öffentlich unzugängliche Parkplatzflächen umgestaltet, welche die räumliche Unordnung verstärken und das Gebiet isolieren.

Entwurfsidee

Das Gebiet um die Siedlung «Hinter dem Eisernen Tor» in Warschau besitzt sichtbare, aber auch unsichtbare Spuren architektonischer oder städtebaulicher Erbe. Der Transformationsprozess durch den Gang der Zeit, die lineare Entwicklung der Stadt, wird durch viele übereinanderliegenden Schichten ablesbar. Die Distanz zwischen den verschiedenen Erben ist jedoch gross. Die Siedlung ist ein Exempel des Konflikts und der Isolation.
Um den Erhalt der Erbe und die Integration des Gebietes in das Stadtgefüge sicherzustellen, wird ein Eingriff in einem städtebaulichen Massstab, sowie in die bestehende Bausubstanz vorausgesetzt.
Mit einem städtebaulichen Eingriff wird versucht, den historischen Prozess des Ortes in seiner Kontrastierung von Alt und Neu zu thematisieren. Die Bewohner sollen spüren, was stattgefunden hat. Die Geschichte des Ortes soll dargestellt werden, ohne diese zu rekonstruieren. Dabei muss der Eingriff immer aktuellen Anforderungen einer Gesellschaft gerecht werden. Es gilt eine Harmonie zwischen Architektur, sozialer Gegebenheiten und dem Ort, sowohl physisch als auch kulturell zu schaffen. In dem der Monofunktionalität entgegengewirkt wird, wird versucht, einen flexiblen und identitätsstiftenden Lebensraum zu schaffen. Der exemplarische Eingriff in ein Wohnhochhaus der Siedlung «Hinter dem Eisernen Tor» soll eine Transformation und somit einen erreichbaren Erhalt des modernistischen Erbes nachweisen.

Projektierung

Der Eingriff in drei Ebenen bildet das Grundgerüst der städtebaulichen Strategie. Neue Baukörper bringen zusätzliche Nutzungen und ermöglichen die Bildung identitätsstiftender Räume. Eine räumliche Vielfalt mittels neuer Raumstrukturen belebt das Quartier und geht auf die divergierenden Ansprüche einer polyfunktionalen Stadt ein. Die Integration eines neunen, feinmaschigen Erschliessungsnetzes erleichtert die Querbarkeit, belebt den Strassenraum und integriert das Gebiet in das bestehende Stadtgefüge.
Die autonome Neubebauung schliesst das Quartier in Anlehnung an die Blockrandbebauung der Vorkriegszeit ab und gibt den Mirowski-Markthallen ein Gegenüber. Die Setzung des neuen Hochhauses im Westen betont die Symmetrie zur Sächsischen Achse und den Eingang in den Mirowski-Park. Gleichzeitig akzentuiert das an der Johannes-Paul II.-Allee ausgerichtete Hochhaus das Ende des Parks. Eine geschickte Setzung der neuen Baukörper ermöglicht die Integration in die Wohnsiedlung, ohne mit dieser zu konkurrieren. Durch die Zuordnung der Gebäude werden neue Räume geschaffen und bestehende hervorgehoben. Drei neu geformte Raumcharakteristiken bilden das Leben des Quartiers und verkörpern jeweils eine ablesbare Zeitschicht des Ortes. Zwei neue Plätze am Eingang und Ende des Mirowski-Parks bilden einen Ort des Austausches und deuten auf die ehemals wichtigsten Handelsplätze Warschaus. Rückwärtig zwischen den Wohnhochhausscheiben werden neu Quartiersräume mit lokalem Charakter geschaffen.

Realisierung

Mit der Sanierung der Wohnblöcke steht nicht eine materielle Rekonstruktion der Vergangenheit, sondern die ideelle Aktualisierung im Vordergrund. Vergangene Phänomene sollen mit der Ideologie des gemeinschaftlichen Wohnens wieder hervorgehoben werden. Die Architektur wird transformiert, um neuen Erfordernissen und neuen Inhalten zu entsprechen. Eine Aufwertung und Integration der bestehenden Wohnhochhausscheiben in die Gegenwart ermöglicht einen anhaltenden Erhalt des modernistischen Ideals. Eine nachhaltige Entwicklung bedingt einen Plan für heute und die nächsten Generationen. Aufgrund der komplexen Eigentumsverhältnisse ist ein Eingriff in die Wohnungskonstellation aktuell nicht möglich. Als Reaktion wurde ein zweiteiliges Vorgehen entwickelt. Es wird zwischen einem aktuell realistischen Eingriff und einem visionären Eingriff unterschieden.
Mit einer bauphysikalischen, räumlichen, aber auch sozialen Rehabilitation wird der Massenwohnungsbau wieder ins Leben gebracht. Um der wachsenden Anonymität entgegenzuwirken, werden Gemeinschaftsräume und Treffpunkte gebildet. Das «nebeneinander her leben» soll zu einem «bewussten miteinander» transformiert werden. Mit Sitz- und Spielmöglichkeiten in der Eingangslobby wird die Interaktivität gestärkt. Die Aufenthaltsqualität der Aufzugshallen wird durch die Öffnung der Fassade verbessert und neu zu Geschosstreffpunkte umfunktioniert. Das Dachgeschoss wird umgenutzt und den Bewohnern zugänglich gemacht.
-Fortsetzung in Besonderheiten

Besonderheiten

Neue Gemeinschaftsräume und die Umfunktionierung der ungenützten Flachdächer zu einer Dachterrasse bilden Raum für das gesellschaftliche Leben. Die Wiederherstellung des öffentlichen Erdgeschosses mit Raum für Einzelhandel, Gastronomie und Werkstätten unterstützten das Quartierleben und reaktivieren den Bereich um das Gebäude.
Die kleinen Wohnungen entsprechen nicht den aktuellen Anforderungen. Das Aufwerten der Wohnungen durch die Erweiterung des Wohnraums mit dem Anbau einer zusätzlichen Wintergartenschicht ermöglicht eine Aktualisierung an die heutigen Bedürfnisse. Neben der räumlichen Erweiterung bringt der Eingriff eine bauphysikalische Aufwertung. Der statisch unabhängige Anbau in Form eines unbeheizten Wintergartens dient als Wärmepuffer vor allem für Übergangszeiten und bringt eine Verbesserung des thermischen und technischen Komforts.
Visionärer Eingriff:
Eine mittel bis längerfristige Vision skizziert die Vorstellung einer Sanierung, welche in den nächsten Jahrzehnten durch auslaufen der begrenzten Eigentumsansprüche möglich wäre. Der funktionalistische Grundriss, welcher auf die sozialistische Kleinfamilie zugeschnitten war und keine Nutzungsvariabilität erlaubt, kann nicht mehr als zeitgemäss erachtet werden. Heute sind Wohngemeinschaften und Familienstrukturen breit gefächert. Es werden flexible Lösungen gefordert, die auch den Zeitfaktor berücksichtigen. Die Gesellschaft entwickelt sich ständig weiter und Bedürfnisse der Bewohner verändern sich im Laufe verschiedener Lebensabschnitte. Dies führt zu einem ständig ändernden Anforderungsprofil an den Wohnraum. In einer grosszyklischen Erneuerung sieht der visionäre Eingriff zusätzlich vor, Wohnungen vertikal und-/oder horizontal zu vergrössern. Indem die Diversität in den Wohnungen unterstützt wird, wird versucht, einen flexiblen und identitätsstiftenden Lebensraum zu schaffen.

Next Generation Projekt eingereicht für den Arc Award 2022 von: Dominik Koch, OST- Ostschweizer Fachhochschulen, St. Gallen

Projektbeteiligte Unternehmen

Planung

192770590