Mayer und Hüssy haben ihr Wohnhaus organisch in die Dorfstruktur eingefügt
In Liechtenstein wachsen die Dörfer Vaduz, Schaan und Triesen kontinuierlich zu einer Bandstadt zusammen. Mayer und Hüssy zeigen mit dem Wohnhaus Gapont auf, dass es möglich ist, die darin eingewobenen alten Dorfkerne zu verdichten, ohne die über Jahrhunderte gewachsenen Strukturen negativ zu beeinträchtigen. Die Architekt*innen haben die Grundrisse, den Baukörper und die Dachkomposition aus dem Kontext hergeleitet und zugleich im Inneren eine individuelle, faszinierende räumliche Vielfalt geschaffen.
Text: Roman Hollenstein
Fotos © Future Documentation / EO

Foto © Future Documentation / EO

Das Baustellenbild zeigt, dass die untere Ebene als betoniertes Sockelgeschoss ausgebildet ist, auf das zwei hölzerne Etagen aufgesetzt wurden. | Foto © Future Documentation / EO
Mehr als eine Agglomgemeinde
Besonders gut gelungen ist dies Triesen, der mit 5500 Bewohner*innen und ebenso vielen Arbeitsplätzen kleinsten Gemeinde des Dreigestirns. Das sich am steilen Sonnenhang rund um die Kirche scharende Dorf besitzt noch immer einige malerische, von Weinbergen umgebene Häusergruppen, die an die nahe Bündner Herrschaft erinnern. Entlang der Landstrasse nach Vaduz entwickelt sich Triesen jedoch immer mehr zu einer anonymen Schlafgemeinde. Die dort errichteten Siedlungen entlasten den historischen Dorfkern genauso vom Wachstumsdruck wie das klotzige, vor zwei Jahren am Dorfeingang entstandene Zentrum Sonnenplatz, das mit zwei Grossverteilern, einem Café und zahlreichen Wohnungen neues Leben nach Triesen gebracht hat.
Das aus drei Kuben bestehende Einkaufszentrum füllt einen Leerraum, der einst den alten Dorfteil etwas vom architektonischen Wildwuchs an der Landstrasse absetzte. Hinter den Neubauten verschwindet nun die ehemalige Weberei Spoerry, deren langgezogener Baukörper zuvor das Dorf wie eine Stadtmauer begrenzte. Zusammen mit einem Hochkamin und einem holzverkleideten Gasometer ist die Spoerry-Fabrik ein wichtiges Baudenkmal, in dem heute unter anderem eine Privatuniversität sowie das Kulturzentrum Gasometer untergebracht sind. Oberhalb der Fabrik wurde 2015 vom Triesner Architektenpaar Uli Mayer und Urs Hüssy auf einem schmalen Grundstück das Dreifamilienhaus Gapont errichtet, welches überzeugend aufzeigt, wie man in städtebaulich sensiblen Zonen nachhaltig verdichten kann. Das auf den sanft abfallenden Hang gestellte Gebäude, das Glenn Murcutts ökologischem Prinzip des «touch the earth lightly» zu folgen scheint, reagiert mit leicht abgestuften Wohnebenen und einem Y-förmigen Grundriss auf die Topografie und Parzellenform. Wie die traditionellen Häuser im Dorf besteht das dreigeschossige Gebäude aus einem massiven Sockel und einem hölzernen Aufbau. Dessen Verkleidung mit unbehandeltem Holz etabliert einen Dialog mit dem achteckigen Gasometer der Spoerry-Fabrik.

Der Neubau erscheint wie mit den beiden Nachbarhäusern verwachsen. Trotz der erzeugten Dichte, ist er porös und verbindet auf vielfältige Art und Weise die Strasse mit dem Garten und die Innen- mit den Aussenräumen. Ein kleiner Pool sammelt das Dachwasser und bietet Abkühlung im Sommer. | Foto © Future Documentation / EO
Den Ort architektonisch weiterdenken
Das nach dem etwas höher gelegenen Quartiersträsschen Gapont benannte Dreifamilienhaus erreichte die Endrunde des Architekturpreises «Constructive Alps» und machte so das 2004 gegründete Büro uli mayer, urs hüssy architekten über Liechtenstein hinaus bekannt. Der 1971 in Zürich geborene Urs Hüssy und die fast gleichaltrige Liechtensteinerin Uli Mayer haben beide an der ETH Zürich studiert. Ihr erstes bedeutendes Werk war 2006 die Sanierung und Erweiterung des denkmalgeschützten Brendlehauses in Schellenberg, das ihre Leidenschaft für die lokale Baukultur weckte. Ihm folgten Instandsetzungen, Um- und Neubauten, die aus Wettbewerben, Studien- und Direktaufträgen hervorgegangen waren. Besonders erwähnenswert sind zwei in ganz unterschiedlichen Architektursprachen gehaltene Werke: die aus klaren kubischen Formen bestehende Schulhauserweiterung mit Doppelturnhalle und Kindergarten in Mauren (2023) und das plastisch geformte Dreifamilienhaus Obergass in Balzers (2018). Dieses ist formal und strukturell eng verwandt mit dem Dreifamilienhaus Gapont, interpretieren doch beide die neue Liechtensteiner Verdichtungsstrategie, die in der Wohnzone eine Ausnützung von 60 Prozent (AZ 0,6) erlaubt, mit einer organisch aus dem Kontext hergeleiteten Form.
Raumkontinuum und Promenade architecturale
Im Durchgang gewährt ein grosses Rundfenster einen Einblick ins Entree, evoziert im Übergang zum Garten aber auch Bilder von Moon Gates chinesischer Parkanlagen, die Uli Mayer seit ihrem Auslandsemester an der TH Nanjing faszinieren. Gleich daneben befindet sich die Haustüre, hinter der man treppauf in den Schlafbereich oder treppab zur Wohnküche gelangt, die sich durch drei grosse Fenster panoramaartig zum Garten öffnet und weiter ins Atelier im Kellergeschoss. Dort unten verdeutlichen Ausblicke aus der Froschperspektive, wie respektvoll das Haus in den Hang geschoben wurde.
Die Hanglage inspirierte die Architekt*innen zu einem splitlevelartig versetzten Raumkontinuum mit unterschiedlich hohen Zonen. Dieses wird auf der Promenade architecturale erlebbar, die entlang einer im Uhrzeigersinn sich hinaufschraubenden Treppensequenz vom Keller über acht Ebenen bis hinauf zu den Schlafkojen über den Zimmern der beiden Töchter führt. Im Betonsockel sind Keller, Atelier und Küche untergebracht. Die Wohn- und Schlafbereiche sowie die beiden scharf ins Gebäudevolumen eingeschnittenen Aussenräume befinden sich hingegen im Holzbau. Der Übergang von Beton zu Holz spiegelt sich im Wechsel der Fussböden von Mosaikfliesen zu Kautschukbelägen. Die Wände wurden nicht zwischen den Rahmen gedämmt, sondern die Isolierung nach aussen gelegt. Innen blieb die Lärchenholzkonstruktion offen und kann somit als Regale oder Schränke dienen. Dadurch wird der veredelte Rohbau innen zum fliessenden Wandmöbel, das im Schlafgeschoss rot gestrichen wurde und im Wohnbereich in einem grau gedämpften Blaugrün in Erscheinung tritt.

Der Wohnbereich hat zwei Ebenen und dehnt sich grosszügig in den Raum des Satteldaches aus. Weil fast alle Wände als Regale ausgebildet sind, ist eine grosszügige private Bibliothek entstanden. | Foto © Future Documentation / EO
Erstveröffentlichung in Arc Mag 2024–2
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