Urban Mining und Recycling

 

Wissen

Veröffentlicht am 11. Juni 2021 von
Sonja Randjelovic

Die Weltbevölkerung wächst stetig und mit ihr der Flächenbedarf und Materialverbrauch. Dafür ist unter anderem die Bauindustrie verantwortlich. Im NEST in Dübendorf forschen Partner aus Forschung, Wirtschaft und öffentlicher Hand gemeinsam an Möglichkeiten, um die zur Herstellung eines Gebäudes benötigten Ressourcen zu minimieren.

In den letzten 150 Jahren hat die Menschheit sich angewöhnt, Materialien der Erdkruste zu entnehmen, zu gebrauchen und anschliessend wegzuwerfen. Die in der Erde lagernden Rohstoffe gehen dadurch stetig zur Neige, während gleichzeitig Millionen Tonnen an Bauabfällen auf den Deponien landen. Soll der Abbau von nicht erneuerbaren Rohstoffen gestoppt werden, müssen neue Ansätze entwickelt werden, wie und mit welchen Materialien in Zukunft gebaut werden soll.

Baumaterialien überdauern oftmals den Lebenszyklus eines Gebäudes. Um sie wieder in den Wertstoffkreislauf einbinden zu können, müssen sie beim Rückbau eines Gebäudes sortenrein getrennt werden können. Dies gelingt, indem Verbindungen einfach lösbar ausgebildet werden. Also schrauben statt kleben und der Verzicht von chemischen Materialbehandlungen.

Im Innovationsgebäude NEST der eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt in Dübendorf (Empa) werden solche Baumethoden auf ihre Praxistauglichkeit überprüft. Im NEST arbeiten über 150 Partner aus Forschung, Wirtschaft und öffentlicher Hand eng zusammen.

Das 2016 eröffnete Gebäude ermöglicht es, auf drei auskragenden Plattformen temporäre, thematisch unterschiedliche Gebäudemodule («Units») via Plug-&-Play zu installieren.

NEST-Gebäude mit UMAR-Unit © Zooey Braun, Stuttgart

NEST-Gebäude mit UMAR-Unit © Zooey Braun, Stuttgart

NEST-Gebäude mit UMAR-Unit © Zooey Braun, Stuttgart

Alternativen zu Stahl und Beton

Die NEST Unit Urban Mining & Recycling erprobt dort seit Februar 2018 unter realen Bau-, Nutzungs- und Wohnbedingung alternative Baumaterialien, welche nach deren Rückbau wieder in den Wertstoffkreislauf zurückfliessen können. Damit wird auf Kompositmaterialien, wie beispielsweise Klebstoffe, Silikone oder Schäume verzichtet. So werden aus zerrissenen Jeans Dämmstoffe. Getestet werden auch Dämmstoffe, die aus landwirtschaftlichen Nebenprodukten bestehen. Sie wachsen durch den Versatz von Mycelium, also Pilzwurzelgeflecht, zu brandbeständigen, druckstabilen Platten.

Die 150 Quadratmeter grosse Wohneinheit, konzipiert von Werner Sobek, gemeinsam mit Dirk E. Hebel und Felix Heisel, besteht zu nahezu 100% aus wiederverwerteten, wiederverwendeten oder kompostierbaren Materialien.

UMAR-Wohneinheit mit alternativen Baumaterialien © Zooey Braun, Stuttgart

UMAR-Wohneinheit mit alternativen Baumaterialien © Zooey Braun, Stuttgart

UMAR-Wohneinheit mit alternativen Baumaterialien © Zooey Braun, Stuttgart

Derzeit wird bereits an einer weiteren Einheit gebaut: Die neue NEST-Unit «Sprint» will gemeinsam mit Partnern aus der Wirtschaft innert kürzester Zeit flexible Büroräumlichkeiten schaffen und dabei grösstenteils wiederverwendete Materialien einsetzen. Das Projekt ist eine Zusammenarbeit verschiedener Akteure aus der Forschung (Empa), der Wirtschaft (Baubüro in situ ag, Bouygues E&S InTec Schweiz AG, HUSNER AG, Glassolutions) und der öffentlichen Hand (Stadt Dübendorf). Die Initiatoren folgten dabei dem Prinzip des «Design for Disassembly», damit bei einem Rückbau die Materialien und die Bauteile andernorts weiterverwendet werden können. Die neue Unit wird zwischen Mitte Juli bis Ende Juli 2021 bezugsbereit sein.

Neben der Wirtschaft wird auch die Lehre in Zukunft gefordert sein:

Bereits beim Entwerfen sollte der Rückbau eines Gebäudes mit berücksichtigt werden. Die Planungsphase kann somit als Chance begriffen werden, Materialien zu vermeiden, die dereinst als Sondermüll entsorgt werden müssen.

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