Renoviertes baukulturelles Ensemble

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1197 Prangins,
Schweiz

Luftbild des historischen Zentrums der Gemeinde Prangins: Hier fanden die drei Eingriffe statt. Bei der Renovierung  der Auberge Communale wurden alle invasiven Eingriffe beseitigt oder zurückgebaut. Dabei  wurde auf eine möglichst originalgetreue Erhaltung des Charakters des historischen Gebäudes geachtet. Die Schaffung eines Gartenraums sorgt für einen schlichten und eleganten Durchgang zwischen den renovierten Gebäuden. Im Hintergrund: La Passade, La Forge und L’Ancienne Poste Unter Berücksichtigung  der Gebäudetypologie entschied sich das Architekturbüro O. Rochat bewusst für zwei Ausrichtungen mit einem durchgehenden Lichthof, über den das Licht im Tagesverlauf bis tief in die Wohnungen gelangt. Durch die Erschliessung  des Platzes über eine Treppe erlebt der  Besucher einen stimmigen  Dialog zwischen den verschiedenen historischen Strukturen und der neugestalteten Umgebung.

Projektdaten

Basisdaten

Lage des Objektes
Rue de Benex 1, 1197 Prangins, Schweiz
Fertigstellung
01.2016

Beschreibung

Ein gut genutztes Kulturerbe

Der kleinen Waadtländer Gemeinde Prangins am Ufer des Genfersees wurde der Wakkerpreis 2021 des Schweizer Heimatschutzes verliehen. Drei gezielte Eingriffe durch Sanierung und Neuinterpretation haben zum Erhalt und zur Aufwertung des historischen und architektonischen Erbes des Ortes beigetragen.

Seit über einem Jahrzehnt wird die Gebietsentwicklung des Dorfes Prangins mit seinen 4000 Einwohnern und insbesondere der historische Dorfkern von den Behörden mit besonderer Aufmerksamkeit behandelt. Diese städtebauliche Herangehensweise misst dem Erhalt des Kulturerbes eine grosse Bedeutung zu und wurde nach und nach umgesetzt, um die programmatische Kohärenz zu wahren. Auf der Parzelle Nr. 220 der Gemeinde wurde der Vorgang schrittweise über drei Eingriffe umgesetzt. Es handelt sich um eine Häuserzeile, dessen ältestes Gebäude von 1727 stammt. Auch ein kleiner öffentlicher Platz im Bereich eines ehemaligen Veranstaltungssaales, der bis zu den Bauarbeiten an der Auberge communale aus dem Jahr 1797 angebaut war, wurde neu gestaltet.

Wertschätzung des Kulturerbes
Mit der Renovierung der Auberge communale beauftragte die Gemeinde das Büro von Pierre-Alain Couvreu, Architekt in Nyon. Das Gebäude an der Ecke der Rue de la Gare und Route de Benex stammt aus dem 18. Jahrhundert und wurde bereits mehrmals umgebaut. Die wesentlichsten Umbaumassnahmen erfolgten 1938, 1949 und 1978. Aufgrund fehlender Bestandspläne im Archiv und einiger sehr invasiver Eingriffe war es dem Architekten nicht möglich, mit Gewissheit den originalen Gebäudezustand zu rekonstruieren. Vorherigen Baumassnahmen wie ein 1937 errichteter Veranstaltungssaal machten die Nordfassade der Auberge zur Blindfassade. Sie wurde erhalten und freigeräumt und durch einen modernen, verglasten Zugang vom Café zum öffentlichen Platz hin ergänzt.
Im Gebäude selbst mit einer Bruttogeschossfläche von knapp 800 Quadratmeter Fläche, befinden sich im Erdgeschoss das Restaurant und ein neuer Zugang zum Hotel. Der Empfang wurde in der Mitte am Drehpunkt zwischen Café und Hotel angeordnet. Der Tresen ermöglicht eine Trennung zwischen Speisesaal und Café. Insgesamt neun Gästezimmer mit einer Gesamtfläche von 338 Quadratmetern befinden sich in den zwei Obergeschossen des Gebäudes. Fünf Zimmer mit Dusche im ersten Obergeschoss, darunter ein behindertengerechtes Zimmer und vier mit Badewanne oder Dusche im Dachgeschoss. Alle Zimmer sind unterschiedlich jeweils mit einer Wand in einer anderen Farbe gestaltet. Die speziell für die Zimmer angefertigten Möbel sind einfach und funktional. Durch die Einbeziehung vorhandener Elemente wurden Kosten eingespart. So hat der Architekt den in gutem Zustand befindlichen Holzfussboden des ehemaligen Veranstaltungssaals für den Fussboden im Café-Restaurant wiederverwendet, in gewisser Weise auch als lokale Erinnerung. Der Architekt betont auch, dass die eingesetzten Materialien gewollt einfach, warm und natürlich sind: Rohgips im Erdgeschoss, gestrichener Gipsputz in den Zimmern, Parkettböden im Erdgeschoss und Obergeschoss, Teppichböden im Dachgeschoss aus akustischen Gründen, Fliesen in den Nassräumen. Die Decke im Café und im Restaurant wurde mit besonderer Sorgfalt ausgeführt, um die Geräuschkulisse zu reduzieren.

Umbau historischer Gebäude zu Mehrfamilienhäusern
Für die im Dorfkern gelegenen Gebäude La Passade, La Forge und L’Ancienne Poste wurden die Lausanner Büros Bakker & Blanc Architectes und Olivier Rochat Architectes mit den Ausführungsarbeiten beauftragt. Der Umbau betrifft drei Gebäude einer Häuserzeile, die rund um einen Innenhof angeordnet sind, der mit dem öffentlichen Platz verbunden ist. Das älteste Gebäude der Gemeinde, La Passade, musste umfangreich saniert werden. Der Dachstuhl wurde an vielen Stellen verstärkt und anschliessend isoliert. Obwohl es laut einem der Architekten nach Untersuchung aller Bauteile kostengünstiger gewesen wäre, ihn vollkommen zu ersetzen, hat der Bauherr sich auf Grund des historischen Wertes auf den Erhalt eingelassen.
Alle Wohnungen vom Typ «Maisonnette» werden über den Innenhof erschlossen. Dadurch konnte ein beträchtlicher Anteil der Gebäudeperimeter für die Bewohner als Aussenbereich nutzbar gemacht werden. Mit ihrem programmatischen Ansatz wollten die Architekten die Fläche vor den Maisonette-Wohnungen beleben. Dazu wurden die Zimmer im Obergeschoss und Dachgeschoss angeordnet. Somit bleibt die traditionell im alten Dorf vorhandene Hausstruktur und -typologie erhalten. Durch die Übernahme dieser Eigenschaften im Projekt konnten halbprivate und private Räume geschaffen werden, die zum Blockäusseren hin ausgerichtet sind. Laut Olivier Rochat werden somit diese neuen Räume aufgewertet und verleihen dieser Art städtebaulicher Struktur ihren Charme. Der Grundriss nutzt seinerseits bewusst die Ausrichtungen über die durchgehende Verglasung, in die das Licht im Tagesverlauf bis tief in die Wohnungen gelangt. Seit der Renovierung werden die Gebäude als Mehrfamilienhäuser der Genossenschaft «Les Plantaz» genutzt.

Ästhetisches Konzept einer Platzgestaltung
Mit der Aussenraumgestaltung wurde das Büro Jean-Yves Le Baron, Landschaftsarchitekt in Lausanne, beauftragt. Die neu frei verfügbare Fläche des ehemaligen Veranstaltungssaals von 840 Quadratmetern deutete der Architekt neu als zeitgenössischen französischen Garten. Der Ort wurde als fehlendes Puzzleteil behandelt. Der Name des Gartens «La Broderie» bezieht sich auf die Broderieparterregärten des 17. Jahrhunderts. Damit wird ein plausibler Bezug zwischen dem nahegelegenen Schloss und dem mittelalterlichen Dorf geschaffen. Der kiesbedeckte Platz wirkt offen durch seine minimalistische Gestaltung. Eine lange, L-förmige Bank aus Eichenholz zeichnet symbolisch den Grundriss des ehemaligen Veranstaltungssaals nach, und eine abgerundete verputzte Mauer übernimmt den Stil der alten Grenzmauern der Gemeinde und des Schlosses. Ein Reliefparterregarten strukturiert den Platz mit Formhecken aus Stechpalmen und einem Blumenbeet, das einem Blühkalender entsprechend je nach Jahreszeit unterschiedlich blüht. Schliesslich wurden Töpfe eigens in der Farbe des Wandputzes angefertigt. Darin sind Sträucher gepflanzt, die den kleinen Vorplatz schmücken. Unterhalb der Treppe verleiht ein einziger Baum dem Massstab der Gebäude eine räumliche und landschaftliche Dimension. Durch die Schaffung eines an die Bedürfnisse anpassbaren Gartenraumes ist es dem Landschaftsarchitekten gelungen, den Ort den Einwohnern zurückzugeben.

Jean-Yves Le Baron, Landschaftarchitekt bei L’Atelier du paysage, zu der Aussenbank aus Eichenholz :
Eiche ist ein natürlicher Baustoff mit grosser ästhetischer Qualität, Langlebigkeit und Beständigkeit. Er erinnert ausserdem an die Bautradition der Gemeinde Prangins.

Olivier Rochat, Architekt bei O. Rochat Architectes, zu den Naturstein :
In diesem Projekt hat der Erschliessungsbereich eine besondere Bedeutung. Auf halbem Weg zwischen Innen- und Aussenbereich sind dort die Mauern wie Fassaden behandelt. Die Böden sind mit Kalkstein ausgelegt, der an den Steinplattenbelag der alten Bauernhöfe erinnert und dem Ensemble einen Ausdruck von Beständigkeit verleiht.

Text: Renzo Stroscio

Erstmals veröffentlicht im Magazin der Schweizer Baudokumentation 2021 - 4

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