Andermatt kompakt – Zoom-in die Häuser Koya und Frame von OOS

Veröffentlicht am 23. Juli 2024

Dem von der Andermatt Swiss Alps AG entwickelten neuen Quartier Andermatt Reuss wehte viele Jahre medial ein frostiger Wind entgegen. Nun, da die Hälfte der Häuser fertiggestellt ist, lohnt es sich, eine architektonische Zwischenbilanz zu ziehen. Und siehe da: Es ist ein durchaus reizvolles, urban anmutendes und dichtes Ensemble entstanden. Der Zoom in zwei Häuser von OOS zeigt, dass der kompakte Städtebau dort bis in die Grundrisse und Interieurs weitergedacht wurde: Auf kleinem Raum sind in den Häusern Frame und Koya überraschend grosszügig wirkende Wohnungen entstanden.

Text: Suzanne Schwarz & Jørg Himmelreich

Fotos: Thomas Aemmer

Panorama von Andermatt Reuss mit den älteren Dorfteilen rechts im Hintergrund | Foto: Kim Leuenberger

Panorama von Andermatt Reuss mit den älteren Dorfteilen rechts im Hintergrund | Foto: Kim Leuenberger

Panorama von Andermatt Reuss mit den älteren Dorfteilen rechts im Hintergrund | Foto: Kim Leuenberger

Seit 2009 entsteht in Andermatt auf einem ehemaligen Militärgelände am Ufer der Reuss ein neues Quartier. Die Andermatt Swiss Alps AG unter ihrem Verwaltungsratspräsidenten und Hauptaktionär, dem ägyptischen Investor Samih Sawiris, hat sich nicht weniger vorgenommen, als «eine der attraktivsten Tourismusdestinationen der Alpen zu schaffen». Dementsprechend wurde kräftig investiert: Bis Ende 2023 wurden vom Entwickler 1,6 Milliarden Franken in den neuen Dorfteil investiert. Die Übernachtungszahlen in Andermatt haben sich dadurch bereits mehr als verdoppelt. Als erste Bausteine wurden die Hotels The Chedi Andermatt (G&A Architects & Denniston, 2013) und Radisson Blu (ebenfalls G&A, 2019) sowie ein Golfplatz (2016) realisiert. Insgesamt sind sechs Hotels geplant. Ausserdem entstehen 42 Apartmenthäuser, von denen 22 bereits fertiggestellt sind. Später kommen noch weitere Projekte wie Villen oder der Wohn- und Geschäftskomplex Andermatt Mitte hinzu.

Apartmenthaus Frame | 3. Obergeschoss | Plan: OOS AG
Apartmenthaus Frame | 5. Obergeschoss | Plan: OOS AG
Blick auf das Frame Gebäude | Foto: Thomas Aemmer

Blick auf das Frame Gebäude | Foto: Thomas Aemmer

Blick auf das Frame Gebäude | Foto: Thomas Aemmer

Andermatt Reuss liegt in Gehdistanz zum Bahnhof und zur Gondelbahn, die das Dorf mit der Oberalpregion und Sedrun verbindet. Die Häuser stammen unter anderem von den Büros Knapkiewicz Fickert, Müller Sigrist, Lando Rossmaier, SLIK und Ilg Santer – um nur einige der Autor*innen zu nennen. Auch das Zürcher Architekturbüro OOS hat drei Wohnhäuser beigesteuert. Es gewann vor rund zehn Jahren den Wettbewerb für das Haus Frame. Daraufhin folgte der Auftrag für das Haus Koya und aktuell arbeiten sie an einem dritten Objekt mit dem Namen Val Val.

Das Medienecho auf den neuen Dorfteil in Andermatt war in den ersten Jahren enorm. Inzwischen hört man weniger von dort. Dabei wäre jetzt – da mehr als die Hälfte der geplanten Häuser gebaut ist, ein guter Zeitpunkt, um eine Zwischenbilanz zu ziehen. Wir tun dies Pars pro Toto: mit einem Zoom in die beiden fertiggestellten Bauten von OOS, weil sie mit ihren kompakten Grundrissen die architektonisch spannendsten Häuser sind. Darüber hinaus sind die beiden Gebäude auch interessante Arbeiten im Œuvre von OOS, mit denen das Büro einmal mehr seine Fähigkeit unter Beweis stellt, die verschiedenen Massstäbe von Städtebau, Architektur und Innenarchitektur in Beziehung zu setzen.

Apartmenthaus Frame | Raumhöhen von bis zu fünf Metern verleihen den Maisonette-ähnlichen Apartments im Haus Frame trotz kompakter Grundrisse von knapp 40 Quadratmetern ein grosszügiges Raumgefühl. | Foto: Thomas Aemmer
Apartmenthaus Frame | Alle Wohnungen haben einen schönen Blick auf die Landschaft oder das Dorf. | Foto: Thomas Aemmer

Einheit in Vielfalt

Der Masterplan für den neuen autofreien Dorfteil stammt von Denniston Architects aus Kuala Lumpur und wurde gemäss städtebaulichen Entwürfen der Büros Miller & Maranta, Miroslav Šik und Knapkiewicz & Fickert verfeinert. Einen stadträumlichen Auftakt bildet die Piazza Gottardo vor dem Radisson Blu Hotel Reussen. Von dort führen künftig vier Wege zwischen den freistehenden Häusern hindurch. Rechtwinklige Grundfiguren wechseln sich mit polygonalen ab. Schlendert man durch die angenehm engen Gassen, wird die urban anmutende Dichte spürbar. Die Fassaden sind vielfältig – mal ruhig und reduziert, mal vielfältig bis üppig und detailbeladen. Die drei Gebäude von OOS haben charismatische, individuelle Fassaden, die stimmig und selbstverständlich erscheinen. Andermatt Reuss setzt auf architektonische Vielfalt – unterschiedliche Materialien, Fensterformate, markante Erker, auskragende Fensterlaibungen und clevere Ecklösungen. Die Öffnungen orientieren sich auf die Gassen und kleinen Plätze oder bieten Weitblicke in den beeindruckenden Naturraum mit seinen Flussauen und Bergen.

Blick in zwei Apartements im Haus Frame | Pläne: OOS AG
​ Façade ​

Insgesamt wirkt das neue Quartier ansprechend, wenn auch noch etwas steril und künstlich. Aber das ist ein Allgemeinplatz, den man letztlich von jedem Neubaugebiet sagen kann. Immerhin sorgen Cafés, Restaurants und Läden für Belebung und ein moderner Konzertsaal (Studio Seilern, 2019) zieht abends Besucher*innen an.

Die Wohnungen finden indes regen Absatz und es gibt lange Wartelisten. Sie werden von den Besitzer*innen selbst genutzt oder als Ferienwohnungen vermietet.

Kompakte Räume – hohe Wohnqualität

Schon zu Beginn der Planung der Häuser Frame und Koya stand die Idee, raumökonomisches Wohnen für ein junges Ziel­publikum anzubieten: für sportliche und aktive Gäste, die viel Zeit in der Natur verbringen möchten, und mit Wohnungen, die zu diesem Lifestyle passen.

Design wird bei den drei Häusern grossgeschrieben. In den Wohnungen kamen hochwertige Materialien zum Einsatz. Alle verfügen über offene Küchen, gemütliche Wohn- und Schlafbereiche sowie behindertengerechte Bäder. Die Apartments sind unterschiedlich in Grundform und Grösse. So konnten die vorgegebenen Kubaturen der Gebäude mit einer maximal grossen Wohnungszahl ausgeschöpft werden. Bauen für den Tourismus in den Alpen mag an sich nicht nachhaltig sein, doch durch die Kompaktheit der Wohnungen wurde versucht, den Impact möglichst gering zu halten, erklärt OOS-Partner Raf Dauwe. Entsprechend gross war die Sorgfalt bei der Innenarchitektur: «Bei den Häusern Frame und Koya wollten wir trotz der kleinen Grundflächen Wohnungen mit hoher Raumqualität schaffen.»

Apartmenthaus Frame | Kompakte Räume – hohe Wohnqualität | Foto: Thomas Aemmer

Apartmenthaus Frame | Kompakte Räume – hohe Wohnqualität | Foto: Thomas Aemmer

Apartmenthaus Frame | Kompakte Räume – hohe Wohnqualität | Foto: Thomas Aemmer

Struktur und Raum als Einheit

Haus Frame hat einen sternförmigen Grundriss und erscheint wie eine Rotationsfigur aus flachen dreieckigen Erkern. Das prägnante, flach geneigte Dach könnte man als verzogenes Kreuzdach beschreiben – eine Art Zitronenpresse, die stark zusammengedrückt wurde. Die Fassaden sind aus Holz und wurden mit Kalk verputzt. «Tageslicht ist ein wichtiges Thema in unserer Architektur. Wir wollen möglichst viel davon in die Wohnungen bringen, ohne dass sie sich zu sehr aufheizen. Wir lenken das Licht und schaffen Durchblicke. Das erzeugt ein Gefühl von Tiefe, ohne dass sich die Bewohner*innen ausgestellt fühlen», so Dauwe.

Apartmenthaus Koya | Dachgeschoss | Plan: OOS AG
Apartmenthaus Koya | Halbgeschoss | Plan: OOS AG
Apartmenthaus Koya | Erdgeschoss | Plan: OOS AG
Apartmenthaus Koya | 1. + 3. Obergeschoss | Plan: OOS AG

Die 34 Wohnungen ähneln in ihrer Form Kuchenstücken, die rund um ein zentrales Treppenhaus angeordnet sind. Sie bieten einen Mix aus Duplex-, 2,5-Zimmer-Apartments und drei Studios. Sie zeichnen sich durch einen Micro-Living-Charakter bei gleichzeitig hohem Wohnkomfort aus. Architektur, Innenarchitektur und Möblierung verschmelzen zu einer stimmigen Einheit und erzeugen inspirierende Raum- und Wohnerlebnisse. Ein eingestelltes Volumen bietet jeweils gleichzeitig Platz für Bad, Küche, Schlafbereich und Einbauschränke. Hinzu kommt ein Aufenthaltsbereich mit Sitzecke. Die Bauherrschaft wünschte zudem in jeder Wohnung ein multifunktionales Rack mit Regalen für Gegenstände, TV-Geräte oder Sportsachen.

Apartmenthaus Koya | Wer genau hinschaut, kann den besonderen Schnitt des Hauses mit den Mezzaninetagen an den Fassaden ablesen. | Foto: Thomas Aemmer

Apartmenthaus Koya | Wer genau hinschaut, kann den besonderen Schnitt des Hauses mit den Mezzaninetagen an den Fassaden ablesen. | Foto: Thomas Aemmer

Apartmenthaus Koya | Wer genau hinschaut, kann den besonderen Schnitt des Hauses mit den Mezzaninetagen an den Fassaden ablesen. | Foto: Thomas Aemmer

Kulturtransfers

Raumökonomisches Wohnen wird auch im Haus Koya grossgeschrieben. Die charismatische Fassade mit der markanten Holzschalung wirkt ästhetisch, behaglich und anziehend. Ähnlich wie beim Frame wurden Architektur, Innenräume und Möblierung als ineinander verwobene Einheiten gedacht. Insgesamt gibt es 34 Maisonette-ähnliche Apartments, die sich auf die drei Stockwerke verteilen. Diese Duplex-Studios bringen das Loft in die Berge. Bis zu fünf Meter hohe Decken und grosse Fenster sorgen für eine offene Atmosphäre mit viel Licht; dadurch konnte auch die maximale Bauhöhe gut ausgenutzt werden. Die intelligenten Entwürfe und die clevere Organisation der Räume überzeugen. Jeder Raum wurde ausgenutzt und so ein hohes Mass an Wohnlichkeit erreicht. Die innovative Innenarchitektur zeigt Einflüsse aus der japanischen Kultur wie Schiebetüren und -schränke. Auch das gedämpfte Licht und die Texturen der Materialien weisen Charakteristika fernöstlicher Baukultur auf und die funktionalen Einbaumöbel aus Eichenholz erinnern durch ihre Wandelbarkeit an Origami-Kunst.

Apartmenthaus Koya | Die Axonometrien zeigen die galerieartigen Halbgeschosse der Wohnungen. | Pläne: OOS AG

Apartmenthaus Koya | Die Axonometrien zeigen die galerieartigen Halbgeschosse der Wohnungen. | Pläne: OOS AG

Apartmenthaus Koya | Die Axonometrien zeigen die galerieartigen Halbgeschosse der Wohnungen. | Pläne: OOS AG

Im Erdgeschoss dieses Hauses wie auch im Frame sind Gemeinschaftsräume untergebracht wie Lounges, grosse Küchen mit Essplätzen für mehrere Personen und eine Sauna – alles mit guter Sicht nach draussen, auf die Gassen und die Landschaft.

Das Konzept – kompakte Wohnungen mit hohem Erlebniswert anzubieten – erwies sich bei beiden Häusern als Erfolgsmodell: Die Einheiten waren schnell verkauft. Man mag touristischen Grossprojekten in den Alpen – wie den Entwicklungen in Andermatt – kritisch gegenüberstehen. Wenn sie aber derart smarte kompakte Konzepte wie das Frame und Koya hervorbringen, wünscht man sich für die Zukunft mehr davon!

Ausgeklügelte hybride Interieurs: Sitzbänke können in Gästebetten verwandelt werden, Küchenzeilen verwachsen mit Treppen, Schränke nehmen Waschtische auf. | Foto: Thomas Aemmer
Im Erdgeschoss befinden sich vier Gartenwohnungen und Gemeinschaftsräume. | Foto: Thomas Aemmer

Der Text wurde in Arc Mag 2024–4 erstveröffentlicht.

Bestellen Sie Ihr Exemplar unter: baudokumentation.ch/service/magazin-bestellen

192154109