Bunter Hund statt graue Maus – Buchner Bründlers Siedlung Rötiboden

Veröffentlicht am 16. Dezember 2024 von
Roman Hollenstein

Der Wachstumsdruck der Metropole Zürich lässt ehemals landwirtschaftlich geprägten Dörfer entlang des Zürichsees zur Agglo anschwellen. Aus dem Einheitsbrei neuer Wohnbauten ragt eine Gruppe erfrischender Reihenhäuser von Buchner Bründler in Wädenswil in mehrfacher Hinsicht heraus. Wer bei der Typologie ein parzelliertes Nebeneinander erwartet, ist überrascht, dass dort eine Siedlung mit üppigen Gemeinschaftsflächen entstanden ist. Innen haben die Häuser trotz ihrer Schmalheit einen Loftcharakter und zahlreiche farbige Elemente, welche die Häuser bevölkern, erzeugen ein Gefühl von Lebensfreude.

Text: Roman Hollenstein

Die beiden Volumina terrassieren das Gelände. Mit Plätzen, Balkonen, Dachterrassen und Loggien bieten sie vielfältige Aussenbereiche. | Foto: Paola Corsini

Die beiden Volumina terrassieren das Gelände. Mit Plätzen, Balkonen, Dachterrassen und Loggien bieten sie vielfältige Aussenbereiche. | Foto: Paola Corsini

Die beiden Volumina terrassieren das Gelände. Mit Plätzen, Balkonen, Dachterrassen und Loggien bieten sie vielfältige Aussenbereiche. | Foto: Paola Corsini

Die kleinen Orte am Zürichsee verwandelten sich kontinuierlich in eine Agglomeration mit Wohn- und Villenvierteln – verwoben mit Rebbergen, Wiesen, Feldern und Wäldern. Leider machen sich dabei selbst in den teuersten Aussichtslagen derzeit banale Luxusapartmenthäuser breit. Gleichwohl konnten einige Dörfer entlang des Sees ihren Charme bewahren. Zu diesen zählt Wädenswil, wo alte Gassen den Abhang hinaufführen zur Kirche, einem Meisterwerk des protestantischen Barocks und zum Schloss, in dessen ummauertem Landschaftsgarten sich ein stolzes klassizistisches Herrenhaus erhebt. Darüber weitet sich jenseits der Speerstrasse eine für die Schweiz typische Neubauzone mit einfallslosen Mehrfamilienhäusern aus, die der einst vielgelobten helvetischen Baukunst nicht zum Ruhm gereichen. Vielmehr berichten sie von fragwürdigen Bauvorschriften und der Geldgier mancher Investoren. Wie ein Krebsgeschwür überwuchern diese ano­nymen Bauten mittlerweile auch steilere Hanglagen, um in den Genuss von Aussicht auf den See zu gelangen.

Alternativen schaffen

Eine derart bevorzugte Lage wirkt sich auf die Grundstückspreise aus. So wurde auch für eine der letzten freien Parzellen am Steilhang eine gewaltige Summe Geld geboten. Die Landbesitzerin aber schlug sie aus, überzeugt davon, dass dieses einst zum elterlichen Bauernhof gehörende Terrain mehr verdiente als noch ein weiteres ge­nerisches Gebäude mit sündhaft teuren Eigentumswohnungen. Ihr schwebte eine lebendige Kleinsiedlung vor, in der sich auch mittelständische Familien ein eige­-nes Zuhause leisten können. Von einem Zürcher Architekturbüro liess sie ein Projekt erarbeiten, das jedoch «nicht singen wollte». Deshalb wandte sie sich 2016 an Daniel Buchner und Andreas Bründler, mit deren 1997 gegründetem Basler Büro sie bereits einige Jahre zuvor ein Haus für den Eigengebrauch auf derselben Parzelle geplant hatte. Aus familiären Gründen kam dieses letztendlich nicht zustande.

Attika | Plan: Buchner Bründler Architekten
Schnitt | Plan: Buchner Bründler Architekten
Gartengeschoss | Plan: Buchner Bründler Architekten
Hofgeschoss | Plan: Buchner Bründler Architekten

Schnell war allen Beteiligten klar, dass erschwingliche Eigentumswohnungen für den Mittelstand dort unmöglich waren, sofern die Eigentümerin das Grundstück für mit seinem aktuellen Marktwert einbringen würde. Ihr war das Projekt aber derart wichtig, dass sie bereit war, ihr Land zum halben Preis abzugeben, sofern Buchner Bründler Architekten für das Vorhaben nicht nur als Planende, sondern auch als Totalunternehmer, Financiers und Verkäufer die Verantwortung übernahmen. Gemeinsam mit dem ebenfalls am Projekt beteiligten Basler Ingenieurbüro Schnetzer Puskas gründeten sie daraufhin die BB Bauten AG, welche die Siedlung bis 2023 realisierte und die einzelnen Wohneinheiten zum Selbstkostenpreis verkaufte.

Die Bauvorschriften sahen für die Parzelle zwei mittelgrosse Volumen parallel zur Rötibodenstrasse vor. Dementsprechend entwarfen Buchner Bründler Architekten zwei aufeinander bezogene Reihenhauszeilen, die zunächst über Satteldächer verfügen sollten, ähnlich wie beim 2014 in einem minimalistischen Formenvokabular vollendeten Betonhaus in Lörrach. Der überarbeitete Entwurf sah dann aber zwei in der Längsrichtung terrassierte Gebäude mit Flachdächern vor, deren offene Struktur es den Bewohnenden erlaubt, sich frei in allen Aussenbereichen bis hinauf auf die eine Dachterrasse zu bewegen und von den verschiedenen Ebenen die Aussicht auf den See zu geniessen.

Der Vorhof, aber auch die Dachterrassen auf der Eingangsseite im Südwesten sind als gemeinschaftliche Treffpunkte konzipiert. | Foto: Paola Corsini

Der Vorhof, aber auch die Dachterrassen auf der Eingangsseite im Südwesten sind als gemeinschaftliche Treffpunkte konzipiert. | Foto: Paola Corsini

Der Vorhof, aber auch die Dachterrassen auf der Eingangsseite im Südwesten sind als gemeinschaftliche Treffpunkte konzipiert. | Foto: Paola Corsini

Gemeinschaft stimulieren

Nähert man sich der Siedlung von Westen her auf der Rötibodenstrasse, so treten die zwei nüchternen Betonbauten zuerst kaum in Erscheinung. Rasch geraten aber zahlreiche, erfrischend farbige Elemente in den Blick, welche die Gebäude beleben. Sie setzen sich zusammen aus insgesamt zehn dreigeschossigen Reihenhausscheiben unterschiedlicher Grösse und Proportionen sowie einer Etagenwohnung. Leicht gegeneinander abgedreht und höhenversetzt, flankieren die beiden Baukörper einen zentralen Kiesplatz, der durch eine Lücke zwischen den beiden Riegeln sogar teilweise Seesicht hat. Dank Brunnen, Baum und einem Gemeinschaftsraum in der östlichen Reihenhauszeile bildet er gleichsam eine Art Dorfplatz für die Siedlung, auf dem sich die ganze Nachbarschaft treffen und austauschen kann. Nach Süden geht er über in einen gestreckten, aus dem Hang gegrabenen Vorplatz, der – begrenzt durch die beiden Gebäude und eine hohe Strassenstützmauer – wie ein Innenhof wirkt. Von hier führen nach Osten eine Stiege, nach Westen eine Rampe und dazwischen eine – insbesondere bei den Kindern beliebte – Wendeltreppe hinauf zur Strasse.

Wendeltreppen sind eines der Markenzeichen der Arbeiten von Buchner Bründler Architekten – genauso wie die auf den Dachterrassen tanzenden, stelenförmigen Schornsteine, die beim Kunsthaus Baselland in Münchenstein zu gigantischen Lichtkaminen wurden. Dasselbe gilt für die kreisrunden, an Bullaugen erinnernden Wandöffnungen, die seit den frühen Einfamilienhäusern das Œuvre der Architekten mitprägen. Es erstaunt daher nicht, dass auch bei der Rötiboden-Siedlung Rund­fenster zum Einsatz kamen, zusammen mit einer weithin sichtbaren, aufgemalten schwarzen Kreisfläche auf der fensterlosen Stirnwand des Gemeinschaftsraums.

Noch auffälliger als die Kreisformen sind die beiden petrolgrünen Wendeltreppen, die wie übergrosse Skulpturen wirken und vom zentralen Platz aus die Reihenhäuser vertikal erschliessen. Sie verbinden die allen Bewohnenden zugänglichen Aussen­flächen vom Gartengeschoss über das Eingangsniveau und die Attika bis hinauf zum Flachdach, führen aber auch hinunter zur Tiefgarage mit elf Abstellplätzen, zu der die Autos über einen Fahrzeuglift gelangen. Das Petrolgrün der Treppen erzeugt im Zusammenklang mit dem Blau der Terrassengeländer, dem Gelb der Wetterdächer und dem Orange der Markisen eine Farbharmonie ähnlich jener, die Le Corbusier für die Unité d’habitation in Marseille entwickelt hatte. Auch die schmalen, tiefen, in Schottenbauweise erstellten Reihenhäuser scheinen von den Maisonetten der legendären Wohnmaschine angeregt worden zu sein.

Die farbenfrohen, abstrakt wirkenden Elemente stehen in einem Dialog mit der Betonkonstruktion und verleihen der kleinen Siedlung einen lebendigen Ausdruck. | Foto: Paola Corsini

Die farbenfrohen, abstrakt wirkenden Elemente stehen in einem Dialog mit der Betonkonstruktion und verleihen der kleinen Siedlung einen lebendigen Ausdruck. | Foto: Paola Corsini

Die farbenfrohen, abstrakt wirkenden Elemente stehen in einem Dialog mit der Betonkonstruktion und verleihen der kleinen Siedlung einen lebendigen Ausdruck. | Foto: Paola Corsini

Kompakte Grosszügigkeit

Im Erdgeschoss, das gegenüber der Strasse um etwa eine Etage niedriger liegt, betritt man die Häuser durch raumhohe Fenstertüren in den Küchenbereichen. Obwohl sämtliche Aussenzonen – mit Ausnahme der seeseitigen Terrassen im Attikageschoss – allgemeinzugänglich sind, gewährt die grosse Tiefe der Wohnungen eine gewisse Intimität. Die vollverglasten Fassaden und Raumhöhen von gut drei Metern, die dank einer Abstufung der Geschossplatte zum Wohnbereich auf 3,75 Meter ansteigen, lassen grosszügig Licht in die Wohnungen fliessen.

Wie die Fassaden sind auch die Innenräume aus ästhetischen Erwägungen, aber auch aus Kostengründen, in Sichtbeton gehalten. Dieser weist Spuren der Schalungsbretter auf und verleiht den Räumen – ähnlich wie beim 2018 umgebauten Lagerhaus in Nuglar – eine fabrikartige Atmosphäre. Die loftartigen, frei unterteilbaren Geschosse der Reihenhäuser werden durch sorgfältig detaillierte Einbaumodule der Nasszellen und Küchen in Bereiche mit unterschiedlichen Stimmungen gegliedert. Diese Elemente konnten die Eigentümer*­innen nach eigenem Gutdünken platzieren und genauso wie die filigranen Wendeltreppen und die Einbauschränke in einer von den Architekten zur Auswahl gestellten Farbe streichen lassen. Bei Bedarf wurden zudem einzelne Zimmer mit Sperrholz­wänden abgetrennt, deren Materialität und handwerkliche Ausführung einen Kontrast zur rohen Unmittelbarkeit der mineralischen Wand-, Decken- und Bodenflächen bildet.

Mineralische Oberflächen geben den Räumen einen minimalistischen Charakter. | Foto: Paola Corsini
Die farbigen Badmodule, die Treppen sowie das Holz von Küchen und Einbauschränken wirken dabei wie Darsteller auf einer Bühne. | Foto: Paola Corsini
Foto: Paola Corsini
Foto: Paola Corsini

Bullaugen in den Küchenböden versorgen die rückwärtigen Bereiche der in den Hang gebauten Gartengeschosse mit etwas Tageslicht, während sich die vorderen Raumteile mit Fensterfronten auf den Laubengang öffnen. Hier kann man in den tieferliegenden, mit Obstbäumen bepflanzten Gemeinschaftsgarten hinabsteigen, aus welchem man anschliessend auf zwei skulpturalen Betontreppen, die auf Le Corbusiers plastisch-brutalistische Nachkriegsarchitektur oder auf Giancarlo de Carlos Villaggio Matteotti in Terni verweisen, hinauf auf die nordseitigen Terrassen und weiter zum zentralen Platz gelangt.

Faszination Beton

Die Rötiboden-Siedlung bietet dank ihrer grosszügigen und offenen Konzeption aktiven und kontaktfreudigen Menschen ein ideales Umfeld. Dadurch hebt sie sich wohltuend von den trotz grosser Loggien und Balkone introvertiert wirkenden Wohn­blöcken der Umgebung ab. Irritieren mag allenfalls das an die Zeit des Brutalismus gemahnende Zelebrieren des plastisch eingesetzten Betons im Aussen- wie im In­nenbereich. Trotz wachsender Kritik aus Umweltschutzkreisen ist Beton bis heute das bevorzugte Baumaterial von Buchner Bründler geblieben. Das hindert sie aber nicht daran, sich vermehrt auch mit den kreativen Möglichkeiten des Holzbaus auseinanderzusetzen, wie etwa ihr Anfang 2024 gekürtes Siegerprojekt des Verwaltungsneubaus Kreuzboden in Liestal zeigt, den sie als Holzkonstruktion in Skelettbauweise realisieren werden – ein höchst innovatives Projekt, das garantiert im Arc Mag in wenigen Jahren besprochen werden wird.

Dass fast alle Aussenflächen miteinander verbunden und frei zugänglich sind, ist für einen Wohnungsbau ungewöhnlich. | Foto: Paola Corsini
Durch das üppige Angebot kann dennoch jeder seine Nische finden. | Foto: Rory Gardiner

Der Text wurde in Arc Mag 2025–1 erstveröffentlicht.

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