Das neue Kunsthaus Baselland von Buchner Bründler öffnet seine Tore

Veröffentlicht am 21. Mai 2024 von
Roman Hollenstein

Das Industrie- und Lagerareal auf dem Dreispitz in Basel und Münchenstein ist im Wandel. Büro- und Wohnnutzungen halten Einzug neben Bildungs- und Kultureinrichtungen. Die Stiftung Kunsthaus Baselland hat sich von Buchner Bründler Architekten in einer ehemaligen Lagerhalle eine neues Museum einrichten lassen. Drei neue skulpturale Betontürme formulieren eine architektonische Einladung an das Publikum.

Text: Roman Hollenstein

Fotos: Maris Mezulis

Als Kulturstadt geniesst Basel internationales Ansehen in den Bereichen Musik und Theater, vor allem aber in Architektur und Kunst. Für die grossartigen Kunstsammlungen der Stadt wurden in den letzten drei Jahrzehnten mehrere wichtige Neubauten geschaffen: Mario Bottas Tinguely Museum, Renzo Pianos Fondation Beyeler und – als museologische Neuerfindung – das Schaulager von Herzog & de Meuron. Beyeler ist im Vorort Riehen zu Hause und auch das Schaulager liegt nicht im Stadtzentrum, sondern im basellandschaftlichen Münchenstein am Rande des industriell geprägten Dreispitzareals. Längst hat die trinationale Stadt ihre Arme in die Nachbarkantone Baselland und Solothurn sowie nach Frankreich und Deutschland ausgestreckt. Wie eng diese Verflechtung ist, zeigt das Kunsthaus Baselland. Getragen wird es vom dortigen Kunstverein, der 1944 von lokalen Kunstschaffenden gegründet wurde und seit 1952 eigene Ausstellungen durchführt. Mit dem Kunsthaus Baselland eröffnete er 1998 ein eigenes Ausstellungsinstitut – nicht in der Kantonshauptstadt Liestal, sondern in einem umgenutzten Industriebau unmittelbar neben dem Basler Fussballstadion St. Jakob-Park – aber auf basellandschaftlichem Boden in Muttenz.

Ein solches hatten Herzog & de Meuron bereits in ihrer 2002 vorgelegten und bis heute nachwirkenden städtebaulichen «Vision Dreispitz» vorgeschlagen. Sie sah vor, das von der Christoph Merian Stiftung (CSM) im Baurecht an rund 400 Unternehmen vergebene Industrie- und Dienstleistungsgebiet Dreispitz, das sich auf 50 Hektaren je zur Hälfte auf baselstädtischem und basellandschaftlichem Boden ausdehnt, in ein gemischt genutztes leben­diges Quartier mit einem pulsierenden kulturellen Herz beim ehemaligen Zollfreilager zu verwandeln.

Prismatische Lichttürme, die in die bestehende Stahlkonstruktion des ehemaligen Lagerhauses eingestellt wurden, sind Ankerpunkte in einer räumlichen Matrix, die den Ausstellungsbereich strukturiert. | Foto: Maris Mezulis

Prismatische Lichttürme, die in die bestehende Stahlkonstruktion des ehemaligen Lagerhauses eingestellt wurden, sind Ankerpunkte in einer räumlichen Matrix, die den Ausstellungsbereich strukturiert. | Foto: Maris Mezulis

Prismatische Lichttürme, die in die bestehende Stahlkonstruktion des ehemaligen Lagerhauses eingestellt wurden, sind Ankerpunkte in einer räumlichen Matrix, die den Ausstellungsbereich strukturiert. | Foto: Maris Mezulis
Situation | Plan: Buchner Bründler

Situation | Plan: Buchner Bründler

Situation | Plan: Buchner Bründler

Neue Synergien im Kunst-Cluster

Zunächst siedelten sich beim Freilager-Platz Kreativbüros an. Im Herbst 2008 wurde die Dreispitzhalle an der Helsinki-Strasse für kulturelle Veranstaltungen umgestaltet; und zwei Jahre später zog das genossenschaftlich organisierte Radio X auf das Areal. Der Durchbruch gelang 2014, als sich die Hochschule für Gestaltung und Kunst (HGK) im markanten Hochhaus von Morger  Dettli und im von Müller Sigrist revitalisierten Zollfreilager einrichtete. Fast zeitgleich wurden das von Rüdisühli Ibach für das Haus der elektronischen Künste (HeK) und das Atelier Mondial umgebaute Lagerhaus Oslo-Süd sowie das Archiv- und Wohngebäude Helsinki von Herzog & de Meuron eröffnet.

Längsschnitt | Plan: Buchner Bründler

Längsschnitt | Plan: Buchner Bründler

Längsschnitt | Plan: Buchner Bründler
Erdgeschoss | Plan: Buchner Bründler
Obergeschoss | Plan: Buchner Bründler

Das Kunsthaus Baselland, das in den letzten Jahren mit einem Mix aus regionaler, nationaler und internationaler Kunst auf sich aufmerksam machen konnte, erhoffte sich von diesem energiegeladenen Umfeld zusätzliche Synergien. Einerseits im Austausch mit HGK, HeK und Atelier Mondial, andererseits, weil jeweils im Juni während der Art Basel zahlreiche Kunstbegeisterte ins Quartier strömen – angelockt von den hochkarätigen Ausstellungen im benachbarten Schaulager. Deswegen sondierte der Kunstverein Baselland bei der Christoph Merian Stiftung, ob sich die kulturell genutzte, aber stark renovationsbedüftige Dreispitzhalle im Baurecht übernehmen und in ein Ausstellungshaus umwandeln liesse.

Schnell einig geworden, beauftragten CMS und Kunstverein fünf Architekturbüros mit einem Studienauftrag für ein neues Kunsthaus. Die Entscheidung, ob die Dreispitzhalle saniert, umgebaut oder abgerissen werden sollte, wurde den eingeladenen Architekt*innen überlassen. Gekürt wurde im Frühjahr 2015 das alle anderen Entwürfe überragende Projekt von Buchner Bründler aus Basel, das sich laut Jury durch offene Architektur, hohe Funktionalität, flexible und gut belichtete Ausstellungsräume, den Verzicht auf Luxus sowie durch gestalterische Eigenständigkeit bei gleichzeitigem Erhalt der Bausubstanz auszeichnete.

Das Dreispitzareal ist durch eine Zeilenstruktur geprägt, die aus der Logik der Warenlogistik mit der Bahn und auf der Strasse entstanden sind. | Foto: Maris Mezulis

Das Dreispitzareal ist durch eine Zeilenstruktur geprägt, die aus der Logik der Warenlogistik mit der Bahn und auf der Strasse entstanden sind. | Foto: Maris Mezulis

Das Dreispitzareal ist durch eine Zeilenstruktur geprägt, die aus der Logik der Warenlogistik mit der Bahn und auf der Strasse entstanden sind. | Foto: Maris Mezulis

Umbau mit Fernwirkung

Daniel Buchner und Andreas Bründler, die 1997 ihr Architekturbüro gründeten, waren durch ihre Wettbewerbsentwürfe für Museumserweiterungen in Basel, Zürich und Chur bestens auf den Studienauftrag vorbereitet. Zudem zeichnete sich ihr Büro von Anfang an durch Kreativität aus. Bereits 2002 sorgten sie mit einem Lofthaus an der Colmarerstrasse in Basel für Aufsehen. Es folgten unkonventionelle und von der Kritik gelobte Bauten wie der waben­artige Managerpavillon im chinesischen Jinhua, das Volta-Zentrum mit seinen verschiedenartigen Fassaden in Basel, der brutalistische Schweizer Expo-Pavillon in Schanghai, der begrünte Garden Tower in Wabern bei Bern, aber auch eigenwillige Einfamilienhäuser. Daneben machten die Architekt*innen immer wieder durch kreative Umbauten wie jenem des Hotels Nomad in Basel von sich reden.

Auch für den Entwurf des Kunstmuseums Baselland favorisierten Buchner Bründler einen Umbau, nachdem sie zunächst mit einem Neubau geliebäugelt hatten. Doch nach eingehender Analyse der Situation und der künftigen Entwicklung des Dreispitzareals, die über kurz oder lang zum Verschwinden der meisten alten Lagerhallen führen dürfte, entschieden sie sich für den Erhalt des typologisch wichtigen Gebäudes. Denn wie Urs Raussmüller bereits 1978 mit der Halle für Internationale neue Kunst (InK) in Zürich bewiesen hatte, eignen sich solche Hallen hervorragend für die Präsentation zeitgenössischer Kunst. Die Architekt*innen schlugen vor, in die 63 x 25 Meter grosse und 10 Meter hohe Halle drei gleich grosse Galerieräume einzufügen, die bis unter das Dach reichen. Im Erd- und Obergeschoss werden diese von weiteren Galerieräumen umspült. So ist eine mäandrierende, abwechslungsreiche Abfolge von unterschiedlich grossen und hohen Ausstellungsräumen entstanden. Getragen wird der möbelartige Einbau von drei 20 Meter hohen Lichttürmen, die das flach­geneigte Wellblechdach durchstossen, dem Altbau Stabilität verleihen und das neue Kunsthaus weithin sichtbar machen. Erstmals erprobt hatten Buchner Bründler diese Vorgehensweise 2010 im Tessiner Bergdorf Linescio, wo sie in die verwitterte Steinhülle eines Rusticos einen Betonkörper einfügten, der von aussen nur durch einen skulpturalen weissen Schornstein erkennbar ist.

Prismatische Lichttürme, die in die bestehende Stahlstruktur der ehemaligen Lagerhalle eingestellt wurden, sind Ankerpunkte in einer räumlichen Matrix, die den Ausstellungsbereich strukturiert. | Foto: Maris Mezulis

Prismatische Lichttürme, die in die bestehende Stahlstruktur der ehemaligen Lagerhalle eingestellt wurden, sind Ankerpunkte in einer räumlichen Matrix, die den Ausstellungsbereich strukturiert. | Foto: Maris Mezulis

Prismatische Lichttürme, die in die bestehende Stahlstruktur der ehemaligen Lagerhalle eingestellt wurden, sind Ankerpunkte in einer räumlichen Matrix, die den Ausstellungsbereich strukturiert. | Foto: Maris Mezulis

Nachdem die Finanzierung des ohne Innenausbau auf 8,4 Millionen Franken veranschlagten Projekts gesichert war, konnte im März 2022 der Grundstein gelegt und Mitte April 2024 das neue Museum eingeweiht werden. Die Dreispitzhalle bietet nun Platz für ein geräumiges Foyer, einen Eingangs- und Bibliotheksbereich, Büros, Werkstätten und Lagerräume. Vor allem aber kann sie dank der Haus-im-Haus-Konstruktion mit einer Ausstellungsfläche von rund 1500 Quadratmetern aufwarten, was ziemlich genau jener des ehemaligen Kunsthauses in Muttenz entspricht.

Tanzende Türme

Von der Tramhaltestelle Freilager herkommend, sieht man schon von weitem neben dem HGK-Hochhaus die dreieckigen, vom Volumen des halben Hallendachs hergeleiteten Prismen der drei Lichttürme, die über dem Platz zu tanzen scheinen. Dank ihrer geradezu künstlerischen Präsenz werden sich diese riesigen, zwischen Minimalismus und Neokubismus oszillierenden Betonplastiken dereinst wohl auch gegen die Hochhäuser des geplanten Universitätscampus behaupten können, der bis 2032 gleich neben dem Kunsthaus nach Entwürfen von Grafton Architects aus Dublin verwirklicht werden soll.

Hinter dem überdachten Vorplatz des HeK führt eine kurze Treppe in das Foyer des Kunsthauses. Hier planten die Archi­tekt*­innen ursprünglich nur den vorgeschriebenen Durchgang zwischen Freilager-Platz und Helsinki-Strasse. Gemeinsam mit der Kunsthaus-Direktorin Ines Goldbach konzipierten sie dann aber ein grosszügiges, durch eine lange Schiebewand abtrennbares Foyer, das zum zwanglosen Aufenthalt, aber auch für Veranstaltungen, Vernissagen und Kunstpräsentationen genutzt werden kann. Der angrenzende Empfangsbereich, der auch als Kaffeebar dient, ist ebenso wie die kleine, als massives Regal gestaltete Bibliothek ganz aus Holz. Das entfernt an die Arte Povera erinnernde Objekt wurde aus alten, nicht mehr tragfähigen Dachbrettern der Dreispitzhalle gefertigt. Restauriert werden konnten jedoch das filigrane stählerne Tragwerk des Daches, die leichten Vordächer und die aus Kalksandsteinen bestehende Gebäudehülle, die man nach innen isoliert und mit Gipsplatten verkleidet hat. Die dem Warenumschlag dienenden Holztore hingegen wurden, um Licht in die zuvor dunkle Halle zu bringen, durch Glastüren und Fenster ersetzt.

Der Einbau aus Sichtbeton lässt eine mäandrierende Abfolge offener Hallen entstehen. Joan Jonas, Draw on the Wind, 2018 (© 2024, ProLitteris, Zurich) & Daniela Keiser, Ader, 2024 | Foto: Gina Folly
Der Einbau aus Sichtbeton lässt eine mäandrierende Abfolge offener Hallen entstehen. | Foto: Maris Mezulis

Zu beiden Seiten des Mittelgangs, der bis zu den Arbeitsplätzen und zum Warenlift führt, öffnen sich fünf gut proportionierte Galerien. Hier dominieren die unverputzten Betonwände der Lichttürme. Ergänzt werden sie durch weiss gestrichene Leichtbauwände. Das Spiel von Grau und Weiss wirkt der öden Leere herkömmlicher White Cubes ebenso entgegen wie der dunkle, von Gebrauchsspuren gezeichnete Originalboden. Mit den nötigen Fundierungen versehenen, konnten die Lichttürme unmittelbar auf diesen gestellt werden. Denn die für den einstigen Warenumschlag leicht erhöhte Halle ist nur im äussersten Nordteil unterkellert.

Schwebende Diagonalen und Horizontalen dynamisieren die Räume, die durch grosse Fenster, Öffnungen in den Lichttürmen und parallel an den Decken verlaufende LED-Lichtbänder erhellt werden. Eine Treppe führt zwischen den beiden nach Westen orientierten Ausstellungssälen hinauf zu den drei Galerien im Obergeschoss. Diese werden durch den mittigen, wannenartig nach oben offenen Erschlies­sungsgang, durch die den Blick zum Himmel und ins Erdgeschoss freigebenden Lichttürme und die Dachkonstruktion bestimmt. Dieses fliessende Raumgefüge, das an die Renderings des Zürcher Kunsthausprojekts von Buchner Bründler erinnert, dürfte sich für Kurator*innen und Künstschaffende als Herausforderung und Inspiration zugleich erweisen.

Wandhohe Träger und Deckenplatten verbinden die Türme und schaffen eine zweite Ausstellungsebene. Zugleich unterstützen sie die fragile Dachkonstruktion der Fachwerkträger. | Foto: Maris Mezulis

Wandhohe Träger und Deckenplatten verbinden die Türme und schaffen eine zweite Ausstellungsebene. Zugleich unterstützen sie die fragile Dachkonstruktion der Fachwerkträger. | Foto: Maris Mezulis

Wandhohe Träger und Deckenplatten verbinden die Türme und schaffen eine zweite Ausstellungsebene. Zugleich unterstützen sie die fragile Dachkonstruktion der Fachwerkträger. | Foto: Maris Mezulis

Umweltbilanz

Auch wenn das Kunsthaus Baselland als neuer Leuchtturm in der Schweizer Museumslandschaft überzeugt, stellt sich in Zeiten des Klimawandels unweigerlich die Frage, ob hier der Beton nicht allzu sehr zelebriert wird. Andreas Bründler bestätigt, dass diesbezüglich bereits Kritik laut geworden sei. Er gibt aber zu bedenken, dass das Projekt vor zehn Jahren entwickelt wurde, als die negative CO2-Bilanz von Beton noch nicht die ökologisch geprägten Diskussionen bestimmte. Zudem wäre ein Einbau aus Holz – das in der Museumsarchitektur noch immer einen schweren Stand hat – komplizierter und teurer gewesen. Dass Buchner Bründler aber für ihre geometrisch-skulpturalen Bauten längst auch umweltverträglichere Materialien einsetzen, beweist ein neues Projekt, ein Holzskelettbau für die kantonale Verwaltung in Liestal, dessen pavillonartiger Annex aus Stampflehm errichtet werden soll, ebenso wie die von ihnen geplante monolithische Erweiterung des Kunstmuseums Olten.

Das Projekt Kunsthaus Baselland hat den Swiss Arc Award 2024 in der Kategorie Freizeit & Lifestyle gewonnen.

Der Text wurde in Arc Mag 2024–3 erstveröffentlicht. Bestellen Sie Ihr Exemplar hier.

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