Aufstockung Wasserstrasse
,
Schweiz
Veröffentlicht am 18. Juli 2022
Atelier Atlas Architektur GmbH
Teilnahme am Swiss Arc Award 2023
Projektdaten
Basisdaten
Gebäudedaten nach SIA 416
Beschreibung
Mit tatkräftiger Unterstützung der Bauherrschaft hat das Atelier Atlas ein Arbeiterhaus gesampelt und dem Gründerzeitbau zwei neue Etagen aufgesetzt. Damit schufen sie poetische neue Freiräume für die Bewohner*innen mitten in Basel.
St. Johann war für Jahrzehnte nicht das beliebteste Quartier in Basel. Denn dort sind viele Betriebe beheimatet, die Dreck und Lärm erzeugen. Neben dem Schlachthof siedelte sich dort im vorletzten Jahrhundert die chemische Industrie an. Später entstanden der Rheinhafen und eine Müllverbrennungsanlage. Die Blockrandbebauungen des Bezirks stammen häufig aus der Gründerzeit und dienten als Unterkünfte für Arbeiter*innen der umliegenden Betriebe.
Mitbauen
Ein Gründerzeithaus an der Wasserstrasse bietet damals wie heute günstigen Wohnraum. Die Besitzer, eine sechsköpfige Familie, lebten bislang auf der ersten Etage. Um zukünftig mehr Platz zu haben, entschieden sie das Haus um ein Maisonett aufzustocken. In Abstimmung mit den Architekt*innen des Ateliers Atlas erarbeitete die Bauherrschaft ein Farbkonzept und die Inneneinrichtung und nutzte ein Sabbatical, um auf der Baustelle mitzuarbeiten und Kosten zu sparen. Die enge Zusammenarbeit kann man in der Architektur des Umbaus förmlich spüren: Er hat eine entspannte Ästhetik. Nach dem Umbau leben aktuell sechs Erwachsene und zehn Kinder im Haus.
Wachsen
Die Aufstockung kann von der Strasse betrachtet klar an der Fassade abgelesen werden. Zahlreiche Öffnungen verbinden sich im 3. Obergeschoss optisch zu einem Fensterband und das neue Dach ist stärker geneigt als jene der Nachbarbauten. Obwohl das Haus diese nun um zwei Etagen überragt, fügt es sich noch immer wie selbstverständlich in das Strassenbild ein. Ein wichtiger Kniff dazu ist ein neuer Sims, der die Linie der Traufkanten der Nachbarn aufnimmt.
Die Bewohner*innen lebten während der gesamten Bauzeit weiter im Haus. Um die Arbeiten im Bestand zu minimieren, wurden lediglich die Brandwände verstärkt und neue Fundamente gegossen. Die Vorfertigung der hölzernen Aufbauten stellte sicher, dass sie in kurzer Zeit montiert werden konnten.
Über Wandscheiben, Stahlträger und eine mächtige Firstpfette werden alle Lasten auf die beiden Brandmauern abgeleitet. Zugleich ermöglicht dies, die Raumstruktur nach oben hin aufzulösen. Das untere der beiden neu aufgesetzten Geschosse mit den Schlafräumen wird über die ehemalige Estrichtreppe zentral erschlossen und ähnelt in seiner Aufteilung deswegen den Etagen im Bestand. Das obere Geschoss bricht mit der Kammerstruktur und bietet Platz für eine grosse Wohnküche. Ein zum Hof vorgelagerter hausbreiter Balkon weitet sie zusätzlich in den Freiraum aus.
Reduce & Re use
Die Kosten für die neu hinzugefügten 139-Quadratmeter-Wohnfläche sollten unter CHF 0,9 Millionen bleiben. Es wurden langlebige, robuste und naturnahe Materialien verbaut, die entsprechend ihren Funktionen ausgewählt wurden. Die Makeshift-Ästhetik lässt Ungenauigkeiten in der Ausführung selbstverständlich erscheinen. Auf Oberflächenbehandlungen wurde im Bestand wie auch bei der Erweiterung weitestgehend verzichtet. Die hölzernen Innenwände wurden lediglich mit weisser Seife behandelt und ein simpler Anhydridboden schafft die notwendige Speichermasse für die Fussbodenheizung.
Bei der Aufstockung kamen zudem nur wenige Fenstertypen zum Einsatz: Alle Fenster in der Attika und im Dach haben exakt dieselben Masse. Nur ein Rundfenster im Wohnbereich schert aus der ansonsten orthogonalen Formwelt aus.
Und die kunstvollen grauen Türen zu den Zimmern? Sie waren einst die Wohnungseingangstüren der unteren Geschosse. Sie erfüllten jedoch die Anforderungen der aktuellen Brandschutzvorschriften nicht und werden nun an anderer Stelle im selben Haus weitergenutzt.
Freiräume schaffen
Vom Gesetz her hätte noch ein weiteres Wohngeschoss erstellt werden können. Doch die Grundfläche der zwei Maisonettegeschosse reicht aus, um das gewünschte Raumprogramm unterzubringen. Stattdessen wurde unter dem Dach ein einseitig geöffneter Raum geschaffen. Bei Bedarf kann er später ausgebaut werden. Bis dahin bietet er luftigen Freiraum für spontane Nutzungen.
Text: Katharina Wyss
Erstveröffentlichung im Arc Mag 4.2022
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