Ersatzneubau, Sanierung und Aufstockung Kolonie 1+3
,
Schweiz
Veröffentlicht am 24. März 2025
Zimmermann Sutter Architekten AG
Teilnahme am Swiss Arc Award 2025
Projektdaten
Basisdaten
Gebäudedaten nach SIA 416
Beschreibung
Die Baugenossenschaft Wiedikon plante, ein Wohnhaus aus den 1970er-Jahren mit energetischen Mängeln sowie einem unzeitgemässen und nicht IV-gerechten Wohnungsangebot durch einen Neubau zu ersetzen. Im Rahmen des Ersatzneubau-Projekts haben Zimmermann Sutter Architekten Vorschläge zur Sanierung und möglichen Aufstockungen der Kolonie 1 gemacht und konnten aufzeigen, dass durch eine geschickte Etappierung und differenzierte Eingriffstiefen wie Sanierung, Dachausbau, Aufstockung und Neubau eine sozialverträgliche Umsetzung der baulichen Massnahmen möglich ist.
Gestalterisch lässt der unaufgeregte Ausdruck des Ersatzneubaus diesen harmonisch und mimikryartig in den Bestand übergehen. Es entsteht eine vertraute, einheitliche und für das Quartier typische Erscheinung. Kindergarten und Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss wenden sich programmatisch und aktivierend dem Stadtraum zu. Der Durchgang zum Innenhof, das offene Treppenhaus zur Gemeinschaftsterrasse und die Balkone tragen das Potential der verbindenden und kommunikativen Elemente der Interaktion zwischen den Bewohnenden und dem Quartier in den Binnenraum der Siedlung. Die Gesamtheit dieser Massnahmen vernetzt die Genossenschaft untereinander wie auch mit dem Quartier, und lässt einen identitätsstiftenden Ort entstehen.
Der ehemals unattraktive Hofraum der Wohnsiedlung erfährt eine umfassende Revitalisierung und Aufwertung. Es entsteht ein dichtes und vielfältiges Nutzungsangebot welches den Austausch und das genossenschaftliche Gemeinschaftsleben fördert. Die intensive Begrünung im Hof und auf der Dachterrasse mit Aussenküche, Kräuter- und Beerengarten beeinflussen das Mikroklima positiv, indem sie durch Wasserspeicherung und Verdunstung zur Kühlung und Luftverbesserung beitragen. Die IV-gerechte Erreichbarkeit aller gemeinschaftlichen Angebote wirkt inklusiv und fördert das Zusammenleben der verschiedenen Generationen.
Die Siedlung erreicht einen ökonomischen und ökologischen Mehrwert durch Verdichtung und die Weiternutzung der bestehenden Ressourcen und baulichen Strukturen. Der Bestand wird gezielt weiterentwickelt, strangsaniert und energetisch ertüchtigt, wodurch seine Zukunftsfähigkeit nachhaltig gesichert und die Energieeffizienz deutlich gesteigert wird. Eine Holzschnitzelheizung deckt den Heizwärmebedarf für die ganze Siedlung, die Dächer werden wo möglich und sinnvoll mit Photovoltaik ausgerüstet. Die Dachgeschosse werden gedämmt, ausgebaut und teilweise aufgestockt, um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen und den Gesamtenergiebedarf zu optimieren.
Zusammen mit der Bauherrschaft haben Zimmermann Sutter Architekten ein Konzept mit unterschiedlichen Massnahmen im Bestand erarbeitet, welches die bestehende Struktur weiterentwickelt und ein funktional wie preislich vielfältiges Wohnraumangebot schafft. Dabei wurde der ursprünglich starre Wohnungsmix mit Maisonettewohnungen, Dachgeschoss-Kleinwohnungen und zusammengelegten Grosswohnungen im Bestand weiterentwickelt. Dazu decken die Neubauwohnungen den Bedarf an IV-gerecht erschlossenen Wohnungen ab.
Ein kluges Konzept hat den Weiterbestand der bestehenden Siedlung gesichert und energetisch, programmatisch und ökonomisch nachhaltig in die Zukunft geführt. Ein ausgeklügeltes Sanierungsprogramm erlaubte es, dass alle Genossenschaftern die Möglichkeit gegeben hatten, wieder in ihre Wohnungen zurückzukehren.
Eine wichtige Inspiration war das bestehende, sehr homogen erhaltene Quartier «Sihlfeld». Die klassische Blockrandbebauung lebt auch heute noch die 5-Minuten-Stadt, welche hier bereits ab 1930 mit zum Beispiel den typischen Ladengeschäften oder Restaurationsbetrieben an den Blockranecken angelegt wurde. Die Dualität von Strassen- und Hofraum interessierte uns, ebenso die Verknüpfung der Bewohnenden untereinander und mit dem Quartier. Die Strassenfassaden sind zurückhaltend gestaltet, französische Fenster mit Fensterläden und eine klare Staffelung in Sockel, Normalgeschosse und Dachaufbau nehmen starken Bezug zum Quartier und lassen die erweiterte und sanierte Siedlung sehr vertraut und selbstverständlich in Erscheinung treten.
Die Bauherrschaft hat sich intensiv mit der Geschichte der Gründerkolonie auseinandergesetzt. Das Buch zum 100-jährigen Jubiläum der Baugenossenschaft Wiedikon «Wohnraum, Eigennutz, Gemeinsinn» legt darüber fundiert und vielfältig recherchiert Zeugnis ab. Die Bewohnenden wurden frühzeitig in den Prozess mit einbezogen, es wurden Ausstellungen und Kunstaktionen zum Start der Sanierungsarbeiten initiiert. Im Zusammenspiel mit einer engagierten Vermietungskommission konnte sichergestellt werden, dass die die Weiterentwicklung des Bestands sozialnachhaltig umgesetzt werden konnte.
Wir befassen uns in unserem Büro hauptsächlich mit Ersatzneubauten von grossräumigen Wohnsiedlungen. Bei diesen bietet meist die Grösse sowohl der Bauträgerin wie auch der Parzelle Raum für sozialverträgliche Etappierungen. Das besondere am Grundstück der BGW in der Quartiererhaltungszone war, dass mit einem kompletten Ersatzneubau die Ausnutzung zwar noch etwas höher hätte ausfallen können als mit dem realisierten Projekt. Dies aber nur unter Inkaufnahme massiver sozialer Verwerfungen in der Mieterschaft. Die bestehenden Grundrisse wiesen bereits eine hohe Qualität auf und wir konnten aufzeigen, dass mit verhältnismässigen und differenzierten Massnahmen der Wohnungsmix vielfältiger, der Energiebedarf verringert und das Erscheinungsbild der gesamten Kolonie erhalten werden konnte.
Im Wettbewerb waren erst volumetrische Überlegungen zu den bestehenden vier Mehrfamilienhäusern der Kolonie 1 gefragt. Nach dem Gewinn desselben konnten wir der Genossenschaft mit einer Potenzialstudie aufzeigen, dass der Erhalt und die Weiterentwicklung des Bestands parallel zur Planung und zum Bau des Ersatzneubaus ökonomisch sinnvoll, energetisch nachhaltig und sozial verträglich umgesetzt werden kann.
Zusammen mit der Genossenschaft und der Bauherrenvertretung konnten wir die bis heute immer wichtiger werdenden Themen um den Erhalt des Bestands, die Schonung der Ressourcen und die sorgfältige Weiterentwicklung der Quartiere mit diesem Projekt umsetzen. Auf vielen Ebenen ging es darum, einen ausbalancierten Weg zu finden zwischen dem bautechnisch und baurechtlich Möglichen (Energie und Ausnutzung) und dem ökonomisch und sozialverträglich Umsetzbaren.
Wir wollten sowohl bei den Sanierungen wie auch beim Ersatzneubau und in der Umgebung auf Materialien setzen, welche typisch sind für die Bauten der Zwischenkriegsjahre und somit die bestehende Kolonie 1. Zusammen mit dem Atelier für Farbe und Architektur, Katrin Oechslin erarbeiteten wir ein Materialisierungs- und Farbkonzept. Die Verwendung von Einsteinmauerwerk für den Ersatzneubau, Klinkersteinen für die Terrassen, Balkone und die Erschliessungs- und Sitzfigur im Innenhof verankern das Ensemble zusammen mit dem unterschiedlich gekörnten Verputz und den quartiertypischen Fensterläden und Fensterformaten auch bautechnisch auf selbstverständliche Art und Weise im Quartier.
Das Projekt von Zimmermann Sutter Architekten wurde für den Swiss Arc Award 2025 eingereicht und von Elisa Schreiner publiziert.