Haus Scholl
,
Schweiz
Veröffentlicht am 05. Oktober 2020
Meier Unger Architekten
Teilnahme am Swiss Arc Award 2021
Projektdaten
Gebäudedaten nach SIA 416
Beschreibung
Neubau eines «Stöckli» in Selzach bei Solothurn. Ausgeführt als massiver Vollholzbau mit vorgesetzten Lauben, welcher sich als eigenständige Erweiterung an ein bestehendes Bauerngehöft versteht und einen engen Bezug zum Landschaftsraum aufbaut.
Ausgangslage
Wir trafen auf eine Familie, die mit großer Sorgfalt, mit viel Liebe zur Arbeit und dem Bewusstsein für gute Produkte ihren Hof bewirtschaften. Das Gehöft des Ettershofes ist in der dortigen Landschaft etwas Besonderes. Ausgestattet mit einem prächtigen Bauernhaus, welches sich selbstbewusst und markant in der Landschaft der Aareebene absetzt, ist der Hof mit seinen Wirtschaftsgebäuden umgeben von den zu bestellenden Feldern, die diesem Ort zu einer Ruhe und einem Frieden verhelfen, wie man ihn in der Schweiz mit ihrer agglomerativen Ausbreitung im Mittelland nur noch selten antrifft.
Entwurfsidee
Dieses Habitat mit all seiner Schönheit, um ein Gebäude zu erweitern, ohne diese fragile Schönheit zu verletzen, war die Aufgabe, der wir uns zu stellen hatten. Dass sich das Neue, landschaftlich einfügen musste, respektabel mit dem Bestand umzugehen und der Qualität des vorgefundenen gerecht zu werden hatte, war selbstverständlich. Nicht selbstverständlich war es, zu verstehen, dass die Menschen, die über Jahrzehnte auf dem Hof gewohnt und den Lebensunterhalt der Familie erwirtschafteten, zwar nach wie vor Teil der Gemeinschaft waren, sich jedoch die Art und Weise Ihres Lebens im Ruhestand verändert. Als Bauern waren Sie noch gegen 5 Uhr Morgens aufgestanden, dem ganzen Tag einem hektischem Treiben unterworfen und kamen erst mit Sonnenuntergang langsam zur Ruhe. Die Entschleunigung, die Zeit für die schönen Dinge, die einen umgeben, das persönliche Einverständnis sich ohne schlechtes Gewissen mit diesen auseinandersetzen zu dürfen, erlauben es das Wohnen anders zu denken. Bewusster!
Schon die Setzung des Neubaus sollte präzise auf diese veränderten Lebensbedingungen eingehen. So versucht das Stöckli explizit nicht Teil des Wirtschaftshofes, des Treibens und der Arbeit zu sein. Sondern verortet sich im Süden des Gehöfts. Nah genug um Teil der Gemeinschaft zu bleiben, aber nicht Teil des täglichen Geschehens sein zu müssen.
Projektierung
Während das alte Bauernhaus mit seiner Grösse und seiner prachtvollen Dachform ikonographisch in der Landschaft zum Stehen kommt, versucht der Neubau subtiler auf die ausgebreitete Landschaft zu reagieren. Zwar entwickelt das alte Bauernhaus eine Prägnanz über Grösse und Form, innenräumlich hingegen nimmt es, ausser zur Belichtung, keinen differenzierten Bezug zu seiner Umgebung auf. Diese waren Bedürfnisse zur Bauzeit 1808 auch nicht relevant.
Der Neubau macht die Präsenz der Natur, des Landschaftsraumes zum Thema. Alle Räume im Haus sind entlang einer Enfilade nach Süden orientiert oder haben über die strukturellen Öffnungen diesen Bezug. Alle Fenster sind raumhoch und lassen den Boden der Umgebung fast spürbar bis in den Innenraum gelangen. Die Blumen der Wiese werden nur durch die mit Mustern gepflasterten Lauben auf eine angenehme Distanz gehalten. Diese überdachten Lauben werden von Eichenstützen getragen. Sie bilden zum einen den wichtigen Zwischenraum zwischen Landschaft und Innenraum ab und zum anderen schaffen sie mit den kräftigen Schildern Richtung Süden und Norden einen kraftvollen Ausdruck und eine unaufgeregte Präsenz. Das Haus wird dadurch auch für einen fernen Beobachter und Wanderer sichtbar, hält sich aber würdevoll gegenüber dem Bauernhaus zurück.
Realisierung
Die Realisierung erfolgte über mehrere Jahre, da viele Elemente und Bauteile nach und nach eigenständig durch die Baufamilie selber realisiert wurden. Das erfolgte immer in engem Kontakt und Austausch mit uns als Architekten und führte uns über eine Vielzahl von Proben und Versuchen zu aussergewöhnlichen Lösungen. Da die zeitliche Komponente variabel war, die räumliche wie auch materielle Qualität hingegen unabdingbar, wurde die Baustelle und der Bauprozess zu einem Forschungsprojekt. Die Zeit kultivierte den Prozess und das Ergebnis.
Besonderheiten
Verbunden mit dem frühen Wunsch nach Holz, begann die Suche nach einer aussergewöhnlichen Konstruktion. Alle Wände des Hauses sind Vollholzwände mit 42 Zentimeter Dicke, ohne Dämmungen, Folien oder Klebstoffe. Versetzte Brettschichten aus verschiedenen Hölzern wurden dabei übereinandergelegt und mit 2 Zentimeter starken Buchendübeln verpresst. Diese kostspielige Lösung konnten wir tragbar gestalten, da alle Öffnungen zwischen den Wandscheiben strukturell gebildet werden und somit keine komplexen Schnitte innerhalb der Wände notwendig waren. Zudem war die Montage an einem Tag geschehen.
Die Deckenstruktur, welche das Gesamtsystem statisch miteinander verbindet, besteht aus 580 Deckenbalken aus Mondholz. Die wechselnden Deckenbalkenstrukturen steifen sich gegenseitig selbst aus. Die Deckenbalken sind in ihrer statischen Notwendigkeit auf ein Minimum reduziert, in ihrer Anzahl und ihrem Abstand jedoch auf ein Mass erhöht, sodass die Balkenstrukturen zu einem fast textilen Muster avancieren. Zudem sind alle Balken über Schwalbenschwanzverbindungen, das heisst ohne Nägel oder Schrauben miteinander verbunden. Die Ränder wurden zudem ausgeklinkt und bilden dadurch eine Art Deckenfries.
Der Boden sollte nicht auch noch in Holz ausgebildet werden und die Suche nach einem warmen Steinboden begann. Dabei rückten Kalk und die ursprünglichen Terrazzoböden, die bis zum 19. Jahrhundert noch Kalk statt Zement als Bindemittel hatten in unsere Betrachtung. Diese zeichnen sich nicht nur durch eine warme Oberfläche aus, sondern haben über den Kalk auch fantastische physikalische Eigenschaften zur Regulierung der Luftfeuchtigkeit. Wir konnten grossartige Partner mit unfassbarem Wissen über dieses Material und die Böden gewinnen und diese schlussendlich auch umsetzen. Dabei wurden 12 Zentimeter Kalkboden ausschliesslich mit Branntkalk und Steinen ausgeführt und die oberste Schicht mit feinen unterschiedlich pigmentierten Schichten und Mustern veredelt.