Kirchgemeindesaal Rüti

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8630 Rüti ZH,
Schweiz

Veröffentlicht am 01. Juli 2020
Joos & Mathys Architekten AG
Teilnahme am Swiss Arc Award 2021

Hofansicht Kirchgemeindesaal Die Architekt*innen nutzten die Neigung des Geländes, um einen leicht eingesenkten Eingangsbereich zu schaffen. Das Vordach vermittelt den Eindruck, das Gebäude bereits betreten zu haben, noch bevor  man durch die Türe tritt. Obwohl der neue Gemeindesaal und das alte Pfarrhaus nah beieinander liegen,  konkurrieren sie nicht miteinander, sondern  treten in einen Dialog. Der neue Gemeindesaal kann als ganzes genutzt oder mit Vorhängen geteilt werden. Weil der Saal leicht ins Gelände eingesenkt wurde, scheint der Garten regelrecht in den Innenraum hineinzufliessen. Erfahren Sie mehr über  die Restaurierung des alten Pfarrhauses auf baudokumentation.ch

Projektdaten

Basisdaten

Lage des Objektes
Amthofstrasse 14, 8630 Rüti ZH, Schweiz
Projektkategorie
Fertigstellung
02.2020

Gebäudedaten nach SIA 416

Stockwerke
2
Anzahl Kellergeschosse
1
Grundstücksfläche
1426 m²
Gebäudevolumen
2161 m³
Gebäudekosten (BKP 2)
3,0 Mio. CHF
Parkplätze
8

Beschreibung

Das neue Gemeindehaus in Rüti ist ein Amalgam analoger Formen. Es verweist sowohl auf Sigurd Lewerentz Blumenpavillon und Pascal Flammers Stöckli, als auch auf Gebäude in seinem unmittelbaren heterogenen Kontext. Damit schafft es der kleine Bau eigenständig und doch lokal verankert zu sein.

Die reformierte Kirchgemeinde von Rüti im Kanton Zürich wünschte sich einen neuen Gemeindesaal. Das Areal des ehemaligen Klosters im Zentrum des Dorfes präsentiert sich heute als eine Mischung von Bauwerken verschiedener Epochen. Einige Gebäude sind von historischer Bedeutung, wie die Kirche, deren Anfänge ins 13. Jahrhundert datieren, das einstige Pfarrhaus, die kleine ehemalige Wäscherei und Reste der alten Umfassungsmauer. Die Disposition des Klosters ist jedoch stark verwischt, da in den 1970er-Jahren Wohnbauten und Parkplätze in den ehemaligen Hof eingefügt wurden. Darüber hinaus haben sich in unmittelbarer Nachbarschaft im Norden grosse Industriehallen angesiedelt, die den Ort heterogen bis nahezu befremdlich wirken lassen. Die Architekten Joos & Mathys stellten sich gemeinsam mit Daniel Nyffeler der schwierigen Herausforderung, in diesem eher verwirrenden Kontext den neuen sogenannten Tüchel Saal zu errichten und zeitgleich das alte Pfarrhaus zu restaurieren.

Anders und doch gleich
Auf Fotos wirkt der neue Gemeindesaal eigenwillig und wie ein Einzelgänger. Besucht man ihn jedoch vor Ort, passt er sich wie selbstverständlich ein. Mehr noch – der kleine Bau schafft es sogar, den heterogenen Kontext zu synthetisieren. Sein Pultdach kommuniziert sowohl mit den benachbarten Industriehallen und mit seiner Ziegeleindeckung zugleich auch mit den mittelalterlichen Gebäuden. Auf der Gartenseite liegt die Traufe sehr tief, um einen kleinen Massstab zu erzeugen, der nicht mit dem Kontext bricht und dem Garten eine intime Atmosphäre verleiht. Der First hingegen ragt selbstbewusst empor, um dem Gebäude zum Platz hin eine starke Präsenz zu geben. Ebenfalls Richtung Süden haben die Architekt*innen dem grossen, pultüberdachten Volumen des Saales noch einen niedrigeren Strang mit dienenden Räumen hinzugefügt. Dort befindet sich eine Küche, die Treppe zum Untergeschoss und eine gedeckte, jedoch offene Eingangszone.
Überdimensional wirkende Betonpfeiler stützen das Dach, das dadurch aufgesetzt wie ein massiver Hut wirkt. Weil der Pavillon zwischen den Pfeilern verglast ist, wirkt er von der Gartenseite aber zugleich auch leicht und elegant.

Ursprung der Form
Daniel Nyffeler erklärt, dass die Form des Gebäudes aus vielen Skizzen und Tests hervorgegangen, aber auch massgeblich von zwei Referenzen inspiriert sei: dem 1969 auf dem Friedhof von Malmö errichteten Blumenkiosk von Sigurd Lewerentz und dem 2012 in Balsthal errichteten Stöckli von Pascal Flammer. Tatsächlich lassen sich einige Ähnlichkeiten feststellen. Zum Beispiel hat das Dach des Blumenkioskes ebenfalls einen erhöhten First oder eine Wand, die über das Dach übersteht – je nachdem wie man es lesen möchte. In Rüti haben die Architekt*innen dies aber weiter auf die Spitze getrieben. Laut Daniel Nyffeler war die Erhöhung des Firstes nötig, um eine ausgewogene Fassade zu gestalten. Die langen Fenster in der Nordostfassade scheinen von Pascal Flammers Haus inspiriert zu sein. Die Kombination von Motiven dieser beiden Referenzen und dem Kontext führte zu einem Amalgam aus Formen und Materialien, die das neue Gebäude prägen.

Sanfte Atmosphäre
Weil der Neubau nicht zu gross werden sollte, platzierten die Architekt*innen die Gruppenräume unter dem Hauptraum. Die massiv erscheinenden Betonpfeiler sind in Wirklichkeit hohl und bringen dank elliptischer Okuli Tageslicht ins Untergeschoss. Gleichzeitig zonieren sie den Hauptraum im Erdgeschoss. Durch Vorhänge kann der Saal einfach unterteilt werden.
Wie bei Pascal Flammers Stöckli ist das Gebäude leicht ins Gelände eingesenkt, sodass die umlaufende tiefe Fensterbank teilweise auf Höhe des Geländes zu liegen kam, wodurch eine enge Beziehung zum Garten entsteht. Dieser Effekt wird durch die grossen Fenster noch verstärkt. Das Grün erscheint so auch innen äusserst präsent. Zusätzliches Licht fällt durch vertikale Öffnungen ein, von wo es sanft über die holzverkleidete Dachunterseite streift.
Besonders beeindruckend ist die Akustik. Trotz der unvorteilhaften Geometrie des Daches haben die Architekt*innen diese auf beeindruckende Weise gemeistert. Prismatische Bänder aus Flechtwerk bedecken die gesamte Decke, unter denen Absorber verborgen wurden. Die Farbe der Flechtwerk-Elemente ist auf das Holz des Parkettbodens abgestimmt und verleiht dem Raum eine warme Atmosphäre.

Das alte Pfarrhaus
Der zweite Teil der Arbeit der Architekt*innen bestand in der Restaurierung des alten Pfarrhauses aus dem 14. Jahrhundert, das die Kirchgemeinde als Büro nutzt. Es ist das älteste erhaltene Haus der Gemeinde Rüti. Spätere Umbauten wurden sorgfältig revidiert. Die Architekten haben nur dort stärker eingegriffen, wo es wirklich notwendig war; neue Elemente wurden diskret und gut integriert. So wurde beispielsweise ein Aufzug eingebaut und Feuerschutztüren auf jeder Etage hinzugefügt. Einige andere kleine Details wie Küchen, Leuchten und Anstriche vervollständigen das Gebäude auf sehr harmonische Weise. Besucht man es, hat man das Gefühl, authentische mittelalterliche Räume zu betreten.

Ein neues Ensemble
Der neue Gemeindesaal schafft es, sowohl ein eigenständiges, zeitgemässes Bauwerk zu sein, als auch als sanfter Vermittler aufzutreten, indem er zwischen den aus verschiedenen Epochen stammenden Gebäuden auf dem ehemaligen Klostergelände einen Dialog entspinnt. Ihm gelingt es sogar, selbst die Wohnhäuser aus den 1970er-Jahren, die etwas banal und deplatziert wirken, einzubinden. Es ist diese Simultanität zwischen Eigensinn und Sensibilität, die den Gemeindesaal zu einem guten Beispiel für die Kraft der analogen Architektur machen.

Text: Valentin Oppliger

Erstveröffentlichung im Arc Mag 2.2022

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