Roche Multifunctional Workspace Building
,
Deutschland
Veröffentlicht am 04. April 2022
Christ & Gantenbein AG
Teilnahme am Swiss Arc Award 2022
Projektdaten
Gebäudedaten nach SIA 416
Beschreibung
Mit dem multifunktionalen Bürogebäude «FRITZ» will Roche den zunehmend flexibleren Arbeitsstrukturen im Konzern entsprechenden Raum geben. Indem die Erschliessungskerne an die Ecken des Bauwerkes geschoben wurden, können die Innenräume frei gestaltet und jederzeit ohne grossen Aufwand angepasst werden. Trotz der maximalen Flexibilität ist ein architektonisch prägnanter Neubau entstanden.
Ist von Roche die Rede, so denkt man zunächst an den Stammsitz in Basel, die Bauten von Otto Rudolf Salvisberg und seinem Schüler Roland Rohn, sowie die Hochhäuser und Umbaupläne von Herzog & de Meuron. Doch die flächenmässig grösste Werksanlage befindet sich am rechtsrheinischen Ufer einige Kilometer flussaufwärts im südbadischen Grenzach-Wyhlen. Schon 1897 expandierte der im Vorjahr gegründete pharmazeutische Konzern von Fritz Hoffmann-La Roche nach Deutschland, weil dort räumlich weniger Restriktionen bestanden als im dicht besiedelten Basel. Während mit den Bauten von Salvisberg und Rohn seit den 1930er-Jahren eine dichte und urbane Corporate-Fabrikarchitektur entstand, hat das Areal in Grenzach seinen weitläufigen Charakter bewahrt, der bis heute Ausbaupotenzial bietet.
Einem streng orthogonalen Bebauungsplan folgend, wurden die Bauten in mehreren Etappen errichtet. Ziegelsteinsichtigen Bauten der Vorkriegszeit folgten zwischen 1955 und 1971 die Interventionen des Roche-Chefarchitekten Roland Rohn. In jüngster Zeit haben Christ & Gantenbein gleichsam diese Funktion übernommen: 2011 realisierten sie ein Büro- und Technikgebäude, das sich gut in die bestehende Campus-Struktur einfügt.
Neue Arbeitswelt
Zehn Jahre später konnte das Multifunctional Workspace Building FRITZ fertig gestellt werden, das sich Roche zu seinem 125-jährigen Jubiläum «schenkte». Der Name bezieht sich auf Firmengründer Fritz Hoffmann-La Roche. Wenn man ein Gebäude nennt, wie auch ein trendiges Hipster-Café heissen könnte, ist dies als Statement zu verstehen – zumal bei Roche bisher die Praxis vorherrschte, Gebäude schlicht mit Nummern zu versehen. Dass «FRITZ», in das Roche 60 Millionen Franken investiert hat, ist tatsächlich kein gewöhnliches Bürogebäude: Es ist die neue Visitenkarte des Unternehmens in Grenzach. Und es ist damit auch ein Zeichen für die Öffnung des Unternehmens, denn das Restaurant im Erdgeschoss steht auch betriebsfremden Besucher*innen zur Verfügung. Der Zaun, der im Norden das Areal abriegelte, wurde dazu versetzt. Wie auch bei Novartis, das seinen Basler Campus demnächst öffnen will, sind innerbetriebliche Umstrukturierungen der Auslöser: Ursprünglich als Produktionsareal gegründet, wird es heute von der Roche Pharma AG (Deutschland) genutzt, die mit Vertrieb, Verwaltung und Logistik befasst ist. Strukturwandel und Digitalisierung führten 2017 zur Planung eines Gebäudes, das den neuen Herausforderungen der Arbeitswelt gerecht werden sollte. «FRITZ» – so die offizielle Verlautbarung – sei «die architektonische Übersetzung dessen, was Roche unter ‹New Work› versteht».
Industrieller Palazzo
«FRITZ» tritt als fünfgeschossiger und 23 Meter hoher Kubus mit einer Grundfläche von 50 × 36 Metern in Erscheinung, dessen abgekantete Ecken etwas 1970er-Jahre-Groove verströmen. Hinter den Ecken befinden sich Erschliessungskerne, die es erlauben, das Zentrum des Gebäudes von störenden Einbauten und Stützen freizuhalten und mit grosser Freiheit zu bespielen. Die Fassaden aus Glas und Aluminium sind deutlich industriell konnotiert. Die Auskreuzungen seitlich der Gebäudeecken zeugen von den Anforderungen an die Statik in einer seismisch aktiven Region. Ausblicke sind ein wichtiges Thema: über das Industrieareal von Roche auf die südlichsten Ausläufer des Schwarzwalds und auf Basel in naher Ferne.
Souverän nutzen Christ & Gantenbein die Pfosten-Riegel-Konstruktion, um das Bild einer generischen Industriearchitektur aufzurufen – und dieses doch mit der Amputation der Ecken zugleich zu desavouieren. Dass «FRITZ» kein gewöhnliches Gebäude auf dem Firmenareal ist, wird mittels dieser Operation unmittelbar anschaulich. Es fügt sich in das vorgegebene Raster des Areals zwar ein, wirkt aber dennoch wie ein Solitär und zeigt ein angenehmes Mass an Grandezza. Auch aufgrund der sich öffnenden und leicht zurücktretenden Erdgeschosszone entwickelt das Gebäude klassische Qualitäten; die Architekten sprechen passend von einem «industriellen Palazzo».
Das Spiel mit dem Generischen und Spezifischen findet sich auch beim betonierten Tragwerk des Inneren, hier in Form der in Querrichtung vorgespannten Kassettendecken aus 2,8 × 2,8 Meter grossen Betonfertigteilen als verlorene Schalung; die Randbereiche sind als Flachdecken ausgeführt. Bei den Kassetten handelt es sich um ein repetitives, nicht hierarchisches Element, das durch die in das Volumen eingeschriebenen Nutzungen sozusagen domestiziert wird. Über der flexiblen Begegnungszone mit Café, Restaurant und Rezeption ist im ersten und zweiten Obergeschoss ein doppelgeschossiges Forum eingelassen, das allseitig von Arbeitsräumen umgeben ist. Dieser grosszügige Veranstaltungsraum fasst 550 Personen und kann bei Bedarf in drei getrennte Säle unterteilen werden.
Heterogenes Raumangebot
Die Vielfalt räumlicher Situationen in der heutigen Arbeitswelt zeigt sich besonders deutlich in den beiden Geschossen oberhalb des Auditoriums. Das Basler Designbüro INCHfurniture hat dort in Zusammenarbeit mit Christ & Gantenbein spezielle Raumelemente entwickelt, die als Forest Circles, Workstations, Creative Labs sowie Meeting und Silent Hubs bezeichnet werden. Mit anderen Worten: Für Besprechungen, Teamarbeit bis hin zum individuellen Rückzug stehen heterogene räumliche Angebote zur Verfügung. Manche dieser Elemente sind verschiebbar und neu konfigurierbar, alle aber demontabel, sodass die Geschosse unter den stark plastischen, raumprägenden Kassettendecken jederzeit auch völlig anders möbliert werden können. Festzuhalten bleibt, dass Nutzungsflexibilität bei der Planung von «FRITZ» bereits vor der Corona-Pandemie zum Thema geworden ist. Auf die Frage, in welchem Masse die Realisierung des Gebäudes in Zeiten von Corona Auswirkungen auf die Konzeption gehabt hat, antworten Christ & Gantenbein: «Die Anpassung des Gebäudes ermöglicht dem Konzern, eine neue, höchst flexible Arbeitskultur zu etablieren. Diese leistet den Spagat zwischen der (post-) pandemischen Realität, von Homeoffice zu Video-Konferenzen zum einen und dem wichtigen direkten, ungerichteten, spontanen und kreativen Austausch aller Projektbeteiligten zum anderen. Weitere zukünftige Modelle der Kollaboration sind nicht nur denkbar, sondern können durch die grosse Flexibilität des Hauses direkt vor Ort entwickelt und ausgetestet werden.» Das neue Gebäude ist leicht adaptierbar und kann so auf zukünftige veränderte Anforderungen reagieren. Die Balance zwischen Generischem und Spezifischen ermöglicht Dauerhaftigkeit. Denn wie die Arbeitswelt der Zukunft wirklich aussehen wird, weiss derzeit niemand.
Text: Hubertus Adam
Erstveröffentlichung im Arc Mag 5.2022
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