Siedlung Kuppe, Quartier Trift

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8810 Horgen,
Schweiz

Veröffentlicht am 28. März 2022
Esch Sintzel Architekten GmbH
Teilnahme am Swiss Arc Award 2022

Projektdaten

Basisdaten

Projektkategorie
Fertigstellung
10.2021
Links

Gebäudedaten nach SIA 416

Stockwerke
3 bis 5
Anzahl Kellergeschosse
1
Anzahl Wohnungen
30
Grundstücksfläche
8872 m²
Geschossfläche
3819 m²
Nutzfläche
2883 m²
Gebäudevolumen
13'695 m³
Gebäudekosten (BKP 2)
12,0 Mio. CHF

Beschreibung

Esch Sintzel haben eine Faszination für das Spontane und Flüchtige. Für eine neue Siedlung in Horgen – inmitten von Wiesen und nahe dem Wald – liessen sie sich von Campingplätzen, Zirkuswagen und Filmen wie die «Kinder von Bullerbü» inspirieren. Die Siedlung ist eine sorgfältige Holzkonstruktion. Das Konzept hat ihr eine leichte und beschwingte Atmosphäre beschert.

Die schönsten Hanglagen der Schweiz werden seit Jahrzehnten mit protzigen Villen, Luxusapartmentblocks und Terrassenhäusern verunstaltet. Dieses Schicksal hätte auch einem hoch über dem Zürichsee in Horgen gelegenen vier Hektar grossen Areal blühen können, das sich unterhalb von Autobahn und Wald am Hang entlangzieht. Doch dessen Besitzerin Anna Barbara Züst, eine Erbin der ortsansässigen Elektrotechnikfirma Feller, träumte von einer autofreien, ökologisch verträglichen und sozial vernetzten Siedlung mit Modellcharakter für junge Familien sowie für Paare und Singles unterschiedlichen Alters. Deshalb gründete sie 2010 die Trift AG, die zusammen mit Fachleuten für Architektur, Energie und Mobilität ein nachhaltiges Projekt entwickelt hat. Von der lang gestreckten Fabrik über die Häusergruppe bei der ehemaligen Fabrikantenvilla bis hin zu den Streuobstwiesen unterhalb der Bergstrasse wurden drei Siedlungszonen bestimmt: die zwischen Fabrik und Autobahn gelegene «Stotzweid» sowie die unterhalb der Bergstrasse nach Südwesten im Wiesenhang anschliessenden Areale «Kuppe» und «Fischenrüti». Verbunden werden sollen sie durch den höhenparallel angelegten Elisabeth-Feller-Weg, der als Fortsetzung des auf den Zimmerberg führenden Eggwegs öffentlich zugänglich sein wird. Er bildet nicht nur das städtebauliche Rückgrat der langgestreckten Überbauung, sondern erinnert auch an die einst Triften genannten Viehpfade, die dem neuen Viertel den Namen gaben.

Landnahme auf Zeit
Die zur Planungsrunde eingeladenen Archi­tekturbüros Esch Sintzel, Bob Gysin + Partner sowie Zach + Zünd wurden schliesslich mit dem Bau von insgesamt über 115 Wohnungen und 3200 Quadratmetern Gewerbefläche beauftragt – unter der Vorgabe, die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft zu erfüllen. Gestartet wurde mit der Transformation der sich aus Villa, Gärtnerhaus und Scheune zusammensetzenden historischen Gebäudegruppe, in der das Quartierbüro, ein Versammlungsraum, ein Café sowie vier grosse Wohnungen. Gleichzeitig vollendeten Esch Sintzel Architekten 2021 auf der einzigen ebenen Fläche im Hangverlauf die Siedlung Kuppe mit insgesamt 30 Woh­nungen. Aus Respekt vor dem «unberührten, freien Land» entschied sich das Büro aus Zürich, den Ort mit einer subtilen Intervention zu definieren, die es selbst als «Landnahme auf Zeit» bezeichnet. Dabei liessen sie die zentrale Fläche der Kuppe leer, fassten sie mit einer schlaufenartigen Erweiterung des Elisabeth-Feller-Wegs und fügten am Rand fünf reihenhausartige Baukörper mit je sechs Wohnungen zu einem geknickten Oval. So entstand eine nach innen orientierte Gesamtfigur mit dorfähnlichen Qualitäten, die sich fast trotzig der von den tieferliegenden Nachbarbauten zelebrierten Seesicht verweigert. Die spontan wirkende Anordnung der quaderförmigen Bauten konnte durch den Verzicht auf die an sich vorgeschriebene Tiefgarage erreicht werden. Die Bauherrschaft schaffte es, die Gemeinde davon zu überzeugen, dass eine autoarme Siedlung auch im hochgelegenen Trift-Quartier möglich und für umweltbewusste Mieter durchaus attraktiv sein kann. Diese benutzen nun Velos, E-Bikes und den Bus, dessen Umstellung auf den Halbstundentakt genauso von der Bauherrschaft finanziert wurde wie die Einrichtung von Parkplätzen für Mobility- und Besucherfahrzeuge.

Stimmungsbilder
Die provisorisch anmutenden, barackenartigen Häuser sind – laut Architekt*innen – inspiriert von Zirkuswagen, die um eine für das Zelt freigehaltene Mitte gruppiert sind. Sie haben aber auch eine leicht defensive Anmutung, denn sie erinnern an eine eilig formierte Wagenburg, die Deckung vor Angriffen bieten soll. Und die malerisch unter den Fallrohren platzierten Holzfässer liefern das nötige Wasser. Diese stimmungsvollen Bilder, deren Interpretation sich noch weiterspinnen liesse, sollen das angestrebte Zusammengehörigkeitsgefühl generieren. Die Leichtbauweise der Häuser erinnert zudem an das legendäre Motto «touch this earth lightly» des australischen Pritzker-Preisträgers Glenn Murcutt. Um Rohstoffe und Energie zu sparen, war angedacht, die scheunenartigen Häuser nur auf Betonkufen ruhen zu lassen. Doch die Geologie des Hangs erwies sich als zu wenig stabil, sodass die Bauten durch eine teilweise Unterkellerung verankert werden mussten. Dadurch entstand zusätzlicher Raum für Waschküchen, für die ursprünglich separate Häuschen vorgesehen waren. Die Erinnerungen an das einfache Leben von einst, die sie hätten wachrufen sollen, klingen nun in den nur von ausserhalb der Wohnungen zugänglichen, von Kletterpflanzen umrankten Kellertreppen genauso an wie im Veloschuppen an der Bergstrasse.

Ein Hauch Arte Povera
Die ebenso dünnwandig wie vergänglich wirkenden und dennoch auf Dauer errichteten Holzhäuser atmen die leise Poesie der Arte Povera. Aufgrund der Bretterverkleidungen an den Stirnwänden und den diese nach oben abschliessenden Streifen aus Dachpappe treten sie fast wie Wirtschaftsgebäude in Erscheinung – auch wenn ihre Längsseiten weitgehend aus doppelgeschossigen Fensterflächen bestehen. Zur unbebauten Mitte hin garantieren haushohe, aus lose gefügten vertikalen Holzlatten bestehende Falttüren in der Art von Scheunentoren in geschlossenem Zustand eine gewisse Privatsphäre, während sie geöffnet verandaartige Aussenräume unter den aufgeständerten, weit auskragenden Kaltdächern markieren. Dahinter findet sich «eine bunte Mischung von Wohnungen, die komplementär ineinandergefügt sind und so räumlich das Zusammenleben unterschiedlicher Lebensformen thematisieren». Farbakzente in flaschengrün, weinrot, blaugrau und goldgelb verleihen den Häusern etwas beinahe Kostbares, das sie von den üblichen, meist dunklen Holzbauten unterscheidet. Dieser Sinn für Farbe zeichnet das Schaffen des Büros Esch Sintzel aus, wie auch die jüngst vollendete Schulhauserweiterung in Mettmenstetten zeigt. Er prägt auch die Innenräume der Maisonetten und eingeschossigen Kleinwohnungen. Wände und Decken sind holzhell oder gipsweiss, die Böden sandfarben, die Kücheneinbauten braun und die Sonnenstoren der rückseitigen Fenster ockergelb. Der allen Wohnungen eigene doppelgeschossige Eingangsraum, von dem in den Maisonetten eine schmale Treppe hinauf zum Schlafbereich führt, gleitet über in Küche und Wohnzimmer. Wandelbarer, fliessender Raum – dank beweglicher mintgrüner Schränke und Schiebewände frei unterteilbar – ist der eigentliche Luxus der Wohnungen – fast wie bei den viel grösseren Apartments, die Esch Sintzel unlängst an Zürichs vornehmer Südstrasse errichtet haben.

Zukunftsfähige Architektur
Um die von den Architekten vorgegebene Anmutung des Temporären aufzunehmen und den Wunsch der Bauherrschaft nach einer naturnahen Umgebungsgestaltung zu erfüllen, haben die Landschaftsarchi­tekten vom Büro Manoa aus Meilen die Aussenräume betont karg und struppig inszeniert. Da sie die leere Mitte der Anlage nur mit Gras und einigen kleinen Mispelsträuchern statt – was naheliegend gewesen wäre – mit hochstämmigen Obstbäumen bepflanzten, wird der Blick durch die Lücken zwischen den Häusern zum See und zu den bewaldeten Hügeln gelenkt. Doch verharrt der Blick nicht lange auf der Aussicht. Die an Heinrich Tessenows Architektursprache erinnernden Häuser fügen sich mit ihrer unspektakulären Einfachheit in Form, Farbe und Material diskret in die Umgebung ein. Und doch schaffen sie es, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Bauten scheinen – obwohl schon vor einigen Jahren entworfen aufgrund ihrer ökologischen und sozialen Qualitäten weit zukunftsfähiger als die dem gängigen Standard entsprechenden Projekte Fischenrüti von Zach + Zünd und Stotzweid von Bob Gysin + Partner zu sein, mit deren Realisierung demnächst begonnen werden soll.

Der Text wurde von Roman Hollenstein für das Swiss Arc Mag 2023–1 verfasst.
Bestellen Sie Ihr Exemplar unter https://www.swiss-arc.ch/de/service/magazin-bestellen 

Aus Esch Sintzel wurden 2024 Studio Sintzel und SERA – Studio Esch Rickenbacher Architektur. Das Projekt von Esch Sintzel wurde im Rahmen des Swiss Arc Award 2022 eingereicht. 

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