Transformation mittelalterliches Haus

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6300 Zug,
Schweiz

Veröffentlicht am 07. April 2025
Stefan Wülser Architektur GmbH
Teilnahme am Swiss Arc Award 2025

Projektdaten

Basisdaten

Projektkategorie
Gebäudeart
Fertigstellung
04.2025

Beschreibung

Zwischen 2020 und 2024 ist am nördlichen Ende der Zuger Altstadt in enger Abstimmung mit der kantonalen Denkmalpflege und der Bauforschung Mittelalter ein Umbau entstanden, der jedem Bestand einen vorbehaltlosen Wert einräumt und der Gestaltung von integrativen Prozessen mehr Gewicht gibt als der Arbeit an vorschnell formulierten Zielen und Bildern. Diese gemeinsame Überzeugung von Architekt*innen und Eigentümerschaft hat sich im Umgang mit der komplexen Bausubstanz und den Tücken der Realisierung im maroden Bestand als erstaunlich ressourcenschonend und zielführend erwiesen.

Ausgangslage
Zum Zeitpunkt des Kaufs waren die Bausubstanz und die Geschichte des Hauses nur spärlich dokumentiert. In einem schrittweisen Prozess wurden der Zustand und die Potenziale des Bestandes erst ermittelt. Statt aus einem Haus bestand die verschachtelte Raumstruktur historisch aus zwei Häusern, vier Räumen in einem dritten Haus und einer mehrfach überbauten ehemaligen Gasse. Der älteste Teil stammt aus dem Mittelalter und war  teilweise erhalten. Über die Jahrhunderte haben im heterogenen Konglomerat jedoch mehr als 30 nachweisebare Umbauten stattgefunden. Zu den einschneidenden Veränderungen gehörten das Drehen des Daches mit Wiederverwendung des alten Gebälks, das Zuschlagen der Räume im Nachbarhaus, das später im Grundbuch als «die Schublade» vermerkt wurde sowie das Absenken und die Öffnung des Erdgeschosses zur neuen Seepromenade im 19. Jahrhundert.
Nach der Neudefinition der Aufgabenstellung wurde zwischen dem erweiterten Planungsteam und der Eigentümerschaft ein Verständnis von drei Projekten für ein Haus etabliert: Entlang dieses gedanklichen Modells wurden Diskussionen geführt, Genehmigungen eingeholt und Massnahmen definiert. 

Dissektion
Im Rahmen des gemeinsam mit der Denkmalpflege erarbeiteten Baugesuches für den Rückbau wurden Schichten abgetragen und Raum- und Tragstrukturen freigelegt. Mit dem Ziel, «das Haus zwischen den Zeiten zu finden», wurden schadhafte Bauteile entfernt, provisorische Schutzmassnahmen getroffen oder Verkleidungen demontiert, analysiert und eingelagert. Auffallend war, wie viele Bauteile bereits verändert oder wiederverwendet vorgefunden wurden und wie sehr der Charakter des Bestandes auf Verschiebungen, Überlagerungen und Überformungen ehemals klarer Strukturen beruht. Nicht einzelne, prägende Epochen der Hausbiographie, sondern deren Vielfalt, Brüche und Spannungsmomente sollten zum räumlichen Thema des Umbaus werden.

Reparatur
Während der Dissektion wurde deutlich, wie stark die historischen Veränderungen und die Vernachlässigung der Instandhaltung den Bestand geschädigt hatten. Die zum See hin gelegenen Räume wiesen einen barocken Ausbau von hohem baukulturellen Wert auf, waren jedoch akut einsturzgefährdet. Die rückwärtigen, gefangenen Räume wiesen aufgrund der schlechten Belüftung und der ungünstigen Anordnung der Nassbereiche Holzfäule auf. Verschiedene für die Stabilität und die vertikale Lastabtragung wichtige Bauteile wie die Brandmauer zum Nachbarhaus an der Seestrasse oder die Abfangung des gedrehten Daches fehlten vollständig. Mehrfach wurden eingestürzte Decken nicht ersetzt, sondern mit neuen Decken, die mit Konterlattung auf die gebrochenen Balken aufgelegt und verschalt wurden, wieder aufgerichtet. Dass der Bestand trotz seiner statischen Unbestimmtheit und der groben Mängel bis 2018 als Wohnhaus genutzt werden konnte, ist vor allem einer rechnerisch nicht nachweisbaren Resilienz der nestartig ineinander verschachtelten Holzkonstruktionen zu verdanken. Um die Bauteile nicht als blosse Relikte zu erhalten, sondern ihre Funktion und Tragfähigkeit zu sichern, wurden ortsspezifische Ergänzungskonstruktionen konzipiert. Allen gemeinsam ist, dass sie den Bestand von der Aufgabe der Aussteifung entlasten und auf eine Nutzungsdauer von über 100 Jahren ausgelegt sind.

Aneignung
Um die Neuprogrammierung des Hauses als Wohn- und Arbeitsort mit einem öffentlichen Raum im Erdgeschoss zu ermöglichen, wurden die reparierten Strukturen und alten Oberflächen nur punktuell mit leichten, möbelartig formulierten Elementen ergänzt. Während die tiefgreifende Reparatur auf eine lange Nutzungsdauer und zukünftige Veränderungen (über unseren Umbau hinaus) verweist, sind hier ein Zeithorizont von 15 Jahren und das Prinzip der zerstörungsfreien Fügung wesentliche Voraussetzungen für die architektonische Ausformulierung der Eingriffe.

Das Projekt von Stefan Wülser wurde für den Swiss Arc Award 2025 eingereicht und von Elisa Schreiner publiziert.

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