Umbau eines Einfamilienhauses
,
Schweiz
Veröffentlicht am 23. August 2022
Stefan Wülser Architektur GmbH
Teilnahme am Swiss Arc Award 2023
Projektdaten
Basisdaten
Gebäudedaten nach SIA 416
Beschreibung
Beim Umbau eines Einfamilienhauses aus den 1930er-Jahren hat Stefan Wülser die einfachen und alltäglichen Dinge herausgearbeitet. Das Projekt wirkt dennoch – oder gerade darum – kraftvoll und verströmt eine positive Energie. Es wurde für eine Familie massgeschneidert, was in diesem Fall heisst, dass Lösungen gesucht wurden, die mit geringem Aufwand möglichst grosse Mehrwerte bringen.
An Einfamilienhäusern scheiden sich die Geister. Die Mehrheit wertet sie noch immer als die beste Wohnform. Doch Landverschleiss, wenig öffentliche Infrastruktur und lange Wege in Einfamilienhausquartieren sind nur einige der vielen Nachteile gegenüber dichteren Wohnformen, die sie immer mehr in die Kritik geraten lassen. Doch selbst wenn man den Bau neuer Hüsli zukünftig reduzieren und verhindern könnte: Was tun mit den vielen Einfamilienhäusern? Allein in der Schweiz gibt es eine Million. Häufig werden sie ersetzt, wenn sie verkauft oder vererbt werden. Dies, weil ein Umbau oft zu kostspielig erscheint oder weil die neuen Eigentümer sie formal und räumlich als zu altmodisch empfinden.
In der Folge werden Jahr für Jahr riesige Mengen grauer Energie durch das Ersetzen von Einfamilienhäusern verschwendet. Doch ist das wirklich nötig? Stefan Wülser hat in Bassersdorf für eine Familie ein Haus aus den 1930er-Jahren umgebaut und zeigt damit auf, dass man durchaus auch einem unscheinbaren alten Hüsli mit einfachen Mitteln ein architektonisches und räumliches Potenzial entlocken kann.
Magus des Nordens
Das Quartier Schatzacker in Bassersdorf liegt am Rand eines Naherholungsgebietes. Eine Hanglage verschafft den Häusern eine tolle Aussicht und viel Sonnenlicht. Die Siedlung wurde ab den 1920er-Jahren für leitende Angestellte der umliegenden Industrien errichtet. Die heterogene Gestaltung erinnert an den Charme einer mediterranen Campinganlage.
Zuoberst – direkt am Waldrand – liegt ein kleines Haus, das eine Familie geerbt hat. In den Überlegungen, wie es hergerichtet werden könnte, schwankte sie zwischen kleinen Eingriffen, (wie, dem Öffnen der Küche zum Wohnraum) bis hin zu Ideen für einen Ersatzneubau. Nach mehreren Studien legte ein kleines Budget einen Umbau nahe. Ein anderes wichtiges Detail: Der Bestand unterschreitet den gesetzlich geforderten Abstand zum Wald. Nur durch einen Umbau konnte von der Bestandsgarantie profitiert werden und so Lage und Grösse des Hauses erhalten bleiben. Das bestehende Souterrain und die Mauern des Erdgeschosses wurden übernommen, ein neues Obergeschoss aufgemauert und an wenigen Stellen mit Betonpfeilern verzahnt. Vorher hatte das Haus im Obergeschoss niedrige Räume unter einem Walmdach. Das neue, unkonventionelle Dach schafft neue Grosszügigkeit. Es hat in der Mitte indes den tiefsten Punkt: Durch zwei nach innen und unterschiedlich stark geneigte Pultdächer ist ein Schmetterlingsdach entstanden. Ein 13 Meter langes Fensterband Richtung Südwest und ein Oberlicht gen Nordost lassen viel Licht einströmen. Die ungewöhnliche Form erinnert an ein Haus in den Bergen und an die Moderne in Skandinavien – etwa an das Rathaus von Säynätsalo von Alva Aalto.
Twists
Das Souterrain wurde bereits früher einmal auf mehr als die doppelte Fläche vergrössert. Es blieb unverändert und wird als Einliegerwohnung genutzt. Während dort in der Horizontale gelebt wird, scheint das Haus ab dem Erdgeschoss nach oben «in die Bäume zu wachsen». Das neue, dynamischere Erscheinungsbild des Hauses lässt eine junge und experimentierfreudige Bewohnerschaft vermuten. Nicht nur das Dach öffnet sich flügelartig zum Tal und Wald. Auch durch zwei neue Vordächer wirkt das Haus im wortwörtlichen Sinne «aufgestellt».
Ein Gerüst aus verzinkten Stahlprofilen lässt das Fassadenkleid aus Welleternitplatten auskragen und generiert so einen Schutz vor Witterung, Laub und Lärm. Hellbeige Ausstellmarkisen der darüber liegenden Fenster stimmen in diese Geste des «Hinausgreifens» ein. Und auch die nach aussen angeschlagenen Fenster können hochgeschwungen werden.
Pragmatische Lösungen fand der Architekt auch bei der Ausführung der Spenglerarbeiten: Diese wurden gemeinsam mit dem Dachdecker erarbeitet. Insbesondere für die Nordfassade, wo das Dach in ein langes horizontales Dachfenster übergeht, konnte eine saubere und schlichte Form für den Abschluss gefunden werden.
Das Haus hat sich durch den Umbau vom homogenen Körper zur performativen Montage aus unterschiedlichen Fassadenelementen gewandelt, die verschiedene Bezugnahmen zur Umgebung entspinnen. Die neuen Bauteile wirken mehrdeutig und dadurch beinahe autonom.
Dynamik in der Statik
Im Erdgeschoss, wo gewohnt wird, wurde die bestehende Längsteilung übernommen. Während die waldseitig angeordneten, dienenden Räume neu noch kleinteiliger geworden sind, wurden Küche, Wohn- und Essraum zu einer Wohnhalle verbunden. Eine erfrischende Lösung ist eine dunkelblaue Einzeiler-Küche entlang der gesamten Hauswand im Westen, die zugleich auch Sideboard und Stauraum ist: Essbereich und Küche wurden so unaufgeregt miteinander verschränkt. Dezente Elemente zonieren den neuen, grossen Raum dennoch: Im Essbereich wurde der Kamin leicht von der Wand abgedreht und das Parkett verläuft im selben Winkel. Ein Blick auf den Schnitt zeigt: Auch im neuen Obergeschoss verläuft die Tragstruktur längs.
(Un-) romantisch
Bereits 2017 hatte Stefan Wülser (damals gemeinsam mit Nicolaj Bechtel) mit dem Umbau eines Einfamilienhauses aus den 1930er-Jahren in Windisch Aufsehen erregt. Damit hatten sie eine klare Haltung formuliert und Suffizienz, Effizienz und Ökonomie ins Zentrum ihres Vorgehens gestellt. Wülser versucht nicht romantisch oder nostalgisch gegenüber dem Bestand zu sein und zeigt keine Berührungsängste bei seinen Transformationen. Dennoch zeugen beide Arbeiten zugleich von Liebe zum Handwerk und Respekt für das Vorhandene. Im Bestand sowie mit den neu hinzugefügten Elementen hat er kleine alltägliche Dinge als Qualitäten herausgearbeitet. Dadurch verströmt das Projekt keine Kargheit, sondern einen angenehmen Optimismus. Seine Architektur zeigt einen möglichen Weg auf, wie mit der grossen Zahl alter Einfamilienhäuser in der Schweiz und anderswo umgegangen werden könnte.
Text: Claudia Frigo Mallien
Erstveröffentlichung im Arc Mag 4.2022
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