Zentrum Chileweg in Rain LU

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6026 Rain,
Schweiz

Veröffentlicht am 20. Juli 2020
Cometti Truffer Hodel Architekten AG

Zentrum Chileweg in Rain LU. Sichtbetonfassade aus Kalksteinbeton mit Weisszement Der Dorfplatz neben der Barockkirche ist das neue soziale Zentrum für die Bewohner der kleinen Gemeinde Rain im Kanton Luzern. Zum Grundkonzept des Zentrum Chileweg gehört ebenso ein Café-Bistro  (im Bild), eine Bäckerei- Filiale und ein Dorfladen. Der warmen Raumstimmung der Kernesche wird bewusst ein kühler Kontrast etwa  durch die Betonflächen entgegengesetzt. Der warmen Raumstimmung der Kernesche wird bewusst ein kühler Kontrast etwa  durch die Betonflächen entgegengesetzt. Kerneschenholz bestimmt den Charakter der Innenräume, vor allem im gebäudehohen Atrium, das die Ebenen auch vertikal miteinander verbindet. Im Wohn- und Begegnungszentrum öffnen sich immer wieder halböffentliche Bereiche,  in denen sich die  Bewohner treffen können. Furnier in Brettcharakter, Oberfläche lackiert, stumpfmatt G10 |

Projektdaten

Basisdaten

Lage des Objektes
Chileweg, 6026 Rain, Schweiz
Projektkategorie
Fertigstellung
01.2017

Gebäudedaten nach SIA 416

Anzahl Wohnungen
35
Geschossfläche
6308 m²
Gebäudevolumen
20'595 m³
Gebäudekosten (BKP 2)
17,0 Mio. CHF

Beschreibung

Urban und sozial

Die kleine Gemeinde Rain im Kanton Luzern hatte im Grunde zwei Probleme: Es fehlten ein Pflegeangebot für die Dorfbewohner und ein öffentlicher Dorfplatz. Beides haben Cometti Truffer Hodel Architekten nun eingerichtet und so dem Dorf ein wertvolles Zentrum gegeben.

Das luzernische Dorf Rain liegt südöstlich des Sempachersees, malerisch auf einer Hochebene mit Bergpanorama im Hintergrund. Die lange Kirchturmspitze der barocken Pfarrkirche St. Jakobus ragt weithin sichtbar über die niedrige Bebauung hinaus. Wer die rund 3000 Einwohner starke Gemeinde auf der Dorfstrasse durchfährt, könnte den Dorfkern fast verpassen, wenn nicht ab und an vor dem Gasthof Kreuz zwei lebensechte Kuh-Skulpturen neben einem Brunnen grasen und so versuchen würden, eine Art Ortsmitte zu markieren. Das Gefühl eines Zentrums jedenfalls entsteht so nicht. Auch der barocken Kirche, nur wenige Meter entfernt zwischen Chilestrasse und Chileweg, ist kein klassischer Vorplatz, sondern allenfalls eine Art dreieckiges Restgrundstück mit Hecke und drei Fahnenstangen vorgelagert. Was der Gemeinde also fehlte, war ein klares, identitätsstiftendes und würdiges Dorfzentrum.

In der Mitte der Gesellschaft
Auslöser für die Arbeit von Cometti Truffer Hodel Architekten aber war zunächst nicht diese ungeklärte städtebauliche Situation in Rain: Damit die Bewohnerinnen und Bewohner des Dorfes im Pflegefall nicht gezwungen sind, ihren Heimatort zu verlassen, sollte nun ein Betreuungs- und Pflegeangebot für ältere Menschen geschaffen werden. Für das neue Wohn- und Begegnungszentrum stand ein Grundstück in zentraler Lage direkt neben der Kirche zur Verfügung, ausserdem wurde eine Wiesenfläche hinter dem Kirchengebäude hinzugenommen. So konnte die bauliche Struktur an diesem Ort deutlich nachverdichtet werden. Die Positionierung eines solchen Hauses in der Mitte einer Gemeinde setzt zudem ein wertvolles Zeichen in die Gesellschaft, wie wichtig es ist, pflegebedürftige Menschen in den Dorfalltag zu integrieren – statt sie, wie allzu oft, in ein Heim am Ortsrand zu stecken.

Haus der Begegnung
So wurden nach den Plänen von Cometti Truffer Hodel Architekten drei Neubauten mit insgesamt 17 barrierefreien und rollstuhlgerechten Mietwohnungen errichtet. Das Herzstück der Anlage bildet das «Haus der Begegnung» neben der Kirche, in dem eine Trägergenossenschaft zusätzlich Pflegewohnungen für 16 pflegebedürftige Menschen und zwei private Wohnungen realisiert hat. Im Gebäude haben ausserdem ein Café-Bistro, eine Bäckerei-Filiale und ein Dorfladen Platz gefunden. Ein Lichthof über alle Stockwerke ist ein halb-öffentlicher Wohnraum, der die Vorder- mit der Rückseite des Haues verbindet. Genau genommen sind die Fassaden des quadratischen Bauwerks sogar allesamt einem regelmässigen Raster von sechs Öffnungen in der Breite und vier Öffnungen in der Höhe unterworfen, was keiner Seite einen gestalterischen Vorrang erlaubt.

Neues Dorfzentrum
Teil der neuen, L-förmig um die Kirche angeordneten Anlage ist schliesslich ein öffentlicher Platz, der gemeinsam mit Fahrni Landschaftsarchitekten geplant wurde. Er ist dort eingerichtet, wo sich bisher ein wenig attraktiver Parkplatz befand, der sich jetzt darunter als Einstellhalle befindet. Platanen, als Gruppe an der nördlichen Seite, ein Brunnen, eine Kiesfläche zum Boule spielen, viele Sitzgelegenheiten und eine Beleuchtung, die wie eine Art Lichterkette entlang der Platzkanten gespannt ist, lassen zusammen mit dem hellen Belag einen Ort entstehen, der sich schnell zu einem neuen Dorfzentrum etabliert hat. Räumlich charakterisiert wird der neue Dorfplatz durch den spitzen Kirchturm, der – eher ungewöhnlich – aus einem Seitenflügel der Kirche herauswächst. Recht frech schiebt sich die leicht von einem rechtwinkligen Quadrat abweichende Platzfläche über die Gebäudeflucht des Chilewegs hinaus und zwingt in dessen Verlauf zum Innehalten. Damit markieren die Gestalterinnen und Gestalter den Platz unmissverständlich als neues Dorfzentrum von Rain.

Farb- und Materialkonzept
Die Gestaltung der Farben und Materialien stammt von der bildenden Künstlerin und Farbdesignerin Angelika Walthert aus Luzern. Auftakt ihrer städtebaulichen und räumlichen Komposition in Volumen und Farbe ist die dominierende, vorwiegend weisse, kalkverputzte Barockkirche. Die Fassade des «Hauses der Begegnung» übersetzt diese Materialität in eine zeitgenössische Anwendung von Kalkbeton, bei der die regelmässige Gliederung durch Felder mit glatter und mit gestockter Oberflächenstruktur ergänzt wird. Das so entstehende Licht- und Schattenspiel rhythmisiert den Baukörper zusätzlich. Die Strenge der Fassade wird immer wieder durchbrochen. Die beiden hinteren Bauten hingegen sind nicht nur ein Stockwerk niedriger, sondern auch farblich etwas dunkler abgestuft. Durch die verwandte Tonalität und dennoch unterschiedliche Helligkeit sucht die Farbdesignerin die Differenzierung und Verbindung gleichzeitig. Es soll eine natürliche Hierarchie entstehen. Der neue Dorfplatz ist dabei als das erweiternde und verbindende Element entwickelt, in emotionaler wie
gestalterischer Hinsicht.

Verbindung zum Innenraum
Die sorgfältig ausgearbeitete Wirkung von Farbe, Material und Raum aussen setzt sich im Innenraum des Hauses der Begegnung fort. Das mittige Atrium ist dabei als zentrale Begegnungs- und Bewegungszone gedacht, durch die die Bewohner das Geschehen im Eingangsgeschoss verfolgen können. Das vorherrschende Material im Atrium ist Kerneschenholz, dessen kräftiger Wechsel von dunkler zu heller Holzfläche die starke Verbundenheit der hier lebenden Menschen mit dem Material Holz hervorheben soll. Das natürliche Licht, das von oben hineinfällt, erzeugt reizvolle Kontraste und macht den Innenraum zu einer Art Naturerlebnis.

Ausgezeichnete Gestaltung
Das Haus der Begegnung, die beiden Alterswohnbauten und der Platz sind – das betont das Gestaltungsteam aus Architektinnen und Architekten, der Farbgestalterin und Landschaftsarchitektinnen und -architekten – auf der gleichen gestalterischen Basis entwickelt worden, mit einem durchgehenden Gestaltungs- und Materialisierungsprinzip. Das soll vor allem dazu führen, dass die öffentlichen und die Pflegeräume als Einheit wahrgenommen werden und vor allem die Pflegeräume keine Stigmatisierung erfahren. Diesen wertvollen, der Inklusion verpflichteten Grundgedanken, die städtebauliche, architektonische und innenarchitektonische Qualität sowie den Mut der Gemeinde, in erhebliche finanzielle Vorleistung zu gehen, um ein soziales Projekt zu realisieren, hat die Jury des Design Preises Schweiz in diesem Jahr mit einem Preis in der Kategorie «Design Leadership Prize: Focus Ageing Society» versehen.

Das Gestaltungsteam aus Cometti Truffer Hodel Architekten, Farbdesignerin | coloriste Angelika Walthert, Fahrni Landschaftsarchitekten:
«Die regelmässige Gliederung des Fassadenbildes durch klare Öffnungen und schachbrettartig angelegte Betonfelder mit glatter und gestockter Oberflächenstruktur rhythmisieren den Baukörper durch die reine Licht- und Schattenwirkung. Die Strenge der Fassade wird gebrochen und haptisch einladend.»

Das Gestaltungsteam aus Cometti Truffer Hodel Architekten, Farbdesignerin | coloriste Angelika Walthert, Fahrni Landschaftsarchitekten:
«Die Kernesche prägt den ovalen Innenhof und generiert für die Bewohner eine wohnliche Atmosphäre. Die Landbevölkerung ist stark mit dem Material Holz verbunden. Der Wechsel von dunkler und heller Holzfläche (Kernholz) suggeriert ein Stück weit Baumstämme und den Wald. Dies kann sich positiv und beruhigend auf die Psyche auswirken. »

Text: Thomas Geuder

Erstveröffentlichung: Magazin der Schweizer Baudokumentation 2020 - 4

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