Büro- und Gewerbehaus Binzstrasse

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8045 Zürich,
Schweiz

Veröffentlicht am 25. Februar 2025
EM2N, Mathias Müller, Daniel Niggli, Architekten AG ETH SIA BSA
Teilnahme am Swiss Arc Award 2025

Bereits zum Zeitpunkt des Projektstarts war klar, dass EM2N einen Teil der Mietflächen beziehen werden. Neben deren Vision einer neuen Arbeitswelt prägen auch die Grenzabstände und zulässigen Gebäudehöhen das Projekt massgeblich. Je nach Lage im Haus wurden grosse Räume mit variierenden Höhen geschaffen, die für Gewerbebauten ungewöhnlich und inspirierend sind. Die Pflanzen erfüllen zwei Funktionen: Sie schaffen eine grüne Oase im dicht bebauten und grossteils versiegelten Industriequartier Binz. Zudem beeinflussen sie das Mikroklima der Balkone und Terrassen positiv. Blick in die Werkstatt: An einem solchen Ort macht das Bauen von Modellen gleich doppelt so viel Spass.

Projektdaten

Basisdaten

Lage des Objektes
Binzstrasse 29, Zürich, 8045 Zürich, Schweiz
Fertigstellung
01.2023
Links

Gebäudedaten nach SIA 416

Stockwerke
6 bis 10
Anzahl Kellergeschosse
1
Geschossfläche
5500 m²

Beschreibung

«Wie möchten wir morgen arbeiten?» Diese Frage stand für das Team von EM2N beim Entwurf des Büro- und Gewerbehauses in der Binz in Zürich am Anfang. Umso mehr, weil klar war, dass die Architekt*innen selber einen Teil der Flächen beziehen würden. Mit üppig begrünten Terrassen, eingestreuten mehrgeschossigen Räumen und redundanten Vertikalerschliessungen ist ein erfrischender Neubau entstanden, der die Nutzer*innen zum kreativen Austausch inspiriert.

Büro- und Gewerbebauten sind eine stiefmütterlich behandelte Architekturgattung. Auch in Zürich, wo noch bis in die späten 1950er-Jahre zahlreiche elegante Geschäftshäuser nach dem Vorbild von Otto Rudolf Salvisberg entstanden. Auf sie folgten fast ausschliesslich geistlose, den Gesetzen des Profits gehorchende Bürocontainer. Dass es auch anders ging, bewies dann vor 20 Jahren der Pharmariese Novartis auf seinem Basler Campus, dessen Erneuerung mit einem Meisterwerk von Roger Diener, Gerold Wiederin und Helmut Federle einsetzte. Umso mehr enttäuschte das Büro Diener daraufhin am Zürcher Mythenquai mit einem grünlich schillernden Quader aus gewelltem Glas, der seit 2017 an bester Lage am See den Charme der Agglomeration verströmt. Kaum überzeugender sind die Büropaläste aus Glas und Stein, die David Chipperfield, Max Dudler und Gigon / Guyer 2013 an der Europaallee hingeklotzt haben. 

Expressiver Betonberg
Kurz darauf jedoch zeigten Gigon / Guyer ihr Können mit einem bronzefarbenen Geschäftshaus, das sie geschickt in den kleinen Rosau-Park am General-Guisan-Quai einfügten. Gleichzeitig machten Caruso St John auf das fehlende Grün einer steinernen Strassenflucht beim Escher-Wyss-Platz aufmerksam, indem sie die tiefen Balkone an der Südfassade ihres Bürogebäudes in hängende Gärten verwandelten. Eine vergleichbare Strategie verfolgten EM2N Architekten an der ähnlich grauen Binzstrasse. Allerdings gingen sie bei ihrem Büro- und Gewerbehaus für die Auftraggeberin Swiss Life Asset Management AG noch einen Schritt weiter als ihre Kolleg*innen. Sie verschmolzen die Fas­sadenbepflanzung mit einer ikonischen Architektur, die mit Aussentreppen, Bandfenstern und massiven Mauern auf den Bestand des Viertels verweist. Herausgekommen ist ein expressiver, terrassierter Betonberg, der bestens zur Binz, einem von zukunftsoptimistischem Erfindergeist durchwehten Industriegebiet am Fuss des Uetlibergs passt.
Nach dem Wegzug der Zürcher Ziegeleien machten sich hier neue Fabriken, Gewerbebauten und Lagerhallen breit, denen in den 1980er-Jahren die Sitze von Versicherungen und Telekommunikationsunternehmen folgten. Schliesslich richteten sich Architekturateliers, Büros der Kreativwirtschaft, Start-up-Lokalitäten, Restaurants und Supermärkte in günstig zu mietenden Altliegenschaften ein. Dieses stimulierende Ambiente lockte Investoren an, die neue Gebäude errichten und bestehende umbauen oder aufstocken liessen – etwa 2007 den Supertanker durch Stücheli Architekten. Aufgrund seines organisch gekurvten, mit Aluminiumblech verkleideten Dachaufsatzes wurde das 100 Meter lange Backsteingebäude zu einem Wahrzeichen der Binz – genauso wie der vom Baubüro in situ 2016 restaurierte und erweiterte Werkhof Binz und das elegante, wohl durch das Berliner Shell-Haus inspirierte Tic Tric Trac-Gebäude von Baumschlager Eberle.
Dem Supertanker stiehlt nun das auf der nach Westen anschliessenden Parzelle errichtete Gewerbehaus von EM2N mit urbanem Glamour die Schau. Anders als ihr 2021 vollendetes Geschäftsgebäude an der Zürcher Bahnhofstrasse, das – in einen Häuserblock integriert – nur mit einer vorgehängten Lochfassade aus porösem Tuffstein in Erscheinung tritt, besteht das Terrassenhaus an der Binzstrasse aus einem frei stehenden, vollplastischen Baukörper. Seine nach Norden und Süden unterschiedlich abgestufte Form ergab sich aus der Maximalausnutzung der baurechtlichen Vorgaben. So entstand ein architektonisch innovativer Neubau, der trotz aller Exzentrik erstaunlich kostengünstig realisiert werden konnte. Hinsichtlich seiner äusseren Gestalt und des Verzichts auf unnötige Extras erinnert das Wirtschaftlichkeit und Ästhetik vereinende Gebäude an das 2018 in Berlin Wedding vollendete neobrutalistische Terrassenhaus des Kultarchitekten Arno Brandlhuber vom Berliner Büro b+, aber auch an abgetreppte Wohnbauten der 1960er- und 1970er-Jahre.

Dynamik der Stadt
Anders als Brandlhuber pflegen EM2N jedoch keinen rigorosen Formalismus. Vielmehr finden sie ihre Bauformen und -materialien im Dialog mit dem Ort, wodurch immer wieder charaktervolle und ausdrucksstarke Gebäude entstehen. Es überrascht daher nicht, dass sich das von Mathias Müller und Daniel Niggli 1997 in Zürich gegründete Büro EM2N Architekten besonders intensiv mit «der Dynamik und der Widersprüchlichkeit der Stadt» befasst. Früh schon zeigte sich dies bei der Umgestaltung des Theaters 11 in ein mausgraues Gastspielhaus und Musicaltheater. Beeinflusste hier wie bei der Weiterentwicklung der Toni-Molkerei zur Zürcher Hochschule der Künste noch Rem Koolhaas’ Dirty Realism den Entwurf, so rückte bei der Transformation eines Bahnviadukts zur trendigen Einkaufsmeile die mit «kühlem Blick» analysierte Umgebung und deren Atmosphäre in den planerischen Mittelpunkt.
Der Direktauftrag für das vergleichsweise preisgünstige Büro- und Gewerbeflächen bietende Geschäftshaus in der Binz, das sie 2023 anstelle eines eingeschossigen Garagenbaus vollendeten, war 2017 an EM2N gegangen. Er gab den Architekt*innen die Gelegenheit, die drängende Frage, «wie wir wollen morgen arbeiten wollen», mit einem Haus zu beantworten, in dessen Zentrum die Angestellten stehen und das zugleich die Umgebung in architektonischer, sozialer und ökologischer Hinsicht bereichern sollte. Die Umsetzung dieser Vision war ihnen auch deshalb wichtig, weil sich ihnen hier die Möglichkeit bot, eigene Büros und eine grosse Modellwerkstatt einzurichten.
Viel Herzblut investierten EM2N nicht nur in die einprägsame Gebäudeform und die kommunikativ angelegten Innenräume, sondern auch in die Aufwertung der Nachbarschaft zu einem vielschichtigen Lebensraum, der dank einem Kindergarten und einer jüdisch-orthodoxen Schule bereits vorher durchmischter war als weite Teile des Quartiers. Deshalb bestanden sie auf einem öffentlich zugänglichen Erdgeschoss. Dieses hat eine grosszügige Eingangshalle, die sich zu einer Miso-Bar mit einem Boulevardrestaurant weitet und dem ein notdürftig mit Topfpflanzen möblierter Kiesplatz zur Verfügung steht. Das Büro Balliana Schubert Landschaftsarchitekten sollte hier nochmals über die Bücher gehen – genauso wie bei der Begrünung der Seitenfassaden. Deren polygonale, durch Bullaugenfenster und halbmondförmige Öffnungen rhythmisierte Betonwände sind schlicht zu mächtig und im Sommer vermutlich auch zu heiss für die zarten Waldreben, die doch die ganze Wand überwachsen sollten. Gelungener ist die mit ökologischem Gespür ausgewählte und von filigranen Brüstungen aus Metall und Maschendraht gehaltene Bepflanzung der jeweils sechs schräg übereinanderliegenden Terrassen. Auf der Hofseite werden sie durch eine skulpturale Wendeltreppe erschlossen – ein spektakulärer Blickfang, der frontal gesehen dem spiralförmigen Revolutionsdenkmal von Wladimir Tatlin gleicht, auch wenn er wohl von den Fluchttreppen der Nachbarbauten hergeleitet ist.

Überraschende Innenräume
Auf der untersten Terrasse seines dreigeschossigen Büros steht Mathias Müller in der Vormittagssonne vor Stauden und Kletterpflanzen und betont: «Die Pflanzen sollen eine grüne Oase schaffen im versie­gelten Industriequartier und die subjek­tive Wahrnehmung der hier Arbeitenden verbessern.» Denn der von den Pflanzen erzeugte Aussenbezug sei ähnlich wichtig wie der interne Ideenaustausch. Aber nicht nur in den begrünten Aussenräumen spiegelt sich die Absicht der Architekt*innen, «statt eines gewöhnlichen Geschäftshauses etwas Neues, den Kontext Weiterdenkendes und Bereicherndes zu schaffen», sondern mehr noch in den Arbeitsräumen, die mit einer Vielfalt überraschen, «wie sie in Geschäftshäusern sonst kaum je zu finden ist». Aufmerksamkeit erregen vor allem drei doppelgeschossige Säle, von denen die Modellwerkstatt mit ihren Bullaugenfenstern wie eine Fabrikhalle wirkt, während der nach Süden gerichtete, lichtdurchflutete Aufenthaltsraum geradezu Ferienstimmung hervorruft. Für die Mitarbeitenden von EM2N geschaffen, steht der mit seinen Betonstreben fast wie eine gotische Kathedrale anmutende Raum über Mittag allen im Haus offen. Damit sollen genauso wie mit den Südterrassen, auf denen man über alle Stockwerke hinweg frei zirkulieren darf, die zwischenmenschlichen Begegnungen und der kollektive Charakter des Arbeitsortes gefördert werden.
Parkettböden und hölzerne Einbauten mildern in den Arbeitsräumen die Härte des Betons. Da stellt sich unweigerlich die Frage, ob nicht das ganze Gebäude aus Holz hätte konstruiert werden können. Dies umso mehr, als sich EM2N seit dem Bau der ersten fünfgeschossigen Zürcher Holzbausiedlung Hegianwandweg vor 25 Jahren im Umgang mit diesem umweltfreundlicheren Baumaterial umfassende Kenntnisse angeeignet haben. Dennoch entschieden sie sich beim Büro- und Gewerbehaus für Beton, weil mit ihm grosse Spannweiten wirtschaftlich verwirklicht werden können. Ausserdem hätte ein Holzbau bei den CO₂-Emissionen nur 10 bis 15 Prozent besser abgeschnitten als der ausgeführte Lowtech Betonbau, der unter anderem dank Erd­register, thermischer Aktivierung der extradünnen Betonkassettendecken, weitgehender Fensterlüftung sowie Verzicht auf Warmwasser viel Energie spart. Es zeugt aber von der Experimentierfreude von EM2N, dass sie sich bei ihrem neuesten, 2019 geplanten Terrassenhaus, dem Stairway-Building auf dem Hammerbrooklyn Digital Campus in Hamburg, für eine Holzhybridkonstruktion auf einem Stahlbetonsockel entschieden haben.

Der Text von Roman Hollenstein wurde für Arc Mag 2025–2 verfasst. Bestellen Sie Ihr Exemplar hier.
192238086