Handels- und Fachmittelschule Siders
,
Schweiz
Veröffentlicht am 28. Oktober 2021
Bonnard Woeffray SNC
Teilnahme am Swiss Arc Award 2022
Projektdaten
Basisdaten
Gebäudedaten nach SIA 416
Beschreibung
Südlich der Bahngleise der Walliser Stadt Siders wurde für die Handels- und Fachmittelschule ein kubisches Gebäude errichtet. Weil es die Rückseite des Bahnhofes mit dem Zentrum verbindet, ist der Neubau zugleich ein Sprungbrett für die zukünftige Stadtentwicklung.
2011 gewann das Architekturbüro Bonnard Woeffray aus Monthey den Wettbewerb für den Neubau der Handels- und Fachmittelschule in Siders. Die Schule wurde auf einer kleinen Parzelle errichtet, die bislang von einer Weinkellerei genutzt wurde. Man erreicht sie vom Ortszentrum Siders aus über eine kraftvolle, neue 82 Meter lange Fussgängerbrücke, die über die Gleise führt. Damit ist das Gebäude Teil eines neuen städtebaulichen Gesamtkonzepts. Die bislang hauptsächlich nördlich der Bahnlinie gelegene Innenstadt soll sich künftig stärker südlich der Gleise weiterentwickeln.
Hochstapler
Eine schlichte und zeitgemässe Erscheinung gibt dem Bau eine unverwechselbare Identität. Der Kubus wirkt durch eine feine Materialisierung leicht und kompakt und dies obwohl er satte 11 210 Quadratmeter Nutzfläche parat hält. Umlaufende Brüstungen aus mehrfach horizontal geknickten, hochglanzpolierten Edelstahl-Lochblechen und verglaste Fassaden erlauben Einblicke in die Unterrichtsräume. Wer genau hinschaut, kann die unterschiedlichen Raumgrössen für die verschiedenen Schulprogramme erkennen, die sich im Inneren auf fünf Ebenen verteilen. Angesichts der geringen Grösse des Grundstücks entschied sich das Architekturbüro, die Unterrichtsräume auf einer Zweifachturnhalle aufzuschichten. Dieser Kraftakt wurde elegant durch eine subtile Betontragstruktur gelöst. V-förmige Betonstützen, welche unmittelbar hinter den Glasfassaden stehen, stemmen die Schulräume über die Sporthalle. Sie stellen auch die Erdbebensicherheit her.
Die von Bonnard Woeffray gewählte Gebäudetypologie ist zweckmässig: Vierzig Klassenräume liegen auf den oberen vier Geschossen verteilt. Sie haben identische Grössen von 72 Quadratmetern und sind ringförmig angeordnet. Erschlossen werden sie über Galerien, die ein lichtdurchflutetes Atrium umlaufen. Durch diese Anordnung haben die Klassenzimmer unterschiedliche Ausrichtungen und Lichtverhältnisse. Insgesamt bietet das dreissig Meter hohe Gebäude Raum für 550 Studierende, Lehrkräfte und Verwaltungsangestellte.
Aufmerksamkeit erregen
Die Materialien im Gebäudeinneren sind nüchtern und zugleich poetisch: Sichtbeton wurde kombiniert mit klarem und getöntem Glas und Verkleidungen aus Aluminium. Das Atrium ist imposant: Skulpturale, massive Betontreppen, die kreuz und quer durch den Innenraum verlaufen, verleihen der Schule eine ganz eigene, kraftvolle Identität.
Das Restaurant und zwei Hörsäle im Erdgeschoss werden sowohl von der ECCG als auch von Studierenden der nordöstlich gelegenen HES-SO genutzt. Bei der Organisation des komplexen Raumprogramms haben sich die Architekt*innen das Gefälle des Geländes zunutze gemacht. Die Schule kann sowohl im Erdgeschoss als auch von der Fussgängerbrücke im ersten Obergeschoss erreicht werden. Und da das Gelände nach Süden abfällt, kann dort über einen dritten Eingang die Turnhalle unmittelbar betreten werden. Dies ermöglicht es, sie für Veranstaltungen abzukoppeln.
Verbindend
Ebenfalls aus der Feder von Bonnard Woeffray stammt ein Infrastrukturkomplex, der zwischen Schule und Bahngleisen eingespannt ist: Auf einer Garage mit 200 Stellplätzen liegt ein neuer offener Busbahnhof. Zwei massive Treppenkerne führen aus der Garage zur Bushaltestelle und einer von ihnen unmittelbar weiter hinauf auf die Brücke.
Diese besteht aus Stahlträgern, welche auf insgesamt drei Betonpfeilern aufliegen. Die Lauffläche ist aus Stahl-Beton. Bemalt mit orangem Harz lädt die Brücke ein, sich zwischen Innenstadt und Hochschule hin- und her zu bewegen. Als leuchtendes Zeichen für den urbanen Wandel von Siders ist sie vor allem von den umliegenden Hügeln des Rhonetals aus gut sichtbar.
Die Garage ist teils unterirdisch, teils oberirdisch. Wo sie über das Gelände ragt, hat sie einen Abschluss aus verzinkten Gitterrosten, um die natürliche Belüftung des Parkhauses zu gewährleisten. Dem an sich banalen Parkhausbau haben die Architekt*innen durch diagonal verlaufende Rohre der Sprinkleranlage, farbig gestrichenen Rundpfeilern und Parkplatzmarkierungen, die an griechische Friese erinnern, einen gewissen Pfiff verliehen.
Schimmernd
Je nach Tageszeit und Sonnenstand glänzt die Fassade in anderen Farbtönen und lässt das Gebäude lebendig erscheinen. Im Zusammenspiel mit der Fussgängerbrücke, die als eine Art farbiges Rückgrat angelegt ist, sorgt dieses auf dem gesamten Geländer erlebbare Farbenspiel für eine harmonische Einbindung des Gebäudes ins karge Gleisfeld auf der einen wie auch in die üppig bewaldeten Hügel auf der anderen Seite. Dank der hohen architektonische Qualität des Projektes wurde der Bau von den Nutzenden und der Öffentlichkeit schnell angenommen. Der Erfolg gibt dem Konzept recht: Die Hochschule hat sich in kurzer Zeit zu einem Wahrzeichen für die ganze Region entwickelt.
Text: Renzo Stroscio
Erstveröffentlichung im Magazin der Schweizer Baudokumentation 6.2021