Surélévation à la Rue de Lausanne

 
1202 Genève,
Schweiz

Veröffentlicht am 07. März 2022
Lacroix Chessex SA
Teilnahme am Swiss Arc Award 2022

In Clustern wurden jeweils sechs räumlich unterschiedliche Maisonette clever verzahnt.

Projektdaten

Basisdaten

Lage des Objektes
Rue de Lausanne, 1202 Genève, Schweiz
Projektkategorie
Fertigstellung
06.2020
Links

Gebäudedaten nach SIA 416

Stockwerke
3 bis 5
Anzahl Wohnungen
50
Geschossfläche
7568 m²
Gebäudevolumen
25'150 m³
Gebäudekosten (BKP 2)
35,5 Mio. CHF

Beschreibung

Ein von Camoletti und Vincent erbautes Gebäude aus den 1960er-Jahren in Genf wurde um drei Etagen aufgestockt. Obwohl der Aufbau sich formal am Bestand orientiert, erlebt das Gebäude durch ihn eine wahre Renaissance. Aus einem Entlein ist ein stolzer weisser Schwan geworden. Dazu passt, dass die 50 neuen Wohnungen einen spektakulären Blick auf den Genfersee haben.

Einer Wohnscheibe aus den 1960er-Jahren drei weitere Stockwerke hinzuzufügen, ist keine alltägliche Aufgabe. Ein 2002 ausgeschriebener Wettbewerb für ein Genfer Mehrfamilienhaus in der Rue de Lausanne sah ursprünglich lediglich eine Aufstockung um zwei Stockwerke in Leichtbauweise aus Holz- oder Stahl vor. Den Architekten von Lacroix Chessex schwante jedoch, dass mehr möglich war. Sie gaben bei einem Bauingenieur eine Studie in Auftrag. Und siehe da: Die Struktur erwies sich als derart «stark», dass sogar eine Aufstockung um drei oder gar vier Etagen aus Beton problemlos möglich schien. Ein massiver Aufsatz versprach zudem, die geforderte Erdbebenertüchtigung zu leisten, da der neue Teil aus Stahlbeton den Bestand von oben wie eine grosse Klammer zusammenhält.
Die Architekt*innen pokerten, als sie der Jury diese clevere Idee präsentierten. Und manchmal gewinnt selbst in einem Architekturwettbewerb noch diejenige, die etwas wagt: Statt einer Disqualifikation trugen sie den Sieg davon.

Höhe gewinnen
Das Aufstocken von Gebäuden ist in Genf mittlerweile ein grosses Thema. Denn seit der Jahrtausendwende wächst die Bevölkerung stetig an. Der Stadt bleibt daher keine andere Wahl, als sich «nach innen» zu entwickeln. Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten: Man kann neue Gebäude errichten; doch es mangelt an freien Grundstücken. Ersatzbauten sind eine andere Option. Aber mit jedem ersetzten Bauwerk geht ein Teil der Geschichte und lokalen Identität verloren. Die dritte Möglichkeit – An- und Umbauen sowie Aufstocken – scheint daher die beste Lösung. Das «Bauen in die Höhe» ist in Genf durch eine eigene Kommission geregelt. Um neuen Wohnraum zu schaffen, hat die Stadt 2008 die zulässige Gebäudehöhe in den Innenstadtbezirken um sechs Meter erhöht. In den zusätzlichen Stockwerken dürfen allerdings nur Wohnungen entstehen und die Mieten werden fünf Jahre lang eingefroren.

Wohnen mit Seeblick
Das Gebäude, von dem in diesem Essay die Rede ist, befindet sich im Viertel Sécheron, das zwischen dem Mon-Repos Park und dem gleichnamigen Bahnhof liegt. Seinen Bewohner*innen bietet es einen beinahe paradiesischen Ort, da es nur durch die Rue de Lausanne und den Komplex der Welthandelsorganisation vom Genfersee getrennt ist. Das Viertel besteht aus Gebäuden mit sehr unterschiedlichen Nutzungen: Wohnhäuser, Büros und Forschungseinrichtungen. Genauso vielfältig sind ihre Stile: Neoklassizismus steht neben Nachkriegsmoderne und technoiden Glasboxen.

Wertschätzung für den Bestand
Wenn man früher die Rue de Lausanne entlangging, gab sich das Wohnhaus eher unscheinbar. Doch das ist als Kompliment gemeint für seine diskrete, ehrliche und zweckmässige Erscheinung. Dass der Vorschlag von Lacroix Chessex den Wettbewerb gewonnen hat, mag daran liegen, dass sie das Gebäude zwar erhöhen, in seinem Charakter jedoch nicht verändern wollten. Weil die Aufstockung die DNA des Bestandes aufgreift und ihn weiterschreibt, – wenn auch in einer noch schlichteren Art und Weise,– ist der Altbau weit mehr als nur ein Sockel: Die Gesamtfigur hat durch die schlankeren Proportionen an Eleganz gewonnen und das Gebäude dadurch eine stärkere Präsenz erhalten.
An der Fassade treten die Materialien in einen kohärenten Dialog: Die Hülle der bestehenden Stockwerke ist mit Marmorplatten verkleidet, während für den Beton der neuen Stockwerken gemahlener weisser Marmor als Zuschlag verwendet wurde, um ihm ebenfalls einen hellen Ton zu verleihen. Die alte und die neue Fassade weisen zwar eine grosse Ähnlichkeit auf, doch die noch stärker horizontalere Gliederung der Aufstockung zeichnet diese zugleich ab. Während das bestehende Gebäude an der Ostseite von Balkonen rhythmisiert wird, betonen bei den neuen Stockwerken durchgehende Brüstungen die Länge des Gebäudes. Auch die Stadtseite der Aufstockung nimmt die Struktur der Lochfassade der bestehenden Etagen auf. Doch sind die neuen Fenster grösser und die Wandflächen dazwischen wirken eher wie Pfeiler.

Schachtelung
Die Aufstockung ergänzt das Gebäude um 50 neue Wohnungen. Die Grundrisse im siebten Stock greifen die räumliche Organisation der 1960er-Jahre weitestgehend wieder auf. Neu sind aber grosse offene Küchen, die jeweils das räumliche Zentrum der Wohnungen bilden. Über sechs Kerne werden jeweils zwei Sechs-Zimmer-Wohnungen und eine Zwei-Zimmer-Wohnung erschlossen. Im achten und neunten Stockwerk haben Lacroix Chessex mehr Innovation gewagt: In fünf räumlich identischen und einem durch die Verjüngung des Volumens nach Westen leicht abweichenden Clustern haben sie jeweils sechs Maisonette auf clevere Art ineinander verschachtelt. Alle Wohnungen sind durchgesteckt und haben damit sowohl Seesicht als auch Fenster in Richtung Jura-Gebirge.
Im Grundriss sind die Wohnungen jeweils in drei Zonen gegliedert: Im Zentrum liegen Entrées, Badezimmer und Innentreppen. Alle Wohnräume sind nach Westen und Osten ausgerichtet. Kleine Niveauunterschiede zonieren die ansonsten offenen Wohnungen und lassen Tageslicht tief in Räume hineinströmen. Die Wohnungen wurden so geschnitten, dass sie möglichst flexibel genutzt werden können. Wer mag, wohnt und isst mit Blick auf den See oder schläft und arbeitet auf der Stadtseite – oder umgekehrt.
Einschränkungen und Zwänge, die sich aus der Arbeit an einem bestehenden Gebäude ergeben, können mitunter inspirierende Glücksfälle sein. Doch es braucht Architekt*innen, die es verstehen, die Qualitäten des Bestandes herauszuarbeiten und ins rechte Licht zu rücken. Simon Chessex und Hiéronyme Lacroix haben dies in der Rue de Lausanne meisterhaft getan.
Offensichtlich haben sie generell Spass am «Aufsetzen», denn sie haben bereits vier weitere Aufstockungsprojekte in Planung. Mit Spannung darf man erwarten, mit welchen Ideen und Lösungen sie uns dabei überraschen werden.

Text: Valentin Oppliger

Übersetzung ins Deutsche: Jørg Himmelreich

Erstveröffentlichung im Arc Mag 4.2022

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