Movable House
,
Schweiz
Veröffentlicht am 05. Oktober 2020
Rahbaran Hürzeler Architekt:innen
Teilnahme am Swiss Arc Award 2021
Projektdaten
Gebäudedaten nach SIA 416
Beschreibung
Das Movable House ist ein Haus in Bewegung. Das experimentelle Wohnhaus vereint hohe räumliche Qualitäten mit einem minimalen Flächen- und Materialverbrauch. Es lässt sich in sehr kurzer Zeit aufbauen und ebenso einfach wieder rückbauen und wiederverwenden.
Ausgangslage
Das Movable House ist nicht für einen bestimmten Standort entwickelt, sondern soll an verschiedenen Orten und auf Zeit umsetzbar sein. Voraussetzung dafür sind der leichte und effiziente Transport sowie der schnelle Auf- und Abbau der Gebäudeteile. Ob auf der grünen Wiese, als Nachverdichtung im Stadtgebiet oder parasitär auf einem Gebäude – die vorgefertigten Segmente können an unterschiedlichen Orten zusammengesetzt werden.
Entwurfsidee
Der Grundriss basiert auf einem Quadrat mit zehn Meter Seitenlänge. Vier Kerne teilen die Fläche in unterschiedlich grosse Wohnräume. Diese Räume werden über einen leicht dezentral angeordneten, kreisrunden Bewegungs- und Aufenthaltsraum miteinander verbunden und bilden Raumabfolgen über die Diagonale. Die über Eck verglasten Wohnräume öffnen sich unter einem weit auskragenden Dach zur Landschaft. Die Kerne sind raumhaltige Schränke und beinhalten verschiedene Nebennutzungen wie den Eingang, die Küche, die Bäder und die gesamte Haustechnik. Die kompakte Planung dieser Kerne maximiert die Nutzfläche und befreit die Wohnräume von jeglichen Installationen. Ein Ziel des Pilotprojektes ist das Ausloten von statischen und bauphysikalischen Grenzen und der Einsatz von neuen Material-Kombinationen. Thema des Movable House ist die Minimierung der Schichten und der verwendeten Materialien. Daher hat das Wohnhaus kein Tragwerk im klassischen Sinn, sondern tragende Elemente, die gleichzeitig Möbel, Decke und Boden bilden sowie Wärmedämmung und Energiespeicher beinhalten. Die Herausforderung lag in der Entwicklung eines Tragwerks, das all diesen Anforderungen gerecht wird.
Die Fassade wird aus grossformatigen, weiss gestrichenen Holzfenstern und geschlossenen, vorfabrizierten Aussenwänden aus Holz gebildet. Ein umlaufender textiler Aussenvorhang dient als Sonnenschutz und hüllt das Gebäude allseitig ein und verleiht ihm einen Ausdruck von Leichtigkeit und Veränderbarkeit.
Projektierung
Die Tragstruktur des Gebäudes besteht aus vier begehbaren Holzschränken, welche die auskragenden Dachelemente aus vorgespanntem Beton tragen. Die Schrankvolumen sind aus vierzig Millimeter starken Mehrschichtplatten aus Buchenholz aufgebaut. Die Decke besteht aus fünf vorgespannten Betonelementen, die zehn Meter lang, zwei Meter breit und nur sechs Zentimeter stark sind. Diese Elemente sind bereits ab Werk zwischen den seitlich aufstehenden Rippen gedämmt. Der Boden besteht aus ebenfalls fünf gleich grossen Betonelementen mit elf Zentimeter Stärke. Dank der integrierten Module mit Phasenwechselmaterialien (PCM) auf Wachs- und Salzbasis entspricht die Speicherkapazität einer dreissig Zentimeter starken Betonplatte bei vier Kelvin Temperaturänderung. Alle Betonelemente bestehen aus Weisszement mit Zuschlägen aus Carrara-Marmor. Die Deckenuntersichten sind roh belassen, die Bodenelemente wurden vor Ort geschliffen, um eine terrazzoartige Optik zu erhalten. Auch die Schrankvolumen aus Buchenschichtholz sind nicht zusätzlich verkleidet und als Struktur sichtbar. Der Raum wird durch die Materialität und Oberfläche der Tragstruktur massgeblich geprägt. Für die Verbindung der tragenden Elemente Decke, Schrank und Boden wurde speziell für das Projekt ein ingenieurtechnisches Schreinerdetail entwickelt: Stahlhalbmonde mit einer sehr hohen Zugkraft von 25 Kilonewton verbinden die Holzkerne mit den Betonplatten und spannen die Elemente zu einem grossen «Möbel» zusammen.
Besonderheiten
Das Movable House vereint verschiedene Aspekte des nachhaltigen Bauens: In wirtschaftlicher Hinsicht werden die Investitionskosten durch die materialsparende Konstruktion und die vorfabrizierte Bauweise gesenkt. Der geringe Heizwärmebedarf, die wartungsarme, einfache Gebäudetechnik und die Eigenproduktion von Solarstrom ermöglicht die Reduktion der Betriebskosten. Durch den flächeneffizienten Grundriss und den geringen Flächenverbrauch pro Bewohner kommen auch soziokulturelle Aspekte zum Tragen. Das neu entwickelte, vorfabrizierte Deckensystem ermöglicht in Kombination mit dem Holzelementbau hohe strukturelle und funktionelle Flexibilität sowie ausserordentliche gestalterische Qualität. Die Materialeinsparung durch das vorfabrizierte Deckensystem, der Einsatz nachwachsender Rohstoffe und die einfache Auf- und Abbaubarkeit verbessern die Nachhaltigkeit der Gebäudekonstruktion. Im Betrieb wirken sich die Energieeffizienz der Gebäudehülle, die Nutzung von Erdwärme und die Produktion von Solarstrom vor Ort positiv aus. Durch den guten Wärmeschutz und die optimierte Nutzung der Solargewinne wird die gesetzliche Anforderung an den Heizwärmebedarf um vierzig Prozent unterschritten. Die Jahresproduktion der PV-Anlage übersteigt den Gesamtstrombedarf des Gebäudes.