​COCI studio zelebriert das Alltägliche.

Veröffentlicht am 17. Juli 2023 von
Jørg Himmelreich

Die Architektur aus der Feder von Camille Bagnoud und Carole Froidevaux wirkt fröhlich und zugänglich. Sie überrascht und ist dennoch zugleich äusserst sensibel. | ©Daniela Tonaituh

Die Architektur aus der Feder von Camille Bagnoud und Carole Froidevaux wirkt fröhlich und zugänglich. Sie überrascht und ist dennoch zugleich äusserst sensibel. | ©Daniela Tonaituh

Die Architektur aus der Feder von Camille Bagnoud und Carole Froidevaux wirkt fröhlich und zugänglich. Sie überrascht und ist dennoch zugleich äusserst sensibel. | ©Daniela Tonaituh

Die Arbeiten von COCI studio wirken fröhlich und verspielt. Was flüchtig betrachtet üppig oder gar manieriert anmutet, offenbart auf den zweiten Blick das Gegenteil: eine strenge Ökonomie der Mittel. Im Gespräch mit Jørg Himmelreich erläutern Camille Bagnoud und Carole Froidevaux, die seit 2018 ihr Büro in Lausanne führen, welchen Wert sie Narrationen in der Architektur beimessen.

Wenn man sich eure Entwürfe und Projekte anschaut – mit ihren kräftigen oder pastelligen Farben und geometrischen Formen – kommt man nicht umhin, sofort an die Designs der 1980er-Jahre zu denken. Habt ihr eine Vorliebe für die Postmoderne?

Ja, wir verwenden gerne Farben, Geometrien und Muster, die an die Postmoderne erinnern. Wir spielen mit diesen Elementen und nutzen ihre Wirkung, die sie auf Räume beziehungsweise die Wahrnehmung der Nutzer*innen haben können: Sie erscheinen fröhlich, kommunikativ und zugänglich. Wir versuchen, die Bedeutung(en) der Elemente zu begreifen, um sie dann verständlich und sprechend zu machen.

In den letzten 30 Jahren hat die Schweizer Architektur – und damit auch die Lehre an den meisten Hochschulen – auf Raum und Struktur fokussiert. Farbe und Dekor fristeten ein Schattendasein. Wer waren eure Lehrer*innen? Wer sind eure Vorbilder? Oder sollte man eure Arbeit als Reaktion auf eine Vakuum verstehen?

Die prägendsten Lektionen in unserem Studium an der EPFL waren die Vorlesungen in Architekturgeschichte von Roberto Gargiani und Architekturtheorie von Jacques Lucan. In ihren Kursen lernten wir, unsere Umgebung zu entschlüsseln, zu interpretieren und manchmal auch zu verstehen. Durch diese spezielle Brille wurden scheinbar alltägliche Dinge für uns sichtbar. Wir sind permanent mit Bildern konfrontiert – in Büchern, im Internet oder auf der Strasse. Wir sammeln, sortieren und klassifizieren sie – ein wenig wie in einer Enzyklopädie. Teil dieser Arbeitsmethode ist, dass wir nur manchmal Architekturmodelle bauen. Stattdessen haben wir eine Sammlung von Fragmenten, die wir für unsere Projekte immer wieder neu interpretieren.

Das Office for Joyful Architects wirkt von der Strasse gesehen lebendig, selbst wenn niemand dort ist. Kraftvolle Farbakzente und Elemente mit starken Geometrien «feiern das Notwendige und verherrlichen das Banale», so beschreiben die Architektinnen ihr eigenes Büro. | ©Daniela Tonaituh

Das Office for Joyful Architects wirkt von der Strasse gesehen lebendig, selbst wenn niemand dort ist. Kraftvolle Farbakzente und Elemente mit starken Geometrien «feiern das Notwendige und verherrlichen das Banale», so beschreiben die Architektinnen ihr eigenes Büro. | ©Daniela Tonaituh

Das Office for Joyful Architects wirkt von der Strasse gesehen lebendig, selbst wenn niemand dort ist. Kraftvolle Farbakzente und Elemente mit starken Geometrien «feiern das Notwendige und verherrlichen das Banale», so beschreiben die Architektinnen ihr eigenes Büro. | ©Daniela Tonaituh

Klima-, Biodiversitäts- und Energiekrise drücken unsere Laune. Ihr scheint ein fröhlicheres Gemüt zu haben. In den Beschreibungen eurer Projekte findet man häufig Wörter wie «Fröhlichkeit» und «Humor». Soll uns Architektur beschwichtigen und aufheitern, wenn uns die globale Lage unruhig macht?

Um auf die Herausforderungen unserer Zeit reagieren zu können, darf Architektur nicht trist sein. Wir wollen unsere Projekte so heiter wie möglich gestalten, ohne jedoch überschwänglich zu werden. Um das zu erreichen, versuchen wir, den notwendigen Elementen eine Stimme zu geben. Eine Sockelleiste beispielsweise ist in erster Linie dazu da, das Putzen zu erleichtern. Manchmal kann sie aber auch viel mehr: beispielsweise eine Wand zum Schweben bringen. Oder – wenn sie ein prägnantes Muster hat – die weisse Wandfläche aufwerten. In beiden Fällen erhält die Sockelleiste eine andere Bedeutung, eine erweiterte Rolle.

Renderings sehe ich bei euch selten, dafür Modellfotos und farbige Axonometrien. Zugleich scheinen eure Arbeiten prädestiniert zu sein, um im Internet Aufmerksamkeit zu erregen. Sie stechen beispielsweise verführerisch auf Instagram heraus. Welches Verhältnis habt ihr zu digitalen Medien und Werkzeugen?

Wir möchten, dass unsere Zeichnungen möglichst viele Menschen ansprechen und dabei zugleich so autonom wie möglich sind. Sie sollen die Projekte erläutern, aber auch unsere Sicht auf die Welt. Natürlich zeichnen wir anders, wenn wir mit Handwerker*innen oder Kund*innen kommunizieren. Die von dir erwähnten farbigen Zeichnungen sind für uns ein Mittel, um eine Welt «um die Projekte herum» zu formen. Sie sind Werkzeuge, die mehr als die Realität abbilden: Sie regen die Fantasie an.

Das COCI studio ist mit verspielten Farbschemata, gewagten Mustern, Materialmixen und raffinierten Details bekannt geworden. Beim Entwerfen arbeiten sie mit verschiedenen Werkzeugen und Medien wie Zeichnungen, Bildern, Modellen und Collagen. | ©Daniela Tonaituh

Das COCI studio ist mit verspielten Farbschemata, gewagten Mustern, Materialmixen und raffinierten Details bekannt geworden. Beim Entwerfen arbeiten sie mit verschiedenen Werkzeugen und Medien wie Zeichnungen, Bildern, Modellen und Collagen. | ©Daniela Tonaituh

Das COCI studio ist mit verspielten Farbschemata, gewagten Mustern, Materialmixen und raffinierten Details bekannt geworden. Beim Entwerfen arbeiten sie mit verschiedenen Werkzeugen und Medien wie Zeichnungen, Bildern, Modellen und Collagen. | ©Daniela Tonaituh

Denkt ihr Architektur aus dem Innenraum heraus? Oder kommt mir das nur so vor, weil viele eurer Projekte Umbauten sind? Und soll man die zahlreichen Umbauten als Plädoyer dafür interpretieren, dass mehr mit dem Bestand gearbeitet werden muss, wenn wir die enormen schädlichen CO2-Emissionen der Bauindustrie reduzieren wollen?

Architektur hat zwei Gesichter: eines, das nach aussen gerichtet ist, und ein inneres. Beide sind uns gleich wichtig. Das eine hinterlässt täglich einen Eindruck bei Passanten und das andere beeinflusst das private Leben der Nutzer*innen. Einige unserer Projekte – insbesondere die Umbauten – sind tatsächlich von innen heraus gedacht und ignorieren die Fassaden und was ringsherum ist fast vollständig. Wenn wir jedoch einen Neubau errichten, reagieren wir ganz bewusst auf den Kontext. In diesem Fall kann man sagen, dass das Projekt Teil zweier Welten ist. Die Narrationen von inneren und äusseren Erzählungen treffen aufeinander.

Das «Appartement for a Cat Lover», ist der Umbau einer Wohnung in Sion. Es wurde für eine Katzenliebhaberin entwickelt, die selber jedoch keine Katze als Haustier hält. Doch diverse Elemente wurden so gestaltet, dass sie wie Lebewesen wirken. | ©Daniela Tonaituh

Das «Appartement for a Cat Lover», ist der Umbau einer Wohnung in Sion. Es wurde für eine Katzenliebhaberin entwickelt, die selber jedoch keine Katze als Haustier hält. Doch diverse Elemente wurden so gestaltet, dass sie wie Lebewesen wirken. | ©Daniela Tonaituh

Das «Appartement for a Cat Lover», ist der Umbau einer Wohnung in Sion. Es wurde für eine Katzenliebhaberin entwickelt, die selber jedoch keine Katze als Haustier hält. Doch diverse Elemente wurden so gestaltet, dass sie wie Lebewesen wirken. | ©Daniela Tonaituh

In euren Projekten gibt es Elemente, die wie Lebewesen «Geschichten» erzählen. Stehen sie in Verbin­dung mit den jeweiligen Auftraggeber*innen und Bewohner*innen? Machen sie Architektur also zu einem Mass­anzug? Oder erzählen sie universelle Ge­schichten im Sinne archetypischer Narrative, die für alle Menschen gültig und wertvoll sind?

Unsere Geschichten nehmen auf die Personen Bezug, für die wir unsere Projekte entwickeln. Wir machen Architektur in erster Linie für die Nutzenden – ob Mensch oder Tier. Und genau wie unsere Zeichnungen dienen die eingeschriebenen Erzählungen dazu, die Projekte reichhaltig zu machen. Wir lieben traumhafte Zeichnungen und Geschichten, die von mehr oder weniger niedlichen Kreaturen bevölkert sind. Wenn wir sie in Resonanz bringen, kann man damit Projekten – so klein sie auch sein mögen – Gestalt verleihen. Letztendlich sind die von uns vorgeschlagenen Geschichten jedoch nie endgültig. Jeder kann sie auf seine eigene Weise weiterspinnen.

Dieser Artikel ist in Arc Mag 2023-4 erschienen. Bestellen Sie jetzt ein Abo, damit das Heft schon bald in Ihrem Briefkasten ist.

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