Am Mattenhof

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6010 Kriens,
Schweiz

Veröffentlicht am 28. Februar 2023
Scheitlin Syfrig Architekten AG

In den Erdgeschossen sind öffentliche Nutzungen wie Gastronomie angeordnet. Es gibt insgesamt 129 Wohnungen. Auf dem Bild ist eine Maisonnette-Wohnung im Haus Am Mattenhof 8 zu sehen.

Projektdaten

Basisdaten

Lage des Objektes
Nidfeldstrasse, 6010 Kriens, Schweiz
Projektkategorie
Fertigstellung
05.2019

Gebäudedaten nach SIA 416

Geschossfläche
57'800 m²

Beschreibung

Mikropole oder Insel?

Wo die Gemeinden Luzern, Kriens und Horw zusammentreffen, liegt das Entwicklungsgebiet Luzern-Süd. Der streifenförmige Siedlungsteppich besteht heute vor allem aus Gewerbe- und Industriebetrieben, die in den 1970er-Jahren entstanden sind. Zahlreiche Baustellen zeigen jedoch, dass sich dies schon bald ändern wird. Ein Blick auf den Mattenhof I, eines der ersten neu überbauten Areale, die zu einem neuen Zentrum werden sollen.

Eichhof, Nidfeld, Schlund, Mattenhof – die Namen der vier neuen Quartiere in Luzern-Süd erinnern vor allem an ihre Vergangenheit: als Brauerei, Sümpfe und grüne Felder. Heute führt die viertelstündige Busfahrt vom Luzerner Stadtzentrum Richtung Horw an einer Brache neben einem Autobahnkreuz vorbei, daneben die Überreste der einst stolzen Brauerei. Es folgt eine erste Autogarage. Bald danach alternieren frisch ausgehobene Baugruben mit Autohändlern und Tankstellen. Den südlichen Abschluss des Gewerbegebiets markiert ein hoch in den Himmel ragendes Schild, das auf eine McDonald’s-Filiale hinweist. Am selben Kreisverkehr steht ein neues 15-geschossiges Hochhaus. Es bildet den Auftakt zur 2019 fertiggestellten Überbauung Mattenhof I. Auf halbem Weg zwischen dem Luzerner Stadtzentrum und dem Horwer Seeufer gelegen, soll hier das neue Zentrum des Entwicklungsgebiets Luzern-Süd entstehen. Dazu gehören nebst den eingangs erwähnten Quartieren auch die weiter südlich gelegenen Gebiete Horw Mitte und Horw See. Obwohl das Stimmvolk der Gemeinden Kriens und Horw vor über zehn Jahren eine Fusion mit der Stadt Luzern deutlich ablehnte, sahen sich die drei Ortschaften mit der Tatsache konfrontiert, dass sie räumlich Nichts-desto-Trotz miteinander verschmelzen. Darauf reagierten sie 2012 mit der Auslobung eines Studienauftrags für ein gemeinsames räumliches Entwicklungskonzept. Dieses sieht rund um den Mattenhof ein urbanes Stadtquartier vor.

Stadtwerdung braucht Zeit.
«Die Mikropole Mattenhof», wie die Überbauung zwischen der Nidfeldstrasse und der S-Bahn-Station Kriens Mattenhof von der Bauherrin Mobimo genannt wird, ist eines der ersten grösseren Areale, das in Luzern-Süd neu überbaut wurde. Es basiert ebenfalls auf einem Studienauftrag, den Scheitlin Syfrig Architekten aus Luzern bereits 2008 für sich entscheiden konnten und auf den eine elfjährige Planungsphase folgte. «In dieser Zeit hat sich das Projekt stark verändert», erklärt Geschäftsleitungsmitglied Mauritius Carlen. So führten die übergeordneten Vorgaben des Entwicklungskonzepts sowie die Begleitung durch ein Fachgremium zu verschiedenen Anpassungen: «Ursprünglich sollte das Hochhaus im Zentrum des Areals stehen. Heute setzt es einen Akzent am Kreisel und damit an einer der Haupterschliessungsachsen.» Fünfzig Meter ragt das Haus mit seiner sorgfältig gestalteten Fassade aus vorgehängten Betonelementen und golden schimmernden Metallbrüstungen in den Himmel. «Damals betrachteten wir diese Höhe als die Grenze des städtebaulich Erträglichen», so Carlen. Inzwischen ist auf dem angrenzenden Baufeld Mattenhof II der Pilatustower im Bau, der einst mit 110 Metern mehr als doppelt so hoch sein wird. Auch ohne diesen Vergleich wirkt die aus fünf Häusern bestehende Überbauung relativ klein und kompakt. In ihr gibt es 129 Wohnungen, 160 Hotelzimmer und über 23 000 Quadratmeter Gewerbefläche, davon 4000 Quadratmeter Retail. Asphaltierte Gassen führen zwischen den vier- bis achtgeschossigen Häusern hindurch und treffen in der Mitte auf einem Platz aufeinander. An einem kalten Wintermorgen herrscht dort gähnende Leere. Nur die Sonnenschirme der angrenzenden Restaurantterrassen deuten darauf hin, dass hier an wärmeren Tagen mehr los sein dürfte. «Man kann ein neues Zentrum nicht einfach bauen, eröffnen und dann läuft es», äussert sich Carlen dazu. «Die Leute müssen sich den neuen Ort erst aneignen. Das geschieht mit der Zeit.» Davon lassen sich derzeit noch keine Spuren finden. Der Asphalt reicht bis zu den Hauseingängen; halböffentliche Bereiche fehlen. Auch die Architekturschaffenden hätten sich mehr witterungsgeschützte Übergangszonen und Begegnungsräume gewünscht. Ihr ursprünglicher Entwurf sah zahlreiche Arkaden im Erdgeschoss vor. Letztendlich weisen nur zwei Häuserfronten solche auf. An den übrigen Stellen mussten sie grösseren Retailflächen weichen. Auch nach Spielmöglichkeiten für Kinder oder einer Grünfläche hält man vergebens Ausschau. Die meisten Projektverfasser in Luzern-Süd scheinen sich damit zu begnügen, auf die nahe gelegene Allmend zu verweisen, wenn es um Grün- und Erholungsflächen geht.

Veränderte Prämissen
Neben drei Strauchgruppen im Hof säumen je eine Baumreihe die nördliche und die südliche Parzellengrenze. Der grösste Freiraum befindet sich im Osten, wo ein baumbestandener Platz eine öffentliche Vorzone zum Bahnhof bildet. Dass sich die Bäume entlang der Parzellenränder des fast vollständig versiegelten Grundstücks aneinanderreihen, ist kein Zufall: Trotz der guten Anbindung an den öffentlichen Verkehr wird das Untergeschoss von einer Tiefgarage mit 131 Stellplätzen eingenommen. Diese hat nicht nur grössere Bäume auf dem Areal unmöglich gemacht, sondern stellte auch die Architekt*innen vor eine Herausforderung: «Die gesamte Überbauung musste auf dem Raster der Tiefgarage basieren», erklärt Carlen. «Darüber fünf verschiedene Häuser zu bauen, war keine leichte Aufgabe.» Dennoch war es dem Team wichtig, den fünf Baukörpern jeweils einen eigenen Ausdruck zu verleihen. So unterscheiden sie sich in Farbgebung und Materialisierung, weisen aber auch Gemeinsamkeiten wie eine ablesbare Sockelzone oder erdige Farbtöne auf. Hinter den grossen Fenstern im Erdgeschoss des Holiday Inn geniessen die letzten Gäste ihr Frühstück. Für Touristen aus Übersee dürfte die Lage ein idealer Ausgangspunkt für Ausflüge sein: Mit der S-Bahn erreichen sie die Luzerner Altstadt in nur vier Minuten. Gleichzeitig übernachten sie mit spektakulärem Blick auf den Pilatus. Über die «Mikropole» dürften aber auch sie sich wundern: Mikro ist sie, aber metropolitan? Seit dem Studienauftrag für den Mattenhof sind 15 Jahre vergangen. Rückblickend gibt auch der Architekt Carlen zu bedenken, dass ein solches Projekt heute wohl anders gestaltet würde: «Inzwischen sind Fragen nach der sozialen Gemeinschaft stärker ins Zentrum gerückt. Damit eine solche entstehen kann, braucht es Räume, die die Anwohner*innen mitgestalten können», ist er überzeugt. Was Aussenstehende nicht sehen: Auf den Dächern des Hochhauses sowie eines weiteren Gebäudes gibt es Terrassen, die allen Mieter*innen zur Verfügung stehen. Zudem haben die «Mattehöfler» bereits einen Quartierverein gegründet. Das Interesse an der Mitgestaltung scheint also vorhanden zu sein und die zahlreichen Baustellen lassen keinen Zweifel an den bevorstehenden Veränderungen im in der Umgebung. Doch bis Luzern-Süd eines Tages «urban, kreativ und nachhaltig» daherkommen wird, wie es das Gebietsmanagement des neuen Stadtteils verspricht, dürften noch einige Jahre vergehen. Das Beispiel Mattenhof zeigt, dass dazu gewisse Qualitätsanforderungen an die einzelnen Projekte gestellt und eingefordert werden müssen. Damit die neuen Quartierbewohner*innen ihre Umgebung tatsächlich mitgestalten können, sind Räume nötig, die dies zulassen. Gleichzeitig setzt ein solches Projekt voraus, dass die im Masterplan vorgesehenen ergänzenden Nutzungen wie Grünzüge oder öffentliche Gebäude zeitnah realisiert werden. Gelingt dies nicht, besteht die Gefahr, dass die Mikropole nicht zu einem neuen Zentrum, sondern zu einer urbanen Insel wird.

Text: Daniela Meyer

Erstveröffentlichung im Arc Mag 2.2023
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