Das Klima geht vor! Einladung zum Arc Afterwork in Lausanne
Der Klimawandel stellt eine dramatische Bedrohung für den gesamten Planeten dar. Jeder weiss, dass der Bausektor mit seinen hohen CO2-Emissionen einen gros-sen Anteil daran hat und deshalb schnell und grundlegend verändert werden muss. Trotzdem ist bisher wenig geschehen. Doch zaghaft beginnt in der Architektur ein zartes Pflänzchen zu spriessen: Die Wiederverwendung von Baustoffen und der Einsatz möglichst klimaneutraler Materialien stossen auf wachsendes Interesse; erste Pilotprojekte werden realisiert. Die Redaktion hat vier Teams aus der Westschweiz zum Arc Afterwork nach Lausanne eingeladen. Sie werden aufzeigen, dass die alte Prämisse «Form follows function» durch eine neue ersetzt werden muss: «Form follows climate».
Beim Arc Afterwork am 6. September 2023 in Lausanne dreht sich alles um das Bauen im Zeitalter der Klimakrise: Véronique Favre von FAZ architectes, Nicolas de Courten, Guillaume Yersin von SAAS sàrl und Lorraine Beaudoin von Joud Vergély Beaudoin architectes werden ihre Ideen und Lösungsansätze zur Verlangsamung der Klimaerwärmung vorstellen. Ziel des Abends ist es einerseits, einen klaren Aufruf zum Handeln zu formulieren. Zum anderen sollen mögliche Ansätze geborgen werden, wie die bislang grösste Krise der Menschheit mit den Mitteln der Architektur gemildert werden kann. Seit mehreren Jahrzehnten suchen Fachleute aus den Bereichen Architektur und Stadtplanung nach Lösungen für eine nachhaltigere Baukultur. Doch es geht nur langsam voran. «Transformationsprozesse wie die Energiewende» – so ist oft zu hören – «brauchen eben ihre Zeit.» Doch die Zeit drängt. Was wir brauchen, ist ein sofortiges und radikales Handeln. Wenn wir weiter zögern, werden künftige Generationen in einer wesentlich unwirtlicheren Welt leben müssen. Was kann die Bauwirtschaft tun, um die Situation zu verbessern? Das ist die Frage, die den Referent*innen des Arc Afterwork gestellt wird. Sie werden Ansätze wie die Wiederverwendung von Materialien, die Adaption ganzer Gebäude und die Verwendung nachhaltiger Materialien wie Erde vorstellen. Der Event soll helfen, diese Ansätze und Techniken bekannt zu machen, damit sie in grösserem Umfang Eingang in die Praxis finden. Es geht darum, gute Beispiele hervorzuheben, die zeigen, dass es möglich ist, «klimafreundlich» zu bauen.
Re-use
Das Architekturbüro Joud Vergély Beaudoin renoviert und erweitert derzeit das Collège de la Gracieuse in Morges und setzt dabei auf eine Re-use-Strategie. Der Rückbau eines bestehenden Nebengebäudes liefert Stahlprofile, die vor Ort zugeschnitten und neu gefügt werden. So wird ein Kindergarten aus den 1970er-Jahren aufgestockt. Auf diese Weise werden 30 Tonnen Stahl wiederverwendet, die bereits vor Ort vorhanden sind. Darüber hinaus nutzen die Architekt*innen den beim Aushub anfallenden Boden für die Herstellung von Erdbeton, der unter anderem für die Innenwände verwendet wird. All dies setzt eine konsequente Baustellenorganisation voraus, denn Rückbau und Re-Use sind komplex und erfordern eine ausgeklügeltere Logisitk als ein Gebäude aus «neuen» Materialien. Lorraine Beaudoin wird den Gästen erläutern, wie solche Lösungen die Klimabilanz eines Projekts erheblich verbessern können und zeigen, dass die Wiederverwendung gar nicht so kompliziert ist, wenn man nur offen dafür ist. Auch Guillaume Yersin von SAAS sàrl sucht nach Konzepten für geschlossene Materialkreisläufe. Für den Umbau einer ehemaligen Ziegelei in Bardonnex zu Ateliers und Lagerräumen, werden vor Ort vorhandene Abbruch- und Aushubmaterialien für die Konstruktion genutzt. Aus Erdbeton werden nach einem eigenen Rezept Ziegel gepresst, mit denen die Fassaden verkleidet werden. Es ist nicht sein erster Versuch, mit wiederverwendeten Materialien zu arbeiten: 2020 gestaltete Guillaume für sich selbst eine «Stadtvilla», in der Büro- und Wohnräume ineinandergreifen. Der Architekt versteht das Projekt auch als Statement zum zeitgemässen Verhältnis von Arbeit und Leben. Gleichzeitig liegt dem Projekt ein ökologischer Ansatz zugrunde: Wenn Wohnen und Arbeiten an einem Ort stattfinden, entfällt das Pendeln. Aufgrund des geringen Budgets wurde der Umbau in Eigenleistung realisiert. Das Beispiel zeigt, dass Re-use nicht nur nachhaltig, sondern auch ökonomisch sinnvoll sein kann.
Materialität
Auch die Interventionen von FAZ architectes zeugen von Respekt vor dem Vorhandenen. Sie stellen generell das «Leben» in den Mittelpunkt ihrer Entwürfe und ergänzen mit ihren Bauten jeweils den baulichen und landschaftlichen Kontext auf sensible, dem Geist des Ortes verwandte Art und Weise. Zirkuläre Ansätze und die Verwendung natürlicher Materialien sind ihnen wichtig.Die durch die Klimakrise bedingte Notwendigkeit sehen sie nicht als Last, sondern als Chance, das Verhältnis von Mensch und Umwelt auf einer übergeordneten Ebene zu reflektieren. Das Servicegebäude für die Fussballplätze in Meyrin ist ein gutes Beispiel für ihre Philosophie: Für das Gebäude wurden Materialien wie Kork, Lehm und Massivholz verwendet. Zudem kamen viele gebrauchte Elemente zum Einsatz, wie Waschbecken und Möbel. Und die Betonteile des Bodens stammen von abgebrochenen Häusern oder waren Ausschuss.

Das Betriebsgebäude der Fussballplätze in Arbère, das von FAZ architectes gebaut wurde, besteht aus nachhaltigen Materialien wie Kork, Lehm und Massivholz. ©Paola Corsini
Verdichtung
Nicolas de Courten und seine Mitarbeitenden sind Architekt*innen mit einem besonderen Gespür für die Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung und der Raumplanung. Sie interessieren sich für die Probleme der Verdichtung und kämpfen gegen die Fragmentierung des städtischen Gefüges. Nicolas de Courten lehnt den Bau von Einfamilienhäusern ab und hat sich auf den Bau von Mehrfamilienhäusern, insbesondere für Genossenschaften, spezialisiert. Derzeit baut er eine Reihe von Gebäuden im neuen Ökoquartier Plaines-du-Loup in Lausanne. Der von TRIBU architectes entworfene Quartierplan basiert stark auf nachhaltiger Entwicklung. Es gibt zahlreiche Gemüsegärten und grosse Flächen für die Versickerung von Wasser und die Ansiedlung einer vielfältigen Fauna und Flora. Biodiversität und Klimaschutz sind Nicolas de Courten generell sehr wichtig. Als Finalist des Swiss Art Awards stellte er die Notfunkbake «MAYDAY-1» aus. Das Modell sollte die Besucher*innen irritieren, um sie auf die Gefahren des Klimawandels aufmerksam zu machen.

Die Notfunkbake von Nicolas de Courten, Finalist bei den Swiss Art Awards, versuchte bewusst die Besucher*innen zu irritieren: Auf dem Sockel des Modelles stand: «An zukünftige Generationen, die den Preis unserer Untätigkeit teuer bezahlen werden.»
Am Ball bleiben
Im Anschluss an die vier Präsentationen findet ein Flying Dinner statt, bei dem die Diskussionen über Architektur für das Klima zwischen Architekt*innen und Baufachleuten in entspannter Atmosphäre fortgesetzt werden können. Für die Veranstaltung am 6. September 2023 im Musée Olympique in Lausanne sind nur noch wenige Plätze verfügbar. Die Debatte um eine nachhaltigere Architektur wird uns aber generell weiter begleiten und die Ansätze der Gäste werden sicher auch bald im Arc Mag ausführlicher dargestellt.
Melden Sie sich jetzt an. Wir freuen uns Sie in Lausanne zu sehen!
Dieser Artikel ist in Arc Mag 2023-4 erschienen. Bestellen Sie jetzt ein Abo, damit das Heft schon bald in Ihrem Briefkasten ist.